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TTIP: Der Druck im Kessel steigt

Dampf machen gegen TTIP: Dafür war sie zehn Stunden unterwegs, die Kartoffeldämpfmaschine Baujahr 1906. Gerhard von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) hatte das gute alte Stück vom platten Land bis vor die US-Botschaft in Berlin gefahren. Und dort verbreitete sie, während in ihren Kesseln Kartoffeln garten, brav mächtige Dampfwolken – eingerahmt von einem Riesen-Chlorhuhn und […]

Dampf machen gegen TTIP: Dafür war sie zehn Stunden unterwegs, die Kartoffeldämpfmaschine Baujahr 1906. Gerhard von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) hatte das gute alte Stück vom platten Land bis vor die US-Botschaft in Berlin gefahren. Und dort verbreitete sie, während in ihren Kesseln Kartoffeln garten, brav mächtige Dampfwolken – eingerahmt von einem Riesen-Chlorhuhn und vielen bunten Protestbannern.

Einen Tag nach dem Berlin-Besuch der TTIP-Chefverhandler protestierten wir mit dem Bündnis „TTIP unfairhandelbar“ gegen das Abkommen und die Arroganz der Macht, die die Verhandlungen antreibt. „Sie haben 470.000 Unterschriften gesammelt – aber wir repräsentieren 500 Millionen“ – der herablassende Kommentar von EU-Handelskommissar de Gucht bringt die über 300 Demonstrant/innen sichtlich auf die Palme. Bürger/innen, die sich kritisch zu Wort melden, gar Politik mitgestalten wollen, sind in der Kommissionswelt offensichtlich nicht vorgesehen. Doch das könnte sich bald ändern – denn bald wird bekanntlich EU-weit gewählt.

„Wer Bürger und Bauern quält, wird nicht gewählt!“

Was dann passiert, sagt Georg Janßen (AbL) gleich zu Aktionsbeginn. „Wer Bürger und Bauern quält, wird nicht gewählt!“ Denn angesichts der Markt- und Lobbymacht von US-Agrarkonzernen müssen viele Bauern um ihre Existenz fürchten – und um mehr. Der „Abbau von Handelshemmnissen“ droht nicht nur auf den Import von Hormonfleisch und Chlorhühnern hinauszulaufen, sondern auch auf die breite Zulassung von genmanipulierten Nahrungsmitteln und den Wegfall jeglicher Kennzeichnungspflicht. Die Zulassung von Monsanto-Genmais in der EU erscheint im Licht des Verhandlungstisches wie die eilfertige Vorwegnahme des Vertragsabschlusses. Und auch milliardenschweren Konzernklagen gegen Staaten, die missliebige Gesetze zum Schutz von Umwelt, Verbrauchern und Arbeitenden erlassen, wird schon der Boden bereitet. Das EU-Parlament nickte vor wenigen Tagen eine Richtlinie ab, die regelt, an welche Steuerkassen sich Konzerne im Bedarfsfalle wenden sollen. Linke und Grüne hatten gefordert, die Abstimmung zumindest auszusetzen – vergebens. Mit den Stimmen von Union, FDP und auch der meisten SPD-Abgeordneten war die Richtlinie nach nur 40 Minuten Debatte beschlossene Sache.

Wo steht die SPD?

Mangel an Glaubwürdigkeit musste sich deshalb Wolfgang Tiefensee (SPD) vorwerfen lassen, der sich als einziger Koalitionsvertreter ans Mikro traute. Angesichts des wachsenden und ihm zunehmend auf die Pelle rückenden Protests will SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz zwar angeblich einen „Neustart“ der TTIP-Verhandlungen – doch gleichzeitig schafft die große Mehrheit der SPDler im Parlament mit ihrem Ja zur Konzernklage-Richtlinie Fakten. Wo steht die SPD? Tiefensee warb um Vertrauen – und musste zugleich zugeben, einschlägige Vertragsdokumente gar nicht zu kennen. „Dampfplauderei!“ zischte es aus dem Publikum. Ob die SPD nun für oder gegen TTIP (und das ähnlich gestrickte EU-Kanada-Abkommen CETA) stimmen werde, wusste man nach Tiefensees Rede nicht. Klare Position gegen TTIP bezogen hingegen Heike Hänsel für die Linke sowie Bärbel Höhn für die Grünen.

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Zehn Vertreter/innen der inzwischen 61 Organisationen im „TTIP unfairhandelbar“-Bündnis machten in ihren Redebeiträgen „Segnungen“ deutlich, die TTIP verspricht: Verseuchtes Trinkwasser durch Fracking. Neue Finanzkrisen durch erneute Deregulierung der Banken. Privatisierung öffentlicher Daseinsvorsorge. Schwächung von Arbeitnehmerrechten. Ein transatlantischer „Regulationsrat“, der Gesetzesvorhaben auf Konzerninteresse trimmt, noch bevor sie in die Parlamente gehen – die Selbstabschaffung der Demokratie.

Bittere Lehren aus NAFTA

TTIP ablehnen – ist das ein europäischer Spleen, provinziell, gar anti-amerikanisch? Nein, es ist einfach nur vernünftig, verdeutlichten gleich zwei nordamerikanische Rednerinnen. Prof. Elena Alvarez Buylla, eine der führenden mexikanischen Biologinnen, berichtete von den katastrophalen Auswirkungen, die das TTIP-ähnliche Handelsabkommen NAFTA in Mexiko hatte. Transgener Konzernmais ersetzt dort inzwischen die einst unübertroffene Sortenvielfalt, viele Kleinbauern mussten ihr Land an Konzerne verkaufen, Hunderttausende Arbeitsplätze wurden vernichtet, die Schere zwischen Arm und Reich ging noch weiter auseinander. Auch die NAFTA-Bilanz der USA ist alles andere als rosig: Entgegen vollmundiger Versprechungen von Wirtschaftswachstum und neuen Arbeitsplätzen gingen auch dort Hunderttausende Jobs verloren. Ein Grund für den auch in USA wachsenden Widerstand gegen TTIP – neben der begründeten Furcht, auf Druck der Bankenlobby könne die nach der Krise verstärkte US-Finanzmarktregulierung bald wieder Schnee von gestern sein. Die Konfliktlinie verläuft nicht zwischen Europa und den USA, sondern zwischen Bürger/innen und Konzernen – und die Menschen dies- und jenseits des Atlantiks gemeinsam können TTIP stoppen: Diese klare, ermutigende Botschaft gab Shefali Sharma vom Institute for Agriculture and Trade Policy (Minnesota/Washington) zum Abschluss allen auf den Weg.

Vor der Heimfahrt gab es für alle noch leckere Dampfkartoffeln mit Quark. Kartoffelsorten wie „Selena“ und „Rosabelle“, die unter Monsanto-Regime bald Geschichte wären. Die großzügige Verköstigung durch die AbL machte Lust auf mehr – und auch die Aktion heute war nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was Bundesregierung und EU-Kommission an Protest zu erwarten haben, wenn TTIP weiter verhandelt wird.

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Autor*innen

Annette Sawatzki, Jahrgang 1973, studierte Philosophie, Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre in Bonn, Berkeley und Hamburg. Sie arbeitete als Dokumentarin, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Büroleiterin von Bundestagsabgeordneten. Ihre Schwerpunkte als Campaignerin bei Campact liegen in der Sozial-, Wirtschafts- und Finanzpolitik. Alle Beiträge

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