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Lammert kapiert es nicht!

Mehr als 30 Journalisten bundesweiter Medien waren am Donnerstag zu unserer Pressekonferenz gekommen, als wir gemeinsam mit unseren Kooperationspartnern Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) vorwarfen, er habe bei der Kontrolle der Parteifinanzen versagt. Nach Ansicht von Transperancy International Deutschland, LobbyControl, Mehr Demokratie und Campact sollte deshalb zukünftig nicht mehr der Bundestagspräsident, sondern ein unabhängiger Beauftragter über […]

Mehr als 30 Journalisten bundesweiter Medien waren am Donnerstag zu unserer Pressekonferenz gekommen, als wir gemeinsam mit unseren Kooperationspartnern Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) vorwarfen, er habe bei der Kontrolle der Parteifinanzen versagt. Nach Ansicht von Transperancy International Deutschland, LobbyControl, Mehr Demokratie und Campact sollte deshalb zukünftig nicht mehr der Bundestagspräsident, sondern ein unabhängiger Beauftragter über die Einhaltung des Parteiengesetzes wachen. Außerdem fordern wir, dass alle Parteisponsoringverträge ab dem Jahr 2007 offen gelegt werden sollen. Für Parteispenden und das Parteisponsoring sollen die gleichen Veröffentlichungspflichten gelten und Groß-Spenden oder Sponsoring-Leistungen über 50.000 Euro jährlich pro Spender bzw. Sponsor verboten werden.

Lammert reagierte prompt auf unsere Kritik. „Die Schlaumeierei, ohne Kenntnis der Unterlagen zu einem schlüssigeren Befund zu kommen als die Bundestagsverwaltung nach wochenlanger Prüfung, kommentiert sich selbst“, sagte er zu Journalisten. Ohnehin hält er sich für den falschen Adressaten der Kritik – der Gesetzgeber sei in Sachen Parteiensponsoring gefordert, nicht er.

Der Bundestagspräsident versteckt sich hinter seinen Untergebenen
Es ist einfach nur erbärmlich, wenn sich der Bundestagspräsident hinter seinen Untergebenen versteckt, statt zu seinen eigenen Entscheidungen zu stehen. Denn nicht „die Bundestagsverwaltung“ entscheidet nach dem Parteiengesetz, ob ein Verstoß gegen das Gesetz vorliegt, sondern allein der Bundestagspräsident! Natürlich ist er dabei auf die Zuarbeit seiner Mitarbeiter angewiesen – aber er allein entscheidet und hat diese Entscheidungen zu verantworten. Die Bundestagsverwaltung kommt im Parteiengesetz gar nicht vor. Lammerts Reaktion zeigt zudem, dass er gar nicht begriffen hat, was der Kern unserer Kritik an seiner Amtsführung ist. Oder er sich bewusst dumm stellt.


Kampagne: Parteienfinanzierung reformieren


Lammert hatte erklärt, die Sponsoringpraxis der CDU in Nordrhein-Westfalen und Sachsen habe nicht gegen das Parteiengesetz verstoßen. Dabei geht es vor allem um zwei Fragen: Waren mit bestimmten Sponsorenzahlungen unzulässige Gegenleistungen verbunden? Und standen die Sponsorenzahlungen und die jeweiligen Gegenleistungen dafür in einem „nachvollziehbar angemessenen Verhältnis“ zueinander?

Lammert bestreitet nicht, dass die „Vermietung“ der Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen und Sachsen, Rüttgers und Tillich (beide CDU), an Sponsoren eine unzulässige Gegenleistung wäre. Doch er folgt der Darstellung seiner Parteifreunde aus den beiden Bundesländern, solche unzulässigen Gegenleistungen seien in Wirklichkeit gar nicht erbracht worden, sondern es habe sich lediglich um „fahrlässig formulierte Werbeangebote“ gehandelt. „Dass Lammert in den abstrusen Fällen von Rent-a-Ministierpräsident nur eine Frage schlechten Stils sieht, können wir nicht nachvollziehen“, sagte Elmar Wiegand von LobbyControl dazu.

