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Röttgens angeblicher Verzicht auf Atomkraft ist mit größter Vorsicht zu genießen!

Nach einem Interview in der Süddeutschen Zeitung vom Samstag erweckt Bundesumweltminister Norbert Röttgen den Eindruck, er wolle den Atomausstieg. Die Kanzlerin stellt sich hinter ihn, doch seine Äußerungen erzürnen die Gemüter in den eigenen Reihen und lassen Koalitionspartner Guido Westerwelle vor Wut toben. Doch Vorsicht: Röttgens Ausstiegszenario ist nicht nur höchst widersprüchlich, sondern beinhaltet sogar […]

Nach einem Interview in der Süddeutschen Zeitung vom Samstag erweckt Bundesumweltminister Norbert Röttgen den Eindruck, er wolle den Atomausstieg. Die Kanzlerin stellt sich hinter ihn, doch seine Äußerungen erzürnen die Gemüter in den eigenen Reihen und lassen Koalitionspartner Guido Westerwelle vor Wut toben. Doch Vorsicht: Röttgens Ausstiegszenario ist nicht nur höchst widersprüchlich, sondern beinhaltet sogar längere Laufzeiten für Atomkraftwerke – das ist nicht das, was wir unter einem echten Atomausstieg verstehen!

Wenn Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) öffentlich feststellt, dass die Atomkraft auch nach vier Jahrzehnten „keine hinreichende Akzeptanz in der Bevölkerung“ hat, kann man sich als Atomkraftgegner/in eigentlich freuen. Da hat es endlich einer verstanden! Wenn der Minister dann noch seiner eigenen Partei, die noch vor wenigen Monaten mit AKW-Laufzeitverlängerungen in den Bundestagswahlkampf zog, empfiehlt, sich von der Risikotechnologie zu verabschieden und dafür sogar noch Rückendeckung von seiner Chefin, Kanzlerin Angela Merkel, kriegt, könnte man versucht sein, sich genüsslich zurückzulehnen.

Angesichts so vieler schöner Worte empfiehlt es sich dann doch, etwas genauer hinzusehen. Denn gleichwohl Röttgen auf dem richtigen Weg ist, wenn er sagt, er wolle die Rolle der Kernkraft nicht stärken, sondern immer mehr Erneuerbare Energien in den Energiemix bringen, sind seine Äußerungen an einigen Stellen einfach nur geschickte Rhetorik. Glauben kann man den Schlagzeilen vom Atomausstieg leider nicht – denn Röttgen selbst bringt längere Laufzeiten ins Spiel. Der Minister spricht von maximal 40 Jahren Laufzeiten für ein AKW – im bisher noch gültigen rot-grünen Atomkonsens sind 32 Jahre im Vollbetrieb vorgesehen. De facto wäre das eine Verlängerung der Laufzeit von 8 Jahren. Aussagen derlei Art bringt die FDP in Rage. Parteichef Guido Westerwelle soll bei einem Arbeitsfrühstück in Anwesenheit der Kanzlerin getobt haben. Was Westerwelle und andere in der Koalition wütend macht, weil es ihnen nicht weit genug geht, ist für uns kein echter Atomausstieg. Wenn jetzt die Laufzeiten um „nur“ 8 Jahre gestreckt werden – wer garantiert, dass sie nach den nächsten Wahlen nicht einfach wieder und wieder verlängert werden?

Auch an anderer Stelle kränkelt Röttgens angebliches Ausstiegsszenario: Röttgen zufolge soll die Atomkraft vollständig aus dem Energiemix verschwinden, sobald die Erneuerbaren einen Anteil von 40% erreicht haben. In dieser Logik müsste er diejenigen Reaktoren, die schon seit Monaten, ja teils Jahren still stehen oder wegen häufiger Abschaltungen keine nennenswerten Mengen Strom mehr produzieren, sofort vom Netz nehmen – denn die werden nicht mehr gebraucht, der EE-Anteil liegt bereits bei 16%. Statt den Abschalthebel umzulegen, weigert er sich weiterhin standhaft, auch nur anzusprechen, dass die Pannenmeiler Krümmel, Brunsbüttel und Biblis A nie wieder ans Netz dürfen und dass auch der Schrottreaktor Neckarwestheim 1 endlich wie vorgesehen in den nächsten Wochen abgeschaltet gehört. Es braucht keine Energiestudie, um festzustellen, dass kein Mensch den Strom dieser Schrottmeiler vermissen würde.

