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Die Architekten des deutschen Überwachungsnetzwerks

Der Mann, der in seiner Antrittsrede als BND-Chef mit dem vielsagenden Slogan „no risk no fun“ von sich reden machte, wehrt sich mit allen Mitteln gegen Reformen. Ähnlich sieht es beim Bundesamt für Verfassungsschutz unter der Leitung von Hans-Georg Maaßen aus. Das kommt nicht von ungefähr.

Gerhard Schindler, Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND) und Hans-Georg Maaßen, Leiter beim Bundesamt für Verfassungsschutz, haben eines gemeinsam: Die beiden Musterschüler des ehemaligen Innenministers und Überwachungs-Hardliners Wolfgang Schäuble teilen ein erschreckendes Weltbild. Auch ein Jahr nach Snowden bauen sie weiter an einer überwachten Zukunft. 

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Musterschüler eines Überwachungs-Hardliners an der Spitze deutscher Geheimdienste

Der BND-Chef Gerhard Schindler kennt das Gefühl, aus allen Wolken zu fallen. Seine Karriere bei der Bundeswehr begann er als Fallschirmspringer. Der Mann, der bei seiner Antrittsrede als BND-Chef mit dem vielsagenden Slogan „no risk no fun“ von sich reden machte, wehrt sich mit allen Mitteln gegen Reformen. Ähnlich sieht es beim Bundesamt für Verfassungsschutz unter der Leitung von Hans-Georg Maaßen aus. Das kommt nicht von ungefähr: Die beiden verbindet eine gemeinsame Vergangenheit.

Schon die Ernennung von Schindler zum BND-Chef geriet zum Streitthema. Denn der FDP-Mann Schindler gilt als Fan der Vorratsdatenspeicherung, befürwortet Anti-Terror-Gesetze und den Bundestrojaner und will mehr Eingriffsbefugnisse für Geheimdienste. Manch ein Parteikollege mag bei dem Forderungskatalog gedacht haben: Ist der Mann nicht in der falschen Partei? Kein Wunder also, dass die CDU hohe Stücke auf Schindler hielt und ihn in gegen Widerstände in der FDP durchboxte.

Auch Maaßen wirbt für Vorratsdatenspeicherung und den Ausbau anlassloser Massenüberwachung und wurde von der Union ins Amt gelobt. Die gemeinsame Linie der beiden Geheimdienst-Chefs kommt nicht von ungefähr. Der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble, unter dem die beiden im Innenministerium Karriere machten, gilt als der Hardliner unter den Hardlinern. Egal ob Bundeswehreinsatz im Inneren, Vorratsdatenspeicherung oder Befugnisse für Geheimdienste. Dass Gerichte Aussagen, die unter Folter gemacht wurden, nicht verwerten dürfen, bezeichnete Schäuble als „völlig unverantwortlich“. Mit Maaßen und Schindler sitzen nun zwei seiner Musterschüler an der Spitze des Inlands- und Auslandsgeheimdienstes.

Schindler wurde Ministerialdirektor im Innenministerium unter Schäuble und leitete ab 2008 die Abteilung „Öffentliche Sicherheit“. Hans-Georg Maaßen war dort Leiter des Stabes für Terrorismusbekämpfung. Maaßen sprach sich damals dafür aus, dem unschuldig in Guantanamo einsitzenden Murat Kurnaz die Einreise in Deutschland zu verweigern. Die Freie Universität Berlin (FU) verweigerte Maaßen wegen seiner Rolle in der Kurnaz-Affäre schließlich sogar eine Honorarprofessur. 

Schindler brachte die Einrichtung des Nationalen Cyber-Abwehrzentrums voran. Bürgerrechtler kritisierten den dadurch noch enger werdenden Informationsaustausch zwischen Polizei und Geheimdiensten. Auch der Bundesrechnungshof kam 2014 zu einem vernichtenden Urteil: Weder sei genau klar, was das Cyber-Abwehrzentrum überhaupt getan hat, noch gäbe es dort Expertise. Fazit: Steuerverschwendung.