Doch wenn tatsächlich keine unzulässigen Gegenleistungen erbracht wurden, etwa in Form exklusiver Gespräche mit Mitgliedern der beiden Landesregierungen, dann stellt sich um so mehr die Frage, ob hier Leistung und Gegenleistung noch in einem „nachvollziehbar ausgewogenen Verhältnis“ zueinander stehen, wie es Lammert selbst gefordert hatte. Denn die Sponsoringzahlungen für die Parteitagsstände lagen weit über marktüblichen Standmieten, z.B. auf Messen. Ohne ein angemessenes Verhältnis von Leistung und Gegenleistung handelt es sich nicht um Sponsoringgeschäfte, sondern um verdeckte Parteispenden. Parteispenden von juristischen Personen können aber im Gegensatz zu Sponsoringzahlungen nicht als Betriebsausgaben von der Steuer abgesetzt werden und müssen derzeit ab einer Höhe von 10.000 Euro veröffentlicht werden. Sponsoringzahlungen müssen dagegen in den Rechenschaftsberichten der Parteien werden mit verschiedenen anderen Einnahmen zusammen unter dem Posten „sonstige Einnahmen“ verbucht.

Wie viel kostet ein „Grüß Gott“?
Was aber „angemessene“ Gegenleistungen für Sponsoringzahlungen sind, dafür hat der Bundestagspräsident Lammert bis heute keine nachvollziehbaren Maßstäbe entwickelt. Dieser Vorwurf trifft selbstverständlich genauso seinen Vorgänger Wolfgang Thierse (SPD) – auch ihm war dieses Eisen zu heiß. „Was kostet ein „Grüß Gott“?“, so brachte Jochen Bäumel von Transparency International das Problem auf den Punkt. Der nordrhein-westfälische CDU-Politiker Lammert hat seinen eigenen CDU-Landesverband freigesprochen, obwohl er gar keine transparenten Kriterien für die Angemessenheit von Gegenleistungen für Sponsoringzahlungen hat. Das ist unser Hauptvorwurf an Lammert. Sein einziger Maßstab scheint zu sein, ob sie sich im „Rahmen des Üblichen“ bewegen. Die rechtswidrige Praxis der Vergangenheit rechtfertigt also die rechtswidrige Praxis der Gegenwart!

Dabei wird über die schwierige Abgrenzung zwischen Parteispenden und Parteisponsoring schon seit Jahren in Fachkreisen diskutiert. Hinzu kommt ein weiteres Problem: Wenn ein Sponsor z.B. einen Sportler sponsert, dann erhofft er sich davon, dass das positive Image des Sportlers auf seine Firma oder sein Produkt abfärbt. Das nennt man Imagetransfer. Die Steuerrechtlerin Johnna Hey schrieb bereits im Jahr 2005 in einem Aufsatz dazu: „Bereits bezüglich der Eignung des Parteiensponsorings zur Erzielung eines positiven Imagetransfers bestehen angesichts des in der Bevölkerung eher negativen Images der großen Volksparteien Zweifel. (…) Parteiensponsoring ist nicht geeignet, einen allgemeinen positiven Werbeeffekt für Unternehmen zu erzielen.“ (Quelle: Professor Dr. Johanna Hey, Düsseldorf, 2005: Parteiensponsoring im Steuerrecht – Lassen sich die Abzugsgrenzen zu §10 Abs. 2 EStG umgehen?, in: Der Betrieb, Heft 26/27, S. 1406).

Nach der Rechts-Auffassung von Transperancy International, LobbyControl, Mehr Demokratie und Campact sind alle Sponsoringzahlungen die beispielsweise über marktübliche Standmieten hinausgehen als Parteispenden anzusehen. Demnach wurden große Teile der Sponsoring-Einnahmen von mutmaßlich allen im Bundestag vertretenen Parteien jahrelang falsch verbucht. Und der Bundestagspräsident – Lammert genauso wie Thierse- hat diesen Verstoß gegen das Parteiengesetz jahrelang ignoriert, obwohl er Strafzahlungen dagegen hätte verhängen müssen! Darum fordern wir, dass alle Partei-Sponsoringverträge, die seit 2007 abgeschlossen wurden, jetzt veröffentlicht werden.

Lammert leugnet seine Verantwortung will alles auf „den Gesetzgeber“ abwälzen. Doch bei einem großen Teil der Sponsoring-Einnahmen handelt es sich wahrscheinlich um verdeckte Parteispenden, die schon nach der heutigen Rechtslage Strafzahlungen zur Folge haben müssten! Dies nicht konsequent geahndet zu haben, darin besteht das zentrale Versagen von Lammert! Wir fordern zwar auch darüber hinaus eine Verschärfung des Parteiengesetzes, aber solange die Parteien so lasch kontrolliert werden bringt das alles nichts! Natürlich ist es nicht der Bundestagspräsident, der machtpolitisch über die Verschärfung des Parteiengesetzes entscheidet. Darum ist unser Online-Appell auch an die Fraktionsvorsitzenden im Bundestag gerichtet und nicht an Lammert. Trotzdem sollte sich der Bundestagspräsident nicht kleiner machen, als er ist. Wenn er sich bei den Fraktionen hartnäckiger und vehementer für eine Reform des Parteiengesetzes einsetzen würde, bliebe das bestimmt nicht ohne Wirkung.