Doch nicht nur Altreaktoren müssten dann schnell vom Netz – Röttgen müsste, schenkt er sich selbst Glauben, den Atomausstieg sogar noch beschleunigen! Denn der Bundesverband der Erneuerbaren Energien (BEE) weist seit langer Zeit darauf hin, dass die Erneuerbaren bis 2020 schon mit 48% im Energiemix vertreten sein könnten – vorausgesetzt die Politik setzt die richtigen Signale. Und diese sind eben nun mal der Atomausstieg – denn nur wenn der unumwerflich kommt, besteht Planungssicherheit für die Erneuerbaren. Röttgens magische 40%-Klausel bei gleichzeitiger Forderung von 8 Jahren Laufzeitverlängerung für AKW zeigt, wie sehr er bemüht ist, den Eindruck entstehen zu lassen, er setze sich für den Atomausstieg ein. Leider widerspricht er sich dabei so stark selbst, dass er unglaubwürdig wird.

Warum tut er das? Röttgens Wahlkreis liegt in NRW – wo Anfang Mai ein neuer Landtag gewählt wird. Er weiß, wie wichtig für ihn und die gesamte Union eine starke CDU im bevölkerungsreichsten Bundesland ist. Denn es geht nicht nur um die Mehrheit in NRW, sondern auch um die Mehrheit im Bundesrat, der wichtige Entscheidungen – auch aus seinem eigenen Ministerium – absegnen muss. Röttgen weiß, dass das atomkritische Mäntelchen seiner Partei im Wahlkampf gut stehen wird. Denn selbst die Mehrheit der eigenen Wähler/innen will keine Laufzeitverlängerungen. Andere interpretieren Röttgens atomkritische Äußerungen gar als Wegbereiter für eine schwarz-grüne Koalition in NRW. Tatsächlich erscheint ein solches Bündnis in NRW derzeit als eine wahrscheinliche Option, denn der bisherige Koalitionspartner, die NRW-FDP, befindet sich auf dem absteigenden Ast. Die CDU/CSU muss aufpassen, sich davon nicht mitreißen zu lassen – und hat im Atomthema einen guten Punkt, um sich abzugrenzen.

Kettenreaktion

Wir sollten also aufpassen, uns kein X für ein U vormachen zu lassen. Röttgen geht es um die NRW-Wahl und nicht darum, den Atomausstieg zu beschleunigen. Wie Kanzlerin Merkel richtig anmerkt, argumentiert Norbert Röttgen auf der Grundlage des Koalitionsvertrages – will heißen: Seine Aussagen lassen sich jederzeit auch in Richtung Laufzeitverlängerung drehen. Er kann auf Grund der jetzt gemachten Äußerungen jederzeit im Herbst, wenn die Wahl in NRW weit zurückliegt, die Laufzeiten für alle AKW, selbst für die ältesten Schrottmeiler, verlängern – ohne einen Gesichtsverlust hinnehmen zu müssen. Deshalb sind weitere Proteste gerade jetzt zwingend notwendig.

Um dem Bundesumweltminister noch vor der NRW-Wahl zu zeigen, dass er klare Kante zeigen muss, werden wir am 24. April mit einer Großaktion nachlegen: Zigtausende Menschen bilden eine Aktions- und Menschenkette vom Pannenreaktor Krümmel über Hamburg bis zum AKW Brunsbüttel – zwischen den zwei Reaktoren, die besonders für die Unfallrisiken der Atomenergie stehen. Ein breites Bündnis von Organisationen und Initiativen bereitet die Menschenkette gemeinsam vor. Unsere Botschaft kurz vor dem Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl lautet: Die Menschen im Lande wollen, dass die Regierung endlich konsequent und ohne Ausflüchte auf Erneuerbare Energien statt auf eine überkommene Risikotechnologie setzt.

Am besten Sie streichen sich den 24. April schon jetzt rot im Kalender an! Die Aktion unter dem Motto „KETTENreAKTION – Atomkraft abschalten!“ wird dann gelingen, wenn wir gemeinsam sehr viele Menschen für sie begeistern. In den nächsten zwei Monaten wollen wir dafür intensiv die Werbetrommel rühren: Mit dutzenden Großplakatwänden in der Region, zehntausenden Flugblättern und Plakaten, Anzeigen und Beilagen in großen Tageszeitungen und dezentralen Aktionstagen im Vorfeld. Spenden Sie für die Menschenkette!

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