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Grüner Segen für Merkels Atompolitik – aber auch Votum für Ausstieg „deutlich vor 2022“

Zwar stimmte die Mehrheit der Delegierten auf dem grünen Sonderparteitag für ein "Ja, aber" zu Merkels Atomausstieg im Schneckentempo, doch unser Protest blieb nicht ohne Wirkung: Die Grünen-Basis beschloss, dass sie das letzte Atomkraftwerk schon "deutlich vor 2022" abschalten will. Wir werden die Grünen beim Wort nehmen und genau beobachten, ob sie ihre Versprechungen auch einhalten!

Schon auf dem Weg zu ihrem Sonderparteitag in Berlin mussten sich die Grünen entscheiden: Schwarz-gelber Atomausstieg ja oder nein? Zwei große Tore – das eine mit Atommüllfässern, das zweite mit Anti-Atom-Fahnen geschmückt – symbolisierten die Entscheidung. Vor laufenden Fernsehkameras und zahlreichen Pressefotografen gingen viele Grüne durch das „Nein“-Tor, durch das „Ja“-Tor traute sich fast niemand – aber die meisten gingen außen herum. Aber auch sie bekamen auf ihrem Weg in die Messehalle den offenen Brief von Umweltverbänden und Anti-Atom-Initiativen in die Hand gedrückt. Darin wurden die grünen Delegierten aufgefordert, Nein zu Merkels Atomausstieg im Schneckentempo zu sagen.

Am Ende stimmte die Mehrheit der Delegierten nach einer langen und lebhaften Debatte trotzdem für den Antrag ihres Bundesvorstandes, der für ein „Ja, aber“ zu Merkels Kehrtwende in der Atompolitik plädierte. Einerseits geben die Grünen damit das schärfste Schwert aus der Hand, das sie im Falle einer Regierungsbeteiligung 2013 gegen die Atomkraft führen könnten: Im Atomgesetz weit ambitioniertere Abschalttermine für die neun, noch am Netz befindlichen Reaktoren festzulegen, sodass der Ausstieg bis 2017 oder zumindest weit schneller als von Schwarz-Gelb geplant vollzogen wird. Wenn die Grünen dem schwarz-gelben Ausstiegsfahrplan im Schneckentempo am nächsten Donnerstag im Bundestag ihren Segen erteilt haben, wird eine spätere Verschärfung nur noch schwer vermittelbar sein.

Ein beträchtlicher Teil der Grünen-Basis sowie die Grüne Jugend wollte genau dies verhindern und teilte unsere Bedenken gegen eine Zustimmung zum schwarz-gelben Ausstiegsfahrplan. Die Mehrheit war immerhin so knapp, dass das Parteitagspräsidium die Delegierten bitten musste beim Abstimmen aufzustehen, damit es sich einen besseren Überblick über die Mehrheitsverhältnisse verschaffen konnte. Nach meinem Eindruck stimmten mindestens vierzig Prozent der Delegierten gegen den Kurs der Grünen-Spitze.

Andererseits konnten wir mit unserem Protest doch wichtige Teilerfolge erringen: Durch zahlreiche Änderungsanträge von der Parteibasis wurde der Antrag des Bundesvorstandes deutlich verbessert. Die größte Befürchtung vieler Atomkraftgegner war ja, dass sich die Grünen durch eine Zustimmung auf den völlig unzureichenden schwarz-gelben Abschaltfahrplan festnageln lassen. Demnach würden sechs Atomkraftwerke erst 2021/22 abgeschaltet werden – die Entscheidung über den endgültigen Ausstieg wird damit de facto auf das nächste Jahrzehnt vertagt. Doch diese Befürchtung wurde durch eine Reihe wichtiger Änderungsanträge zum mindestens teilweise entkräftet. So heißt es jetzt in dem Beschluss der grünen Bundesdelegiertenkonferenz (BDK):

„Wir wissen: Der Atomausstieg ist bis 2017 seriös umsetzbar. Wir werden daher die Bundestagswahl 2013 zu einer Abstimmung über eine beschleunigte Energiewende machen. Im Falle einer GRÜNEN Regierungsbeteiligung werden wir die Rahmenbedingungen so ändern, dass das letzte AKW noch deutlich vor 2022 abgeschaltet wird.“

Und weiter heißt es in dem Parteitagsbeschluss:

Wir werden auch weiterhin mit aller Kraft dafür arbeiten, dass das letzte Atomkraftwerk so bald wie möglich endgültig vom Netz geht, und zwar deutlich vor dem von der Bundesregierung geplanten Jahr 2022. Insofern ist unsere Zustimmung zur Änderung des Atomgesetzes als Zustimmung zum Ausstieg zu verstehen, nicht aber zu seinem Zeitplan. Wir werden die allgemeine Akzeptanz für einen früheren Ausstieg erhöhen durch eine Beschleunigung der Energiewende; und wir werden veränderte politische Mehrheiten im Bundestag dafür nutzen, alle dafür notwendigen politischen Prozesse und Gesetzesänderungen anzustoßen und durchzusetzen.“

