Atomkraft
Guido you have Mail, Angela die Post ist da! – 101.237 Unterschriften für den Atomausstieg
„Angela, die Post ist da“ schallt es heute Mittag der schwarzen Limousine der Kanzlerin entgegen, die zum Auftakt der Klausurtagung von FDP und Union vor der Landesvertretung NRW vorfährt. Protestierende halten bei Wind und Wetter 100 knall-gelbe Umschläge auf einer langen Wäscheleine im zick-zack vor sich in die Höhe. In den gelben Umschlägen, die sich […]
„Angela, die Post ist da“ schallt es heute Mittag der schwarzen Limousine der Kanzlerin entgegen, die zum Auftakt der Klausurtagung von FDP und Union vor der Landesvertretung NRW vorfährt. Protestierende halten bei Wind und Wetter 100 knall-gelbe Umschläge auf einer langen Wäscheleine im zick-zack vor sich in die Höhe. In den gelben Umschlägen, die sich vom tristen Grau des verregneten Tages leuchtend abheben: je 1.000 Unterschriften. Auf dem riesigen Transparent hinter der politisch motivierten Wäscheleine ist zu lesen, worum es hier geht: Schon über 100.000 Menschen kündigen Protest an: Am Atomausstieg nicht rütteln!
Fotos: Jakob Huber
Die Protestierenden wissen, welch große Verantwortung an ihrer Leine im kalten Herbstwind baumelt: Denn es sind exakt 101.237 Menschen, die den offenen Brief „Am Atomausstieg nicht rütteln“ an Seehofer, Merkel und Westerwelle bis dahin unterschrieben haben. Die Forderung ist wichtiger denn je: Denn die Arbeitsgruppen Wirtschaft und Umwelt – jeweils für das Aushandeln der Atomfrage verantwortlich – haben den Koalitionsführer/innen von FDP und CDU/CSU empfohlen, in den Koalitionsvertrag aufzunehmen, dass sogenannte „sichere“ Atomkraftwerke länger laufen dürfen. Freilich ist damit noch keine Aussage über Länge der Laufzeiten, das Maß der Sicherheit oder gar die Höhe der Abschlagszahlungen gemacht, die die Energiekonzerne als Ausgleich für längere Laufzeiten tätigen sollen.
Die kleine Menge in gelb weiß genau, dass die Lage zwar schwierig ist, aber noch lange nicht hoffnungslos. Hüpfend, um sich vor der Kälte zu schützen, warten sie auf Merkel, Westerwelle und Seehofer. Leider hat keiner der Politiker/innen im Vorfeld eine Zusage gegeben, die Unterschriften auch tatsächlich entgegen zu nehmen. Doch die Hoffnung ist groß: Vielleicht ergibt sich ja eine Chance, den Brief zuzustecken? Die rote Anti-Atom-Sonne zumindest lacht optimistisch von den gelben T-Shirts der Protestierenden, die über dicke Winterjacken gezogen alle ein wenig schwanger aussehen lassen. Den Kameras der TV-Journalisten, die eigentlich auf der gegenüberliegenden Seite am Eingang des Verhandlungsgebäudes auf Merkel und Co. lauern, scheint das zu gefallen. In den Pausen zwischen der Ankunft der Politiker-Limousinen kommen sie immer wieder spontan herübergeeilt, um die rufende Menschenmenge und ihre Wäscheleine abzufilmen.
Vor allem als Guido Westerwelle kommt, sind die Lacher auf unserer Seite: Mit „Guido you have Mail“ lehnen sich die Protestierenden weit aus dem Fenster. Ob er uns versteht? Wenn nicht, so hofft der ein oder andere, bietet er uns vielleicht wenigstens Tee an? Leider nein – es ist Deutschland hier und da lädt man als FDP-ler keine Anti-Atom-Kritiker zu Heißgetränken ein. Schade, denn langsam frieren vielen die Hände vom Wäscheleine-Halten ein. Trotz kalter Gliedmaßen halten die Menschen tapfer an ihrer Wäscheleine fest und bleiben hartnäckig. Immer wieder rufen und singen sie, was das Zeug hält. Die Neu-Kreation des Tages ist der Song: „Wir warten auf Angela Merkel und haben die Post an Bord. In den Fässern, da rostet Atommüll, doch ihr kriegt uns hier nicht fort.“
Leider prallt der Gesang der gelben Menge an den schwarz getönten Scheiben von Merkels Dienstwagen ebenso ab, wie an dem von Westerwelle. Sie steigen nacheinander aus und verschwinden zügig im Verhandlungsgebäude, wo sie gemeinsam bis Sonntag die Eckpfeiler für eine neue Regierung aushandeln wollen. Herr Seehofer hatte uns übrigens allen ein Schnippchen geschlagen: Er saß bereits seit neun Uhr in der Landesvertretung – so früh, dass noch keiner von uns da war. Auch ihn hätten wir gerne persönlich begrüßt.
Am Ende dürfen wir unsere Unterschriften doch noch überreichen. Zwar nicht an die Bundeskanzlerin persönlich, aber an ihren Mitarbeiter Berthold Goeke, Ministerialrat Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit im Bundeskanzleramt. Nachdem die Wäscheleine eingepackt ist und sich eine kleine Delegation mit einem heißen Tee gestärkt hat, geht es mit dem Taxi schnell ins Kanzleramt. Hoffentlich erhält die Kanzlerin die Unterschriften, noch bevor Sie ihre eigene unter den Koalitionsvertrag setzt.
Egal wie die Koalitionsverhandlungen ausgehen, eines ist sicher: Merkel, Seehofer und Westerwelle werden es noch des öfteren mit uns zu tun haben, wenn sie tatsächlich den Atomausstieg kippen. Die Menschen im Land wollen keinen Ausstieg aus dem Atomausstieg. Zumindest Angela Merkel ist das klar – deswegen setzt sie sich dafür ein, dass es bis zur Landtagswahl in NRW keine Debatte über Atomkraft geben soll. Augen zu und durch ist ihre Devise.
Den Offenen Brief „Am Atomausstieg nicht rütteln!“ hat Campact gemeinsam mit .ausgestrahlt, dem BUND, den IPPNW und der Naturfreunde Jugend ins Leben gerufen. Mit der Unterschrift von schwarz-gelb unter den Koalitionsvertrag haben wir den Offenen Brief beendet.