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Weisse Wölfe: Rechter Terror in Deutschland

Im Comic “Weisse Wölfe” skizziert der Journalist David Schraven eine beklemmende Recherche im Untergrund des rechten Terrornetzwerks in Deutschland und Europa. Wir haben mit ihm gesprochen.

Im Comic “Weisse Wölfe” skizziert der Journalist David Schraven eine beklemmende Recherche im Untergrund des rechten Terrornetzwerks in Deutschland und Europa. Wir haben mit ihm über die Hintergründe des rechten Terrors und den Zusammenhang zu den aktuellen Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte gesprochen.

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In Deutschland brennen wieder Flüchtlingsunterkünfte. Kaum ein Tag vergeht ohne Meldungen über rechte Anschläge. Sind das alles nur isolierte Einzelfälle oder haben wir es mit organisiertem, gezieltem Terror von rechts zu tun?

David Schraven: Ich gehe davon aus, dass es sich häufig um kleine rechtsextreme Gruppen oder Zellen handelt, die gerade jetzt dabei sind sich zu radikalisieren oder die sich bereits in den vergangenen Jahren radikalisiert haben. Dabei sind die Gruppen am gefährlichsten, die sich aus der Theorie über die Entfachung eines Rassenkrieges bedienen, wie sie in den Turner-Tagebüchern beschrieben wird. Das sind echte Terroristen. Wir können seit etwa zwei Jahren beobachten, dass die Anzahl der Brandanschläge auf Migranten zunimmt. Zunächst wurden Wohnungen und Häuser vor allem von Roma angegriffen. Jetzt sehr aggressiv die Heime, in denen Flüchtlinge untergebracht werden sollen. Dabei muss man bedenken, dass sehr viele Anschläge und Angriffe unentdeckt bleiben, weil sie einfach als Brände ohne rechtsterroristischen Hintergrund abgeheftet werden. Die Gruppen und Zellen selbst hinterlassen keine Bekennerschreiben. Sie handeln autonom und kommunizieren untereinander mit dem Wort der Tat. Dabei werden sich aber auch viele der Gewalttäter untereinander von Aufmärschen und Rechtsrockkonzerten kennen und über ihre Angriffe austauschen. Es ist also unorganisierter, aber trotzdem gezielter Terror von rechts. Ich befürchte, dass bald Menschen sterben, oder aber schon gestorben sind, ohne dass wir es bemerkt haben.

In Ihrem Buch ziehen Sie eine Verbindung zwischen den sogenannten Turner-Tagebüchern und rechten Terrornetzwerken. Den meisten Menschen dürfte das kein Begriff sein. Was hat es damit auf sich?

David Schraven: In den Turner-Tagebüchern wird detailliert beschrieben, wie mit Hilfe von kleinen Terrorzellen, mit Hilfe von Brand- und Bombenanschlägen, sowie Angriffen auf Migranten und Andersartige ein Rassenkrieg angezettelt wird. Das Buch ist ein Roman, der anonym verfasst wurde. Viele vermuten, dass der Amerikanische Rechtsradikale William L. Pierce das Buch verfasst hat. Es bildete die eine der wichtigsten Grundlagen für die Anschläge von Oklahoma, bei dem mehr als 160 Menschen starben. Auch bei dem Attentäter von Norwegen Anders Breivik, der in Oslo und auf der Insel Utøya 77 Menschen tötete, wurden die Tagebücher gefunden. Sie befanden sich ebenfalls auf Rechner aus dem NSU-Umfeld. Sie sind eines der schlimmsten Bücher, das es gibt. Seit 2006 ist es in Deutschland verboten.

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Anhand der Geschichte Ihres Informanten Albert S. beschreiben Sie, wie ein junger Mann immer tiefer in den Sog des rechten Terrornetzwerks gerät. Handelt es sich hierbei um eine reale Geschichte?

David Schraven: Ja. Nur der Name wurde geändert.

Ihre Recherche führt sie auch in die Dortmunder Neonazi-Szene. Eine Informantin schildert einen Fall, in dem Neonazis einen Aktivisten und seine Familie so lange terrorisierten, bis seine ganze Familie aus Dortmund wegzog, um sich zu schützen. Gab es Punkte Ihrer Recherche, an denen Sie sich um ihre eigene Sicherheit sorgten?

David Schraven: Nein.

