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Internet-Kampagnen: Es kommt darauf an, was man daraus macht

Manche BeobachterInnen sehen im Internet, wenn auch nicht den Hebel zur gesellschaftlichen Demokratisierung, so doch zumindest den zu einer Stärkung sozialer Bewegungen gegenüber Wirtschaft und Politik. Diesen “Internet-Optimisten” stehen die “Internet-Pessimisten” gegenüber. Sie beklagen, dass wirkungsvolles weil offline stattfindendes Engagement zunehmend durch rein virtuelles Engagement ersetzt werde. Aber beide Perspektiven vergessen, dass wir es selbst […]

Manche BeobachterInnen sehen im Internet, wenn auch nicht den Hebel zur gesellschaftlichen Demokratisierung, so doch zumindest den zu einer Stärkung sozialer Bewegungen gegenüber Wirtschaft und Politik. Diesen “Internet-Optimisten” stehen die “Internet-Pessimisten” gegenüber. Sie beklagen, dass wirkungsvolles weil offline stattfindendes Engagement zunehmend durch rein virtuelles Engagement ersetzt werde. Aber beide Perspektiven vergessen, dass wir es selbst in der Hand haben, ob das Internet unseren politischen Einfluss vergrößert oder ihn schwächt.

Die Logik kollektiven Handelns

Als BürgerIn stehen wir bei jeder Begegnung mit gesellschaftlicher Ungerechtigkeit vor der Frage, schlucken wir unsere Empörung herunter oder nehmen wir sie als Ausgangspunkt für Engagement. Allzu oft schlucken wir sie aus Gründen herunter, die durchaus als rational zu bezeichnen sind. Der amerikanischen Ökonom Mancur Olson hat in seinem Buch Die Logik kollektiven Handeln die Herausforderung treffend analysiert: Unser Engagement – egal wie es aussieht – kostet uns in jedem Fall Zeit und Energie. Klar ist auch, dass unser Engagement nur dann nicht verpuffen wird, wenn viele unserer MitbürgerInnen ebenfalls aktiv werden – im besten Fall auch noch langfristig und koordiniert.

Aber wie sollen wir mit vertretbaren Aufwand herausfinden, wie die Chancen stehen? Das ist nicht so einfach. Und deswegen neigen viele Menschen dazu, sich normalerweise zu denken: “Wenn nur wenige Menschen protestieren, wäre mein Beitrag umsonst gewesen. Wenn jedoch sehr viele Menschen aktiv werden, steigen zwar die Erfolgschancen des Protestes. Aber auf meinen persönlichen Beitrag kommt es dann ja auch nicht mehr an.” Zum Glück haben zu allen Zeiten Menschen erkannt, dass dieses Gedankenspiel jeglichen Versuch des Protestes zum Scheitern verurteilen würde.

Über 120.000 Unterschriften und eine Aktion vor der Sitzung des Bundeskabinetts hatten Erfolg: Agrarministerin Aigner gab ihren Widerstand gegen ein neues Baugesetz von Minister Ramsauer auf.

Das Internet hat aus zwei Gründen das Potential, dieses Dilemma etwas zu entschärfen. Es bietet nicht nur neue Möglichkeiten, sich mit minimalen Aufwand politisch zu engagieren, sondern es macht auch viel einfacher festzustellen, ob wir mit unserer Empörung allein sind oder uns im Gegenteil sehr leicht mit gleichgesinnten BürgerInnen vernetzen können.

Ganz offensichtlich ist dies im Falle von Online-Appellen: Nur wenige Minuten dauert die Teilnahme an dieser Aktionsform und jeder kann sehen wieviele Menschen bereits ihrer politischen Meinung Ausdruck verliehen haben. So sinkt das Risiko, sein Engagement scheinbar zu verschwenden, enorm: Der Aufwand für mein Handeln ist minimal und die Chance, dass mir viele folgen sehr groß. So ist es für Campact mittlerweile ein leichtes, binnen weniger Tage über 100.000 Unterschriften unter einem Appell zu sammeln. Der Aufwand im vordigitalen Zeitalter auf ähnliche Zahlen zu kommen, war im Vergleich dazu immens.