Lammert unterstützt unsere Forderung nach unabhängiger Kontrolle
Das Versagen des Bundestagspräsidenten bei der Kontrolle der Parteifinanzen beweist, dass bei ihm diese Aufgabe nicht in den richtigen Händen ist. Das sieht übrigens auch Lammert selber so. Er habe die eigene Zuständigkeit „immer für eine unglückliche Regelung gehalten“, sagte er verschiedenen Medien. Sie setze den Bundestagspräsidenten „dem Verdacht der Befangenheit gegenüber den Parteifreunden oder der jeweiligen politischen Konkurrrenz aus“. Dies habe er schon bei seinem Amtsantritt 2005 gesagt und sich damals mehr „Unterstützung erhofft“. Zumindest in diesem Punkt kann der Bundestagspräsident mit unserer Unterstützung rechnen. Auch mit Ihrer? Haben Sie schon unseren Aufruf gegen eine käufliche Politik unterschrieben? Unterschreiben Sie jetzt, denn ohne öffentlichen Druck werden die Parteien einfach so weiter machen wie bisher, wenn die NRW-Wahl vorüber ist. In der nächsten Sitzungswoche (19. bis 23. April) wollen wir die Unterschriften öffentlich an die Fraktionsvorsitzenden übergeben.

Autor*innen

Yves Venedey war Campaigner im Kampagnen-Team 1, verantwortlich für Klima-Themen. Er war schon Marktforscher, Briefträger, Geschäftsführer, Journalist und Pressesprecher. Yves Venedey ist Autor des Buchs "Abschalten", das 2011 im Fischer Verlag erschienen ist. Alle Beiträge

2 Kommentare

Kommentare sind geschlossen
  1. Ich staune, wie lobbyistisch die Politik doch ist. Ich persönlich unterstütze Mehr Demokratie e.V., Piratenpartei, Freiheitsredner und deren sowie andere politisch brisante Themen.

    Schade, das die jeweiligen Minister nicht wissen, wie sie dass effektiver gestalten können… Vielleicht kann man bei der nächsten EU-Parlamentswahl auf eBay ein exklusives Brunch mit Censilia in Stockholm ersteigern 😉

    ES KANN NICHT SEIN, DASS HIER DIE EIGENE FRAKTION IN SCHUTZ GENOMMEN WIRD!!!

  2. Politiker, die sich durch Lobbyisten überzeugen lassen, vertreten gewiss eine eigene Meinung!
    Ob ich jetzt über Parteien-Sponsoring, Parteien-Bestechung, Parteien-Korruption nachdenke – alles ist in einem, von Politikern selbstgesetzten gesetzlichen Rahmen legal und nur wenn es zu grob angegangen wurde, wird es das als offene Korruption anerkannt. Daher liegt, wie Herr Lammert richtig erkennt, selbstverständlich keine Bestechlichkeit der Damen und Herren Politiker vor, da das Sponsoring der Firmen oder Interessengruppen, nicht in der Öffentlichkeit geschehen darf, also öffentlich keine konkreten Forderungen mit ihrem bezahlten Geld stellen würden, denn dies würde ja sofort als offene Korruption erkannt werden müssen.
    Somit haben wir also nur das werben des Bräutigams um seine Braut, mit dem werben mit Hilfe der Werbefinanzierung auf einer privaten Veranstaltung einer Partei mit einem Regierungsoberhaupt, welche der Parteienfinanzierung dient, zu tun.
    Außerdem ist wichtig, es ist rechtlich keine Parteispende und muss deshalb nicht angegeben werden.
    Daher ist dies allerdings etwas irritierend, aber da die Lobbyisten in Bund und Land an der Gesetzesformulierung unmittelbar beteiligt sind, so dass es sogar mehrfach dazu kam, dass die hierfür zuständigen Beamten nicht beteiligt wurden, kann man/ich auch nichts straffälliges erkennen. Klar, es ist aber moralisch stark zweifelhaft, aber dann kommt der parlamentarische Schritt, vielleicht sogar per Parteiräson und es darf abgenickt werden. Und dann ist das ganze Fakt, also Gesetz -Punkt.
    Das ist gelebte Demokratie a la BananenRepublikDoof

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