Zwei NSA-Spione packen aus: Endlich wird Klartext geredet!
Die beiden NSA-Aussteiger belegen: Deutsche Geheimdienste waren mittendrin und nicht nur dabei.
Wenn William Binney über die NSA spricht, dann aus eigener Erfahrung. 30 Jahre lang war Binney technischer Direktor bei dem US-Geheimdienst. 2001, zwei Wochen nach den Anschlägen in New York, quittierte er seinen Dienst – die Befehle zur Massenüberwachung wollte er nicht umsetzen. Gemeinsam mit dem Ex-NSA-Mitarbeiter Thomas A. Drake offenbart er vor dem NSA-Untersuchungsausschuss, wie weit die Überwachung der NSA wirklich geht und wie bereitwillig deutsche Dienste mitgespielt haben. Netzpolitik.org hat bei der letzten Sitzung des NSA-Untersuchungsausschusses umfassend mitprotokolliert, was die beiden NSA-Aussteiger zu berichten hatten. Wir haben die wichtigsten Aussagen auf Basis dieses Protokolls zusammengefasst.
Zwei NSA-Spione packen aus: „Der BND ist zum Wurmfortsatz der NSA geworden“
Nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York sei laut Binney und Drake nichts mehr wie zuvor gewesen. Die NSA habe damals damit begonnen die Welt und US-Bürger flächendeckend und systematisch abzuhören. Die NSA verschaffte sich direkten Zugriff zu den Glasfasernetzen. Zugriff auf die NSA-Datenmengen hätten zahlreiche US-Behörden. Die NSA speichere die Daten quasi für immer. Seit 2001 könne jeder ins Raster geraten. Im ersten Teil der Sitzung brachte Binney es auf den Punkt:
„Wir haben uns wegbewegt von der Sammlung dieser Daten hin zur Sammlung von Daten der sieben Milliarden Menschen unseres Planeten.“
Die Vollüberwachung der Gesellschaft nannte Binney die größte Bedrohung der Demokratie seit dem amerikanischen Bürgerkrieg. Noch fehle es an Analysewerkzeugen, um die Daten voll nutzen zu können.
Der Ex-NSA-Mitarbeiter warnte vor totalitären Zügen des Systems NSA. Seine Bevölkerung auszuspionieren sei für ihn der Anfang von Totalitarismus. Die selbstverordnete Doktrin der „Total Information Awareness“ bedeute, dass die NSA alle Informationen will. Und zwar von allen.
Binney: „Wir gingen von konkreten Zielen hin zu allen Daten von allen sieben Milliarden Menschen. Das hat uns dysfunktional gemacht. Total Information Awareness wollte alles von allen Bevölkerungen wissen. Das ist Totalitarismus.“
Bis 2001 habe er alle Datensätze stets verschlüsselt, um sie so vor unbefugtem Zugriff zu schützen und nur bei einem vorliegenden Gerichtsbeschluss wieder entschlüsselt. Dieses Prinzip sei aber 2001 über Bord geworfen worden. Außerdem wurden die Daten laut dem Ex-NSA-Mitarbeiter Binney seit 2002 systematisch zweckentfremdet. Damit die US-Drogenbehörde Datensätze der NSA nutzen konnte, wurden die Datensätze durch Parallelstrukturen „gewaschen“, um die illegale Herkunft vor Gericht zu verschleiern. Binney warnte davor, dass so gerichtliche Prozesse ausgehebelt werden. Dass derartige Parallelstrukturen derzeit schon genutzt werden, habe laut seiner Aussage erst kürzlich das Beratungsgremium von Barack Obama ganz offiziell zugegeben.
Binney: „Das ist eine Zersetzung unseres Gerichtssystems, und nicht nur unseres. Und Bewegungen wie Occupy oder die Tea-Party-Bewegung sind auch davon betroffen. Die Gründer der USA wollten der Regierung diese Macht untersagen.“
Binney bestätigte, dass die NSA innerhalb der USA zahlreiche Anzapfstellen von Glasfaserkabeln bei Telekommunikationsunternehmen unterhalte. Weltweit geht er von Hunderten aus. Dort wird der Datenverkehr direkt für den Geheimdienst abgezweigt. Das neue Rechenzentrum der NSA in Bluffdale, Utah, solle der NSA helfen, dieser riesigen Datenmasse Herr zu werden. Man habe bei der NSA genug Geld, um hunderte oder tausende große Glasfaserkabel anzuzapfen, so Binney.