Die ökonomische Theorie der Politik

Dieser massive Vorteil digitalen politischen Engagements ist in politischer Hinsicht gleichzeitig seine größte Schwäche. Um dies zu verstehen, müssen wir für einen Moment in die Perspektive der politischen EntscheidungsträgerInnen wechseln. Diese stehen im Prozess des Regierens vor der kontinuierlichen Herausforderung, abzuwägen zwischen ihren eigenen politischen Präferenzen, der öffentlichen Meinung und den oft widersprüchlichen Forderungen von unterschiedlichsten Lobby-Gruppen. Die Antwort auf die Frage, wie sich die eigene Positionierung auf die persönliche politische Karriere auswirken und ob signifikante Verluste für die eigene politische Partei drohen, spielen eine große und oft herausragende Rolle.

Natürlich können PolitikerInnen nicht vermeiden, auch Entscheidungen zu treffen, die den Ansichten einer Mehrheit der Öffentlichkeit widersprechen. Das Kunststück besteht für sie darin, dies möglichst nur bei Themen zu tun, denen die Öffentlichkeit keine besonders hohe politische Bedeutung zuweist. Wenn PolitikerInnen dieser Spagat nicht gelingt, droht ihnen bei der nächsten Wahl die Rechnung dafür.

Hier kommen nun Protestbewegungen ins Spiel: Proteste – insbesondere zahlenmäßig große – sind ein verlässlicher Indikator dafür, dass ein Teil der Öffentlichkeit nicht nur eine Meinung zu einem Thema hat, sondern ihr dieses Thema auch wichtig ist. Über den Umweg der massenmedialen Berichterstattung haben die Protestierenden zudem auch gute Chancen, ihre MitbürgerInnen zu überzeugen, dass es um etwas geht. Das gilt zunächst für alle Formen von Protesten – egal ob im Internet oder auf der Straße.

Doch jedem Abgeordneten, jedem/jeder MinisterIn und auch den Journalisten ist klar, dass es deutlich einfacher ist, 10.000 Menschen unter einem Online-Appell zu versammeln als zur Teilnahme an einer Demonstration zu mobilisieren. Trotzdem reicht in manchen Fällen Online-Aktivismus aus, um politische Erfolge zu erzielen – insbesondere dann, wenn Online-Protest mit der glaubhaften und impliziten Botschaft verknüpft ist: “Wenn nötig, dann gehen wir auch auf die Straße.” Dass die Campact-Aktiven dazu auch bereit sind, haben sie in der Vergangenheit mehr als einmal bewiesen.

Fazit

Diese Analyse führt in meinen Augen zu einem eindeutigen Fazit: Online-Aktionen sind ein effektives Mittel, schnell und kostengünstig Massenprotest zu organisieren, der manchmal sogar schon reicht, um ans Ziel zu kommen. Häufig aber ist es nötig, durch symbolische Aktionen, Unterschriftenübergaben oder größere Aktionen und Demonstrationen die politische Wirkung zu verstärken, um so überhaupt erst in Politik und Medien wahrgenommen zu werden. Die Beteiligung an Online-Protest ist somit kein Engagement zweiter Klasse, aber macht zugleich die Teilnahme an Aktionen, Kundgebungen und Demonstrationen in der realen Welt nicht überflüssig.

Dieser Text ist die ungekürzte Version eines Aufsatzes der unter dem Titel “Möglichkeiten und Grenzen von Internet-Kampagnen” in der Ausgabe 2/2012 des Magazins der Heinrich-Böll-Stiftung erschienen ist.