Als Snowden an die Öffentlichkeit ging, saßen mit Schindler und Maaßen langjährige Architekten eines immer engmaschigeren Überwachungsnetzwerks auf den Chefsesseln des Inlands- und Auslandsgeheimdienstes in Deutschland. Eine denkbar schlechte Ausgangslage.

Viel zu verbergen: Die Rolle deutscher Geheimdienste in der NSA-Affäre

Snowden zeigte: Deutsche Geheimdienste arbeiteten eng mit der NSA zusammen. „Der BND hat daran gearbeitet, die deutsche Regierung so zu beeinflussen, dass sie Datenschutzgesetze auf lange Sicht laxer auslegt, um größere Möglichkeiten für den Austausch von Geheimdienst-Informationen zu schaffen“ und die Deutschen suchten „Führung und Rat“, heißt es etwa in einem NSA-Dokument.

Als die Luft für die beiden Geheimdienst-Chefs immer dünner wird, fallen sie nicht aus allen Wolken. Sie gehen in die Offensive: Bereits im Sommer 2013 versucht der Chef des Verfassungsschutzes die Snowden-Affäre für deutsche Geheimdienste für beendet zu erklären.

 „Was die angeblichen Verfehlungen der deutschen Nachrichtendienste angeht, bleibt festzustellen: Nichts ist übrig geblieben“, so Maaßen.

Später zeigte er sogar Verständnis dafür, dass Snowden in den USA als Verräter bezeichnet wird.

Im September 2013 redet schließlich auch BND-Chef Schindler Klartext:

„Ich beginne einmal mit dem Beispiel NSA. Ist die Zusammenarbeit zwischen BND und NSA noch enger als gedacht?, hat am 8. August ein Fernsehsender als zweite Nachricht getitelt. Ein paar Tage zuvor lautete ein Kommentar einer Zeitschrift zum Datenaustausch mit der NSA: ‚Darf der BND das?‘ – Natürlich darf der BND das! Wenn wir unseren gesetzlichen Auftrag ernst nehmen, dann müssen wir dies sogar tun – denn nur so funktioniert internationale Zusammenarbeit!“

Von Reue keine Spur. Schäubles Musterschüler halten den Kurs. Und die Politik lässt sie gewähren.

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Über den Wolken: Geheimdienste im rechtsfreien Raum

Seit März dieses Jahres versucht der NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages aufzuklären, welche Rolle deutsche Geheimdienste gespielt haben. Angehört wurde auch eine Frau, die ganz besondere Einblicke in das Innenleben des Bundesnachrichtendienstes unter Gerhard Schindler hatte. Die Datenschutzbeauftragte des Bundesnachrichtendienstes „Frau F.“ beklagte, dass ganze Datenbanken ihr einfach verheimlicht wurden. Von vielen Dingen habe sie erst aus der Zeitung erfahren. Wenn sie doch informiert wurde, wurden ihre Einwände abgetan.

Am bayrischen Abhörstandort Bad Aibling werden Satellitendaten aus dem Ausland abgefangen. „Meiner Meinung nach werden die Daten in Bad-Aibling erfasst und damit im Geltungsbereich des BND-Gesetzes“, so die Datenschutzbeauftragte. Doch ihr Chef hat eine andere Rechtsauffassung: Da die Satelliten sich im Weltall befinden, sei dies ein rechtsfreier Raum. Verfassungsschützern klappt bei solchen lapidaren Ausflüchten schlichtweg die Kinnlade runter. Hinzu kommt: Schindler müsste es eigentlich besser wissen: Er hat Jura studiert. Doch Schäubles Musterschüler halten sich nicht lange mit Rechtsfragen auf. Vor diesem Hintergrund wirkt das von Schindler bei seinem Amtsantritt verkündete „no risk no fun“ tatsächlich bedrohlich.

Ein Jahr nach Snowden: Als wäre nichts gewesen

Im Frühjahr 2014 sorgten interne Pläne des Bundesnachrichtendienstes für die Live-Überwachung sozialer Netzwerke für Aufsehen. Unter dem Namen „Echtzeitanalyse von Streaming-Daten“ im Rahmen einer „Strategischen Initiative Technik“ (SIT) wollte der BND bis 2020 300 Millionen Euro in die Überwachungs-Aufrüstung investieren. BND-Chef Schindler will auf Augenhöhe mit der NSA arbeiten. Die Pläne sind bis heute nicht vom Tisch.