Binney: „Das braucht man nicht, wenn man nicht die ganze Menschheit abhört. Es gibt weitere Datenzentren: Einmal 40.000 Quadratfuß in San Antiono, Texas, eins in Fort Meade, und noch ein neues mit 600.000 Quadratfuß. Das ist Total Information Awareness.“
Die durch Snowden aufgedeckte Zusammenarbeit zwischen NSA und Internet-Anbietern bei der Massenüberwachung sei ebenso erst nach 2001 eingeführt worden, wie das Anzapfen von Datenspeichern großer Internetkonzerne. Die NSA sei außerdem dazu übergegangen Journalisten aus aller Welt gezielt auszuspionieren. Man wolle ihre Quellen wissen, so Binney. Er selbst habe erst sehr spät das große Ganze gesehen und bis da hin geglaubt, das System würde funktionieren. Er habe sich jedoch geirrt, bedauerte der NSA-Aussteiger. Nach dem Grund für die Merkel-Überwachung gefragt, gab Binney an, es gehe schlicht darum etwas gegen die abgehörten Politiker in der Hand zu haben.
Gegen Binneys damaligen Pläne, das NSA-Netz samt Datenzugriffe durch die Mitarbeiter überwachen zu lassen, rebellierten Analysten und Manager. Ausgerechnet die Überwacher wollten sich nicht überwachen lassen, dabei hätte ein derartiges System helfen können, Missbrauch durch beispielsweise willkürliche und illegale Datenzugriffe aufzudecken. Da außerdem viele Systeme zur Massenüberwachung von privaten Dienstleistern betrieben werden, könne es bei Wirtschaftsspionage zu Interessenkonflikten kommen. Snowden war schließlich auch kein NSA-Mitarbeiter, sondern arbeitete für ein Privatunternehmen.
Binney erklärte außerdem, die NSA greife wahrscheinlich das gesamte TOR-Netzwerk an und versuche die Nutzer zu deanonymisieren. TOR ist ein kostenloses Anonymisierungsnetzwerk, dass von Journalisten und politischen Widerstandsgruppen weltweit genutzt wird. Konkrete Verbesserungen sieht er in den USA derzeit nicht, da nach wie vor eine neutrale Aufsicht der Geheimdienste fehle. Dass nun sogar die Vorratsdatenspeicherung in den USA legalisiert werden soll, davon hält Binney nichts:
Binney: „Die Metadaten jetzt bei den Unternehmen zu speichern ändern nichts. Man sollte sie gar nicht speichern.“
Nach Binney wurde mit Thomas A. Drake ein weiterer ehemaliger NSA-Insider vorgeladen. Die Anwältin von Binney und Drake richtete folgende Worte vorab an den Ausschuss:
„Meine Klienten gehen große Risiken ein, hier zu ihnen zu sprechen. Es gibt keine sicheren internen Kanäle, um Kritik an der NSA zu üben. Danke, dass Sie ihn anhören.“
Der NSA-Whistleblower Drake dankte zunächst für die Einladung vor dem Ausschuss aussagen zu können, schließlich gebe es in den USA keine Vergleichbare Aufarbeitung durch einen Untersuchungsausschuss. Drake war zwischen 2001 und 2008 Security Engineer bei der NSA. Er spricht Klartext über die Entwicklungen nach 2001, also die Zeit nach der sich Binney längst bei der NSA ausgeklinkt hatte. Wie Snowden entschloss sich Drake vor Jahren an die Öffentlichkeit zu gehen.
Drake: „Nach 9-11 ging die amerikanische Führung in den Krieg gegen den Terrorismus: “you’re either with us or you’re with the terrorists.” Geheimhaltung zerstört Demokratie. Und absolute Geheimhaltung zerstört Demokratie absolut. Die Bush- und Obama-Architektur des Sicherheitsstaats gefährdet den Kern der Demokratie. Wenn wir unsere Grundfreiheiten aufgeben, gewinnt ein geheimer Sicherheitsstaat. […] Die deutsche Öffentlichkeit muss wissen, was die NSA hier tut. Der BND ist zum Wurmfortsatz der NSA geworden, und macht auch Massenüberwachung, nicht nur hierzulande. Wir stehen an der Klippe und stehen vor dem Abgrund des panoptischen Überwachungsstaats. Die US-Regierung verletzt Grundrechte in industriellem Maßstab. Ich weiß das, weil ich Augenzeuge war. Ich war da am Anfang. Diese Überwachungsmaßnahmen wurden in den ersten Wochen nach 9-11 von der höchsten politischen Führungsebene beschlossen.“
Er berichtet, die NSA höre ebenso alle US-Bürger ab und habe den größten Werkzeugkasten an Überwachungsmaßnahmen errichtet, der je existierte. Drake, dessen erster Arbeitstag bei der NSA der Tag der Anschläge auf das New Yorker World Trade Center war, erklärte:
Drake: „Ich hätte nie gedacht, dass die USA die Stasi noch übertreffen würde.“
Seine zunächst interne Kritik, die er gegen die immer neuen Überwachunspläne äußerte, verhallte wirkungslos. Auch der Bundesnachrichtendienst (BND) bekommt von Drake sein Fett weg. Es gäbe Abkommen, die die Herkunft durch illegale Überwachung gesammelter Daten verschleiern sollen („parallel construction“).
