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Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Online-Durchsuchung nur in engen Grenzen verfassungsgemäß

Das Bundesverfassungsgericht hat heute sein seit Monaten erwartetes Urteil zum nordrhein-westfälischen Gesetz zur heimlichen Online-Durchsuchung gesprochen. Nach dem Gesetz, um das es im Urteil ging, durfte der Verfassungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen E-Mails und Internet-Chats beobachten sowie Daten, die auf Festplatten gespeichert waren, ausspionieren. Damit ist jetzt vorerst Schluss – die Karlsruher Richter haben das Gesetz […]

Das Bundesverfassungsgericht hat heute sein seit Monaten erwartetes Urteil zum nordrhein-westfälischen Gesetz zur heimlichen Online-Durchsuchung gesprochen. Nach dem Gesetz, um das es im Urteil ging, durfte der Verfassungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen E-Mails und Internet-Chats beobachten sowie Daten, die auf Festplatten gespeichert waren, ausspionieren. Damit ist jetzt vorerst Schluss – die Karlsruher Richter haben das Gesetz für verfassungswidrig und damit für nichtig erklärt.

Doch tatsächlich ging es heute in Karlsruhe weniger um das nordrheinwestfälische Gesetz – sondern vor allem um eine Grundsatzentscheidung: Wie tief darf der Staat in den intimen Bereich jener privater Daten, die auf Computerfestplatten gespeichert werden, eindringen? Die Regierungskoalition hatte im letzten Herbst auf Drängen der SPD die Pläne zur Einführung einer heimlichen Online-Durchsuchung durch Bundesgesetz (hier sollte das Bundeskriminalamt (BKA) ermächtigt werden) erst einmal in die Schublade gelegt – man wollte zunächst das Urteil aus Karlsruhe abwarten. Erst auf Grundlage der Entscheidung der Verfassungsrichter wollte man die Pläne von Innenminister Wolfgang Schäuble, der als größter Befürworter der Online-Durchsuchung in der Bundesregierung bezeichnet werden kann, weiterverfolgen.

Nun ist das Urteil da. Doch was folgt aus dem Spruch der Richter, der sich über 106 Seiten erstreckt? Zunächst einmal haben die Richter einer Sicherheitspolitik, die ohne jedes Maß in die Freiheitsrechte der Bürger/innen eingreift, eine Absage erteilt. Da die bisherigen Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sowie des Rechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Artikel 13 die Bürger/innen nicht ausreichend vor staatlicher Überwachung schützten, haben die Richter ein neues Grundrecht geschaffen: ein „Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“. Dieses Grundrecht sahen die Verfassungshüter durch das umstrittene Gesetz aus Nordrhein-Westfalen verletzt.

Dennoch: Die Richter haben die Online-Durchsuchung nicht von vorneherein für verfassungswidrig erklärt. Allerdings haben sie Online-Durchsuchungen zu präventiven Zwecken und zur Strafverfolgung enge verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt: Sie sind danach nur zulässig, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind:

Erstens sei die Online-Durchsuchung nur dann zulässig, wenn es „tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut“ gebe. Überragend wichtig seien „Leib, Leben und Freiheit der Person oder solche Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen“ berühre.

Zweitens sei die Ausspähung der Computer nur dann mit der Verfassung zu vereinbaren, wenn das Gesetz, dass zu den Durchsuchungen ermächtige, diese unter den Vorbehalt der richterlichen Anordnung stelle.

Und drittens müsse ein Gesetz, das zur Online-Durchsuchung ermächtige, hinreichende Vorkehrungen treffen, um Eingriffe in den absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung zu verhindern. Dazu müsse man zum einen per Gesetz darauf hinwirken, dass wirklich alle technischen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, private von den für die Ermittlung relevanten Daten zu trennen, und die intimen Daten vor dem staatlichen Zugriff zu schützen. Da es jedoch nicht zu vermeiden sei, dass auch private und intime Daten eingesehen würden, müssten solche Daten zweitens nach ihrer Erhebung unverzüglich gelöscht und von weiterer Verwertung ausgeschlossen werden.

Damit hat Bundesinnenminister Schäuble sehr enge Vorgaben, an die er sich halten muss, will er seine Pläne weiterverfolgen und das BKA per Bundesgesetz zu heimlichen Online-Durchsuchungen ermächtigen. Die Regierungspolitiker/innen wollen sich bald auf ihren weiteren Kurs einigen – möglichst noch heute auf einer Klausurtagung in Bonn. Werden sie an der Online-Durchsuchung festhalten? Schäuble selbst hat bereits angekündigt, dass er die Online-Durchsuchung weiterhin einführen möchte. Er sehe das Urteil als Bestätigung seiner Politik: Nur in extremen Ausnahmefällen solle von der Ermächtigung Gebrauch gemacht werden.

Wir werden die Diskussionen der Regierungskoalition über die Online-Durchsuchung weiter beobachten.

Lesen Sie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

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