„Sicherheit ist nicht verhandelbar!“
Konkret wurde eine ganzes Bündel von Maßnahmen beschlossen, mit dem der Atomausstieg im Falle einer grünen Regierungsbeteiligung ab 2013 beschleunigt werden soll: So soll der umstrittene Paragraph 7d wieder aus dem Atomgesetz gestrichen werden. Mit diesem Paragraphen hatte Schwarz-Gelb den AKW-Betreibern im vergangenen Herbst eine Art Sicherheitsrabatt eingeräumt -dagegen laufen auch mehrere Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht unter anderem von Bündnis 90/Die Grünen und Greenpeace. Das noch in der Amtszeit von Jürgen Trittin Auftrag gegebene neue Kerntechnische Regelwerk soll endlich in Kraft gesetzt werden. Die neue grün-rote Landesregierung kündigte bereits an, die neuen Sicherheitsregeln für die Atomkraftwerke anzuwenden. Außerdem sollen die Atomreaktoren in Grunremmingen „schnellstmöglichst“ abgeschaltet, forderte der Parteitag. Die Atomkraftwerke in Gundremmingen sind die letzten noch betriebenen Siedewasserreaktoren in Deutschland, sie ähneln stark den Unglücksreaktoren in Fukuschima. Nach den schwarz-gelbem Ausstiegsgesetz soll Gundremmingen B erst 2017 und Gundremmingen C erst 2021 vom Netz gehen. „Alle AKW müssen den Nachweis erbringen, dass ein Absturz eines Passagierflugzeugs nicht zu einer nuklearen Katastrophe führt. Wenn Nachrüstungen erfor- derlich werden, darf deren Anordnung durch die Atomaufsicht nicht zu Entschädigungs- pflichten der Allgemeinheit gegenüber den Betreibern führen. Wir wollen die entsprechende Passage im Atomgesetz streichen“,heißt es in dem Beschluss.

Neben strengeren Sicherheitsauflagen wollen die Grünen die Brennelementsteuer beibehalten und erhöhen sowie die steuerfreien Rückstellungen der Stromkonzerne für den Rückbau der Atomkraftwerke in einen öffentlich-rechtlichen Fonds überführen. Außerdem sollen sich die Atomkraftwerksbetreiber höher gegen Atomunfälle versichern müsse. Sollte dafür keine Versicherung am Markt verfügbar sein, sollen die Konzerne verpflichtet werden, beim Staat gegen eine Gebühr eine Versicherung abzuschließen. Außerdem forderte der Parteitag die grüne Bundestagsfraktion auf, sich für die Aufnahme des Atomausstiegs ins Grundgesetz einzusetzen.

Durch die strengeren Sicherheitsauflagen und die Beseitigung von finanziellen Privilegien der Atomindustrie würde der Betrieb von Atomkraftwerken unwirtschaftlicher werden. Sollten die Grünen das alles tatsächlich ab 2013 umsetzen, würden die Atomkraftwerke wahrscheinlich schon deutlich früher stillgelegt, als im schwarz-gelben Ausstiegsfahrplan vorgesehen. Wir werden die Grünen beim Wort nehmen und sehr genau beobachten, ob sie auch tatsächlich tun, was sie versprochen haben.

Natürlich ist es ein Widerspruch, wenn die Grünen einerseits Merkels Ausstieg im Schneckentempo ihren Segen geben und andererseits versprechen, den Ausstieg zu beschleunigen, wenn sie wieder mitregieren. Oder dass sie einerseits die Pläne als unsinnig und gefährlich kritisieren, ein Atomkraftwerk in die sogenannte „Kaltreserve“ zu übernehmen und gleichzeitig dafür stimmen. Aber natürlich wäre auch ein „Nein“ zu Merkels Atomausstieg nicht frei von Widersprüchen gewesen, denn das schwarz-gelbe Ausstiegsgesetz ist an einem wichtigen Punkt besser als der ursprüngliche rot-grüne Atomkonsens: Es gibt jetzt feste Abschalttermine für die einzelnen Atomkraftwerke. Nachdem rot-grünen Gesetz wäre das letzte AKW wahrscheinlich erst irgendwann zwischen 2023 und 2027 stillgelegt worden – je nachdem, wie schnell die den einzelnen AKWs zugestandene Reststrommengen produziert worden wäre. Die Mehrheit der Grünen-Delegierten fürchtete offenbar, es sei nicht vermittelbar, wenn die Grünen einen Atomausstieg ablehnen, der immerhin ein bisschen besser ist als der rot-grüne. Daher reicht ein schlichtes „Ja“ oder „Nein“ zu den schwarz-gelben Plänen nicht aus. Man kann eigentlich nur „Ja, aber“ oder „Nein, aber“ dazu sagen. Doch auch wenn vielen Campact-Aktiven ein „Nein, aber“ zu Merkels Plänen lieber gewesen wäre als dieses „Ja,aber“ so ist es doch ein Erfolg, dass sich die Grünen deutlicher als im ursprünglichen Antrag der Parteispitze für einen schnelleren Atomausstieg ausgesprochen haben. Protest wirkt!