Drake: „Es gibt Abkommen zwischen NSA und BND von 2002. Und es gibt Abkommen zwischen FBI und BKA, die “parallel construction” hierzulande erlauben. Was ist mit Vorratsdatenspeicherung? Ich dachte, die ist verfassungswidrig. Der BND tut Sachen, die verfassungswidrig sind. Und er bekommt Daten von der NSA, die verfassungswidrig erlangt wurden. […] Deutschland nimmt eine zentrale Rolle in der Überwachungsindustrie ein.“
Der Ausschuss müsse endlich die Untiefen der Kooperation zwischen NSA und deutschen Geheimdiensten ergründen. Man müsse sich endlich von den Ketten der NSA befreien, so Drake.
Drake: „Die Privatsphäre ist die letzte Verteidigungslinie gegen Tyrannei. Es gibt keinen Gegensatz von Freiheit und Sicherheit.“
Drake bestätigte, dass Google kurz nach den Anschlägen auf das World Trade Center ein enges Verhältnis mit der NSA begonnen habe. Er habe persönlich in seiner Zeit bei der NSA diese Zusammenarbeit miterlebt. Auf Nachfrage der Abgeordneten Renner von der Linken sagte der Ex-NSA-Mitarbeiter Drake aus, es gebe selbstverständlich einen Ringtausch zwischen deutschen und amerikanischen Geheimdiensten bei denen die Dienste jeweils die Daten des anderen über die eigenen Bürger erlangen, die sie offiziell nicht selbst sammeln dürfen. Drohnen der US-Streitkräfte seinen auch von Deutschland aus gesteuert worden und die von deutschen Geheimdiensten gelieferten Informationen seinen auch für Drohneneinsätze verwendet worden.
Abschließend appellierte Drake an die Mitglieder des Ausschusses:
Drake: „Ich kann Ihnen hier keine geheimen Dokumente geben, nur Hinweise, die richtigen Fragen zu stellen. Sie brauchen mehr Whistleblower aus dem BND. Aber die werden beraten, zu schweigen.“
Wenn die Bundesregierung glaubt, den Skandal aussitzen zu können, hat sie sich wohl verschätzt. Die beiden NSA-Aussteiger belegen: Deutsche Geheimdienste waren mittendrin und nicht nur dabei. Es wird Zeit, endlich auszupacken. Und wer weiß, vielleicht bereitet sich ein deutscher Whistleblower in diesem Moment darauf vor, der Öffentlichkeit endlich reinen Wein einzuschenken. Es bleibt spannend.
Ein Protokoll der Anhörung gibt es als Volltext bei netzpolitik.org zum Nachlesen.
Jetzt, nach Snowden, werden andere Whistleblower bekannt oder trauen sich, auszusagen, dass die Welt von Regierungen mit beginnendem Verfolgungswahn regiert werden…
„Die beiden NSA-Aussteiger belegen: Deutsche Geheimdienste waren mittendrin und nicht nur dabei.“
WAREN?.. Deutsche Geheimdienste SIND mittendrin! Das ist ja auch der Grund warum die Politik so daran inteessiert ist, dass da nichts heraus kommt, denn dann müsste man ja zugeben, dass man davon gewusst hat. Dann müsste man zugeben dass man dem BND Gelder für derartige Überwachung zur Verfügung gestellt hat. Da hat nun wirklich kein Politiker Interesse dran seine politische Karriere an den Nagel zu hängen nur um das zu bestätigen was sowieso schn klar ist. Heuchlerisch ist das! Aber vielleicht haben die Geheimdienste auch schon gegen jeden aus dem Ausschuss etwas interessantes in der Tasche und man ist alleine schon deshalb nicht gewillt ernsthaft nach zu forschen.
Die Frage die sich nun stellt ist aber ob es sich der Ausschuss länger leisten kann die Dinge klein zu reden. Das ist halt das Problem wenn man Leute befragt die ganz klar sagen, dass die Verfassung gebrochen wird. Appropos, was sagt denn der VERFASSUNGSSCHUTZ dazu??? Es wäre doch seine Aufgabe etwas dagegen zu unternehmen oder heißt der nur noch so und bespitzelt viel lieber Linke und deckt rechte Extremisten…
Oje oje wo führt uns das noch hin?
Wer jemals seit 1945 etwas anderes geglaubt hat, ist im besten Falle als naiv zu bezeichnen. Wenn sich schon Nachbarn gegenseitig oft nichts Gutes gönnen oder einander ausspionieren…