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FDP gibt bei der Vorratsdatenspeicherung nach

Letzte Woche ist im Netz ein Diskussionsentwurf zur Vorratsdatenspeicherung aus dem Bundesjustizministerium mit dem Titel „Gesetz zur Sicherung vorhandener Verkehrsdaten und Gewährleistung von Bestandsdatenauskünften im Internet“ aufgetaucht und hat zu massiven Protesten von Datenschützern einerseits und Sicherheitspolitikern andererseits geführt. Es ist eine Vorversion eines am Donnerstag von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger an das Bundesinnenministerium übersandten Papiers. Der […]

Letzte Woche ist im Netz ein Diskussionsentwurf zur Vorratsdatenspeicherung aus dem Bundesjustizministerium mit dem Titel „Gesetz zur Sicherung vorhandener Verkehrsdaten und Gewährleistung von Bestandsdatenauskünften im Internet“ aufgetaucht und hat zu massiven Protesten von Datenschützern einerseits und Sicherheitspolitikern andererseits geführt. Es ist eine Vorversion eines am Donnerstag von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger an das Bundesinnenministerium übersandten Papiers.

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass im Bereich der nicht-IP-basierten Kommunikation ohnehin vorhandene Daten nur bei einem Anfangsverdacht auf eine Straftat gesichert werden können. Mit diesem „Quick Freeze“ genannten Verfahren soll verhindert werden, dass Provider die Daten routinemäßig löschen. Der Zugriff auf diese Daten muss anschließend durch einen Richter oder einen Staatsanwalt angeordnet werden.

Im Bereich der IP-basierten Kommunikation liegt der Skandal des Gesetzentwurfs: Alle IP-Adressen aller Internet-Nutzer sollen ohne Anlass sieben Tage lang automatisch gespeichert werden. Auf diese Daten sollen die Ermittlungsbehörden ohne größere Hürden Zugriff haben. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass immer mehr Kommunikation IP-basiert abläuft und immer mehr Nutzerinnen und Nutzer dauerhaft z.B. mit einem Smartphone online sind, ist dies ein bedeutender Schritt in Richtung gläserner Mensch.

Der Gesetzentwurf von Frau Leutheusser-Schnarrenberger ermöglicht in Kombination mit anderen Verfahren die Totalüberwachung aller Internetaktivitäten – und mit ihm einhergehend einen Generalverdacht gegenüber der Bevölkerung –, von der das Bundesverfassungsgericht sagt, dass es sich um einen „besonders schweren Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt“ handele. Die anlasslose Speicherung von Internet-Verbindungsdaten sei „geeignet, ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen, das eine unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigen kann“. Die Ministerin bewegt sich mit ihrem Vorschlag also langsam auf eine Position zu, gegen die sie vor kurzem vor das Bundesverfassungsgericht gezogen ist.

Die verdachtslose Speicherung von Internet-Verbindungsdaten hätte massive Nachteile für die Bevölkerung. Von „normalen“ Bürgerinnen und Bürger, aber auch von Unternehmen, Ärztinnen und Ärzte, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte und viele weitere Menschen mit speziellen Vertrauensverhältnissen gegenüber anderen würden ohne jeden Verdacht einer Straftat Informationen gesammelt, die in Verbindung mit Daten der Anbieter von Seiten oder Diensten im Internet die Rückverfolgung ihrer gesamten Internetkommunikation ermögliche würde. Insbesondere angesichts der in letzter Zeit immer häufiger und schwerer werdenden Datendiebstähle entsteht ein enormes Risiko durch die Speicherung dieser Daten. Daneben können auch Unschuldige leicht Opfer von Ermittlungsmaßnahmen werden, da die Provider nur Zugriff auf die Namen ihres Vertragsparnters haben und diese nicht unbedingt mit dem Internetbenutzer übereinstimmen muss.

Gleichzeitig bestehen für Straftäter sehr viele mehr oder weniger aufwändige technische Möglichkeiten, durch die eine nicht nachvollziehbare Kommunikation im Internet möglich wird. So verwenden sie z.B. Internet-Cafés, offene WLAN-Zugänge, legale Anonymisierungsdienste, öffentliche Telefone oder unregistrierte Handykarten.

Der vorliegende Gesetzentwurf scheint von der Bundesjustizministerin als eine Art Befreiungsschlag gedacht, um die dauernden verbalen Angriffe von Sicherheitspolitikern aus der Union aus dem Weg zu gehen und der Aufforderung von Bundeskanzlerin Merkel, endlich zu einer Einigung zu kommen, gerecht zu werden.

Dabei hat sich Frau Leutheusser-Schnarrenberger bei der Speicherung von Telefondaten im Vergleich zu einem Entwurf aus ihrem Ministerium vom Januar 2011 nicht bewegt. Gleichzeitig hat sie mit dem – für die FDP ganz neuen – Vorschlag der verdachtsunabhängigen Speicherung von IP-Adressen zwar Kompromissbereitschaft angedeutet, ist der Union aber nicht soweit entgegengekommen, dass es zu einer schnellen Einigung kommen könnte. Hierauf deuten zumindest erste Äußerungen von Sicherheitspolitikern aus der Union hin.

Des weiteren gibt es für die FDP nur noch wenige bundesweite Politikfelder, auf denen sie in letzter Zeit nicht herbe Niederlagen hinnehmen musste. So scheiterten die Liberalen an ihrem Ideal der als Steuersenkungspartei ebenso wie mit ihrer harten Position in Sachen Atomkraft (vgl. Das Endspiel der FDP im Tagesschau-Blog). Sollte die FDP in Sachen Datenschutz weiter nachgeben, verliert die Partei eines ihrer letzten großen Steckenpferde und wird massivste Schwierigkeiten haben, bei den nächsten Wahlen noch zu punkten.

Es ist also damit zu rechnen, dass der Streit in der Koalition sich eher noch verschärfen wird; die Frage des Datenschutzes könnte für die FDP zu einer Überlebensfrage werden.

Für den Protest gegen die Vorratsdatenspeicherung bedeutet dies, dass es wichtig ist, eine Einigung innerhalb der Koalition weiter zu verzögern. Da die europäische Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung momentan evaluiert und höchstwahrscheinlich überarbeitet wird, sollte es möglich sein, eine Verabschiedung des entsprechenden Gesetzes bei uns mindestens bis zu diesem Termin hinauszuschieben und die Debatte dann noch einmal unter neuen Rahmenbedingungen zu führen.

Am 16. Juni haben der AK Vorrat und wir in Bonn ein zweites Mal versucht, unsere Unterschriften gegen die Vorratsdatenspeicherung an Innenminister Friedrich zu übergeben und es hat geklappt!

Am 10. September wird dann eine große Demonstration unter dem Titel „Freiheit statt Angst“ stattfinden und noch einmal den öffentlichen Druck erhöhen.

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Autor*innen

Der studierte Architekt Fritz Mielert (*1979) arbeitet als Geschäftsführer beim Bürgerprojekt Die AnStifter in Stuttgart. Zwischen 2011 und 2013 betreute er bei Campact Projekte im Spektrum zwischen Energiewende und Vorratsdatenspeicherung, baute maßgeblich die Parkschützer als eine der wichtigsten Gruppierung im Protest gegen Stuttgart 21 auf und war mehrere Jahre ehrenamtlich bei Greenpeace aktiv. Alle Beiträge

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