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Autor*innen

Dr. Felix Kolb ist Politikwissenschaftler. Er promovierte zwischen 2002 und 2005 an der FU Berlin über die politischen Auswirkungen sozialer Bewegungen. Seine Dissertation erschien im Campus-Verlag. Nach dem Studium war er Pressesprecher von Attac. Zusammen mit Christoph Bautz stieß er die Bewegungsstiftung an und initiierte mit ihm und Günter Metzges Campact. Er ist seit April 2008 Geschäftsführender Vorstand. Auf Twitter findet man ihn unter @felixkolb Alle Beiträge

6 Kommentare

Kommentare sind geschlossen
  1. Und was ist mit den E-Petitionen in puncto Bundestag? Sie können sehr wohl Auswirkungen haben …
    Wie oft musste ich mir schon anhören: „Da kann man nichts ändern“ bzw. „machen“.
    Resignation oder einfach nur Bequemlichkeit als Entschuldigungsgrund oder faule Ausrede, nichts tun zu müssen?
    Ich beteilige mich eher an Online-Protesten oder auch postalisch, sammle aber manchmal überdies z.T. Unterschriften, doch in meiner Region scheinen die Leute vielmehr desinteressiert zu sein.
    „Ändere Du doch!“ hat mir jemand etwas unwirsch gesagt …
    Ja, gut … Ich alleine kann nicht viel ausrichten, wenn aber mehrere oder viele mitmachen, dann kann man durchaus etwas bewirken!
    Ich lasse mir von solchen Pessimisten oder sogar Fatalisten, die meinen: „Da kann man nichts machen!“, nicht die Laune verderben – und engagiere mich erst recht – für eine gute Sache, zumindest online!
    Schließlich muss ja einer den Anfang machen, einen leichten, aber gezielten Anstoß geben … wie beim Dominoeffekt!

  2. Hallo zusammen,

    die liebe Sandra hat mich auf diesen Beitrag zu Möglichkeiten und Grenzen des Online-Aktivismus aufmerksam gemacht. Vielen Dank dafür!

    Nach der Lektüre mehrerer Einschätzungen zum selben Thema (u.a. von netzpolitik.org und Internet-Law) habe ich heute morgen erst getwittert, „in der Netz-Diskussion um Sinn und Unsinn von #Petitionen zeichnet sich ab, dass Petitionen vor allem Lärm machen und deshalb sinnvoll sind.“ Ich sehe mich an dieser Stelle bestätigt und will ergänze hier einige Gedanken dazu:

    Petitionen sind eine Form politischer Teilhabe, die zunächst kaum Auswirkungen auf die Legislative hat. Es ist richtig: Petitionen weichen den politischen Indikator der Beteiligung an einer politischen Aktion auf. Man kann nicht sagen, dass die Zahl der Petitionszeichner!nnen in direktem Zusammenhang mit der öffentlichen Wahrnehmung eines Themas steht. Man kann aber durch aus sagen, dass Petitionen — vor allem solche, die in kurzer Zeit viele Menschen mitzeichnen — (noch) ziemlichen Krach machen und das Thema auf diese Weise in die politische Öffentlichkeit zerren.

    Nun vermute ich, das auch Politikerinnen und Politiker lernfähige Wesen sind, die sich künfitig immer weniger auf den Krach konzentrieren werden, den Online-Petitionen machen können. Vielmehr steht zu vermuten, dass sie die Beteiligung an Protesten und Aktionen abwarten, die mehr Commitment brauchen und deshlab verlässlichere Indikatoren für öffentliches Interesse sind. Online-Petitionen werden wohl dementsprechen immer mehr zu Vorbereitungen wirksamen Protests und laufen dementsprechend Gefahr aus der Mode zu kommen.

    Gruß
    Hannes Jähnert

    PS: Um an dieser Stelle auch einmal eine Lanze für die Politik zu brechen: Die Politik beschränkt sich nicht nur auf die hier überbetonte symbolische Politik. Ein wesentlicher Teil ist die praktische Politik, die mir leider in der öffentlichen Debatte um Bürgerbeteiligung viel zu kurz kommt.

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