In dem Buch arbeiten Sie auch die Hintergründe des NSU-Netzwerks auf. Die schiere Anzahl der Protagonisten, die zugleich im Terrornetzwerk führende Rollen einnehmen und als V-Männer für den Verfassungsschutz arbeiten, ist erschreckend. Wo sehen Sie hier Handlungsbedarf?

David Schraven: Ich sehe mehrere wichtige Handlungsfelder: Die Geldströme müssen unterbrochen werden. Die Szene lebt von Konzerten, vom Handel mit verbotenen und halblegalen Naziutensilien. Mit dem verdienten Geld werden Anwälte bezahlt, Naziterroristen, die in den Untergrund abtauchen, die ganzen Propagandaaktionen und die Besäufnisse. Hier sind Gewerbe- und Finanzämter gefragt. Mit Buchprüfungen, Steuerfahndern und Ordnungsämtern kann man der Szene Geld entziehen. Dann muss der Staat aktiv gegen die Verbrecher vorgehen. Jedes Hakenkreuz, jedes Propagandadelikt, jede Beleidigung, jedes Vergehen muss nach dem Motto „Null Toleranz“ verfolgt werden. Das wird zwar die Verbrecher nicht in den Knast bringen. Aber sie müssen immer wieder Geld- und Ordnungsstrafen zahlen. Das treibt sie in den Ruin. Wer kein Geld hat, kann auch keine Bomben bauen. Weiter muss die Polizei besser ausgebildet werden, damit sie Nazis auch erkennen, wenn sie vor ihnen stehen. Zuletzt müssen verdeckte Ermittler V-Leute ersetzen. Erstere sind Beamte im Staatsdienst, die anderen finanzieren eventuell mit ihren Spitzellöhnen den Aufbau der rechten Szene. Der Szene muss aber möglichst jeder Zugang zu Geld verwehrt werden.

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Viele Menschen sind fassungslos angesichts der Gewaltwelle gegen Flüchtlinge und freiwillige Helfer. Was können Staat und Bürger/innen in solch einer Situation tun, um sich dem entgegen zu stellen?

David Schraven: Die Menschen müssen Solidarität zeigen, so wie es heute schon an vielen Orten tun und den Flüchtlingen helfen. Sie sind der Staat. Die Behörden müssen die Delikte und Verbrechen verfolgen. Brandstifter gehören in den Knast. Und wer die Bundeskanzlerin auf einem Video, wie in Heidenau, als F. bezeichnet, muss eine saftige Geldstrafe zahlen. Die Behörden müssen zeigen, dass sie sich nicht rumschubsen lassen. Wenn es keine „Null Toleranz“-Politik in diesem Bereich gibt, lernen die rechten Verbrecher nur, dass sie mit uns allen Katz und Maus spielen können. Wie in Heidenau, wo es keine nennenswerten Festnahmen gab, obwohl Steine flogen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Hintergrundinfo: Die Stadt Dortmund tief im Ruhrgebiet hat eine der vitalsten Neonazi-Szenen Deutschlands. In der grafischen Reportage „WEISSE WÖLFE“ enthüllen Autor David Schraven und Zeichner Jan Feindt ihre Ideologie. Und zeigen: Es sind regionale Gruppierungen wie jene in Dortmund, die Anschläge nach Art des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) erst möglich machen. Aus seiner Recherche hat Autor David Schraven zusammen mit dem Zeichner Jan Feindt eine grafische Reportage gemacht. WEISSE WÖLFE kann über shop.correctiv.org für 15 Euro bestellt werden. Auf weisse-woelfe-comic.de kann die Reportage kostenlos und in voller Länge im Netz betrachtet werden.

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Autor*innen

Katharina Nocun ist studierte Ökonomin und beschäftigt sich mit den Auswirkungen der technologischen Revolution auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Sie engagiert sich in der digitalen Bürgerrechtsbewegung für eine lebenswerte vernetzte Welt. Sie war 2013 Politische Geschäftsführerin und Themenbeauftragte für Datenschutz der Piratenpartei Deutschland und arbeitete als Referentin und Campaignerin u.a. für den Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV), Campact e.V. und Wikimedia Deutschland e.V.. Katharina Nocun ist Botschafterin für die Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen und Mitglied im Beirat des Whistleblower-Netzwerks und bloggt regelmäßig unter www.kattascha.de. Folge Katharina auf Twitter: @kattascha Alle Beiträge

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