Als der Europäische Gerichtshof im Frühjahr 2014 die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung kippte, fordert Verfassungsschutz-Chef Maaßen prompt trotzdem ein neues Gesetz, das die Vorratsdatenspeicherung ermöglicht. Der Verfassungsschutz-Chef sagte außerdem: „In vielen Ländern gilt die Priorität der Sicherheit, hier in Deutschland könnte man den Eindruck gewinnen, eher dem Datenschutz.“ Ein bezeichnendes Statement mitten in der Snowden-Ära.

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Während neben dem Bundestag der NSA-Untersuchungsausschuss weiter tagt, entsteht wenig entfernt auf einer Fläche von rund 35 Fußballfeldern der neue Hauptsitz des BNDs. In 5.200 Räumen werden rund 20.000 km Glasfaserkabel verlegt werden. Mit einer Milliarde Euro ist ausgerechnet eine Geheimdienst-Zentrale der teuerste Behördenneubau Deutschlands seit Kriegsende. Der Etat des BNDs wird in diesem Jahr weiter aufgestockt. Business as usual – es geht weiter wie bisher. Die Frage ist nur: Werden die Bürger/innen sie damit durchkommen lassen?

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Autor*innen

Katharina Nocun ist studierte Ökonomin und beschäftigt sich mit den Auswirkungen der technologischen Revolution auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Sie engagiert sich in der digitalen Bürgerrechtsbewegung für eine lebenswerte vernetzte Welt. Sie war 2013 Politische Geschäftsführerin und Themenbeauftragte für Datenschutz der Piratenpartei Deutschland und arbeitete als Referentin und Campaignerin u.a. für den Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV), Campact e.V. und Wikimedia Deutschland e.V.. Katharina Nocun ist Botschafterin für die Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen und Mitglied im Beirat des Whistleblower-Netzwerks und bloggt regelmäßig unter www.kattascha.de. Folge Katharina auf Twitter: @kattascha Alle Beiträge

15 Kommentare

Kommentare sind geschlossen
  1. Aussage von Schindler: „Da die Satelliten sich im Weltall befinden, sei dies ein rechtsfreier Raum.“

    Wie soll man das jetzt verstehen? Verbrechen auf hoher See (internationale Gewässer) sind keine Verbrechen, weil in rechtsfreiem Raum begangen?
    Man sollte diesen Herrn mal fragen wozu wir noch internationale Abkommen brauchen, wenn es verschiedenen Organisationen so einfach gemacht wird diese zu umgehen. Mal davon abgesehen, dass sich solche Typen eh keinen Deut um Recht und Gesetz scheren.

    • Hallo Markus. Es macht auch juristisch keinen Sinn, weil die Daten ja eindeutig in Deutschland verarbeitet wurden von einer deutschen Behörde.

  2. Ich finde es unerträglich, dass gerade in Deutschland nach den Erfahrungen des 3. Reiches und den Erfahrungen der Stasi, Nachrichtendienste und ein Teil der Politiker immer noch zu wenig kontrolliert werden,sie ihre Arbeiten und Absichten immer noch nicht offen legen müssen und sich nicht für das was sie tun öffentlich rechtfertigen müssen. Es ist auch unerträglich, dass niemand für Machenschaften wie Korruption, Lobbyarbeit, offensichtliche politische, wirtschaftliche Fehlentscheidungen zur Rechenschaft gezogen wird.
    Man ist fast geneigt zu fragen, was unterscheidet diese Bundesrepublik Deutschland in der politischen Substanz eigentlich von der ehemaligen DDR ?
    Die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse wurden durch die Gesetzgebung zwischenzeitlich so hingebogen, das objektive Presse kaum noch wahrzunehmen ist, jeder angst um seinen Job haben muss und Junge Menschen unter Tarif oder sich gar als Praktikanten durchschlagen müssen.

    Ich denke lange geht das nicht gut.

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