Der Kampf geht weiter!
Mit der sofortigen Abschaltung von acht besonders störanfälligen Atomkraftwerken und der Rücknahme der erst im vergangenen Herbst von Schwarz-Gelb durchgeboxten Laufzeitverlängerungen hat die Anti-Atom-Bewegung einen wichtigen Etappensieg errungen, aber wir sind noch nicht am Ziel. Mit einer Aktion vor dem Bundestag wollen direkt vor der endgültigen Verabschiedung des Atomgesetzes am Donnerstag im Bundestag noch einmal deutlich machen, dass wir Bürgerinnen und Bürger nicht noch ein ganzes Jahrzehnt lang mit dem tödlichen Atomrisiko leben wollen. Mit großen Ortsschildern zeigen wir, dass der Protest auch in Zukunft weitergeht: Nicht nur an den verbleibenden Atomkraftwerken, sondern auch in Gorleben oder der Urananreicherungsanlage Gronau. Die Aktion findet am Donnerstag, 30. Juni 2011 von 8.30 bis 9.00 Uhr, Heinrich-von-Gagern-Straße, auf der Westseite der Reichstagswiese statt.

Autor*innen

Yves Venedey war Campaigner im Kampagnen-Team 1, verantwortlich für Klima-Themen. Er war schon Marktforscher, Briefträger, Geschäftsführer, Journalist und Pressesprecher. Yves Venedey ist Autor des Buchs "Abschalten", das 2011 im Fischer Verlag erschienen ist. Alle Beiträge

13 Kommentare

Kommentare sind geschlossen
  1. Von:
    „Gerhard Klefenz“
    An: verwaltung@vgh-kassel.justiz.hessen.de
    Betreff: Fwd: Fwd: Fwd: Klage RWE
    Datum: Fri, 29. Apr 2011 10:01:58

    ——– Original-Nachricht ——–
    Datum: Fri, 29 Apr 2011 10:01:12 +0200
    Von: „Gerhard Klefenz“
    An: bverfg@bundesverfassungsgericht.de
    Betreff: Fwd: Fwd: Klage RWE

    ——– Original-Nachricht ——–
    Datum: Fri, 29 Apr 2011 10:00:14 +0200
    Von: „Gerhard Klefenz“
    An: info@stk.hessen.de
    Betreff: Fwd: Klage RWE

    Z.Hd. des Hessischen Umweltministers

    Anbei meine Mails u.a. BVG

    ——– Original-Nachricht ——–
    Datum: Fri, 29 Apr 2011 08:19:07 +0200
    Von: „Gerhard Klefenz“
    An: verwaltung@vgh-kassel.justiz.hessen.de
    Betreff: Klage RWE

    Anbei Mail an BVG zur Kenntnisnahme

    ——– Original-Nachricht ——–
    Datum: Fri, 29 Apr 2011 07:47:19 +0200
    Von: „Gerhard Klefenz“
    An: bverfg@bundesverfassungsgericht.de
    Betreff: Kernenergie

    Damit die Kernkraftwerke geplant, gebaut und an das Netz gehen konnten, hat der Gesetzgeber per Gesetz ein Endlager vorausgesetzt.

    Gerhard Klefenz

    Wenn die Klagen der RWE unter Aktenzeichen:6 C 824/11.T und 6 C 825/11.T fortgeführt werden sollten, ist auf jeden Fall um Schaden vom Staat abzuwenden,eine Aussetzung des Verfahrens und die Überprüfung der Rechtslage durch das Bundesverfassungsgericht zu beantragen

    Gerhard Klefenz

    Kopie u.a. an BVG

  2. Ich finde das der Atomausstieg viel zu schnell übers Knie gebrochen wird.Man hätte nicht der“Fukuschima Hysterie“folgen sollen.Sondern den Weg wie es Umweltminister Röttgen vor hatte folgen.
    Dies hätte verstärkt zum Schuldenabbau,zur Förderung der erneuerbaren Energien,die Speicherfähigkeit,bezahlbare Stromrechungen geführt.
    Wenn ich sehe das im Schwarzwald ein Pumpspeicherkraftwerk mit 1000Mw gebaut wird.Selene Fauna und Flora zerstört wird.Das Monstrum 1,1Mill.Euro kostet das stellt es mir die Haare zu Berge.
    Da sollen von mir aus Neckarwestheim oder Isar 1,fünf Jahre länger laufen bis dies mit erneuerbaren Energiequellen gedeckt wird.Von einem Sieg wie es die Großaufsprecherin Renate Künast formuliert hat kann ich nicht sprechen.Wir stehen erst aum Anfang der Energiewende.Es sollte hier mit Verstand und Weitblick gehandelt werden als mit Idealismus.

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