Naturschutz Rechtsextremismus Erfolg Gesundheit WeAct Bundestagswahl CDU Montagslächeln AfD Trump

Stuttgart nach der Demo – ein bundesweites Politikum

Am Tag nach der Eskalation der Gewalt mit hunderten Verletzten ist die Fassungslosigkeit über den harten Polizeieinsatz gegen Gegner des Projekts "Stuttgart 21" noch immer groß. Eine Welle der Empörung rollt durchs Land, in etwa 30 Städten finden heute Soli-Kundgebungen statt. In Stuttgart erwartet man heute zur Freitagsdemo bis zu 100.000 Menschen.

Am Tag nach der Eskalation der Gewalt mit hunderten Verletzten ist die Fassungslosigkeit über den harten Polizeieinsatz gegen Gegner des Projekts „Stuttgart 21“ noch immer groß. Eine Welle der Empörung rollt durchs Land, in etwa 30 Städten finden heute Soli-Kundgebungen statt (Termine hier). In Stuttgart erwartet man heute zur Freitagsdemo bis zu 100.000 Menschen.

Während die Menschen in Stuttgart noch mit Trümmern und Tränen zu kämpfen haben, äußerten sich heute zahlreiche Bundespolitiker/innen zu den Geschehnissen (taz-Artikel).
Die Debatte im Innenausschuss des Bundestages wurde allerdings auf Mittwoch verschoben (Info Bundestag). Angela Merkel verurteilte zwar die Gewalt, stellte sich aber voll hinter „Stuttgart 21“: „Es ist vollkommen legitim, dass auch Menschen dagegen protestieren, aber es ist auch wichtig, dass wir das, was wir versprechen, durchsetzen.“ (Interview im swr-Radio) Was hilft legitimes Demonstrieren, wenn die Regierenden es ignorieren? Die Bundeskanzlerin macht Ernst mit ihrem „Herbst der Entscheidungen“, auch wenn diese weder bei der Atomkraft noch beim verkehrspolitisch sinnlosen Projekt Stuttgart 21 von der Bevölkerung getragen werden.

Ein gefährlicher Weg ins politische Aus, dem auch ihr Parteikollege Stefan Mappus folgt. Er sieht den Fehler bei den Demonstranten, die die Polizisten mit Flachen und Pfefferspray angegriffen hätten (Bericht im Focus). Auch Landesinnenminister Heribert Rech (CDU) sah bislang „keine Anhaltspunkte dafür, dass auf Seiten der Polizei etwas schiefgelaufen ist“. Dabei musste die Polizei am Morgen die Aussage zur Gewalt der demonstrierenden Schüler/innen zurücknehmen. Die Pflastersteine sollen doch nur Kastanien gewesen sein. Auch im zdf-Interview kann Rech den Polizeieinsatz nicht rechtfertigen. Die aufrichtige Konsequenz wäre, sein Amt als Innenminister niederzulegen. Ein solch brachiales Vorgehen gegen Kinder und alte Menschen, der Einsatz von Knüppeln und Reizgas, Rippenbrüche und Augenverletzungen – das ist nicht ohne Konsequenz hinzunehmen.

In dem Polizeiaufgebot in Stuttgart zeigt sich die Arroganz der Macht, die die ernsthafte Diskussion über Alternativen zum Bahnhofsbau ablehnt. Gewalt siegt über Argumente. Keiner Demokratie tut das gut. Die Menschen verteidigen diese Demokratie heute friedlich auf die Straße – in Stuttgart und mit Solidaritätsveranstaltungen an unzähligen Orten.

TEILEN

Autor*innen

Astrid Goltz, Jahrgang 1983, hat Kulturwissenschaften in Lüneburg und Santiago de Chile studiert. Seit vielen Jahren ist sie ehrenamtlich in Umweltprojekten aktiv, zuletzt bei den Klimapiraten. Hauptamtlich hat sie für die BUNDjugend zum ökologischen Fußabdruck gearbeitet und für den BUND das Klimaforum Bonn 2010 mit organisiert. Ihre Schwerpunktthemen als Campaignerin bei Campact sind Gentechnik und Agrarpolitik sowie Flüchtlingspolitik. Alle Beiträge

37 Kommentare

Kommentare sind geschlossen
  1. Haben sich die der demokratisch legitimierten Genehmigung eines Projektes zugrunde liegenden Fakten erheblich verändert
    (technische Risiken, verkehrsplanerische Einsichten, bevorstehende Kostenexplosion) ist es erforderlich, ehemals getroffene Entscheidungen unter Beteiligung der Sachverständigen, Bedenkenträger und Steuerzahler zu überdenken und ggf. abzuändern.
    Sind die Verantwortlichen dazu nicht bereit, bleibt offensichtlich nur die passive „Gewalt“ der Blockade.

  2. Wie Helmuth bin ich der Meinung, dass Investitionen in die Bahn für die Zukunft unserer Region enorm wichtig sind. Bis jetzt habe ich aber von keinem Befürworter von Stuttgart 21 ARGUMENTE oder ZAHLEN gehört, warum dieses Millarden-Projekt für ALLE Bürgerinnen und Bürger vorteilhafter sein soll als eine grundlegende Modernisierung des Kopfbahnhofes und der bisherigen Strecke nach Ulm! Warum reden die Befürworter immer nur in Allgemeinplätzen statt konkret zu werden? Auch ein auf den neuesten Stand gebrachter Kopfbahnhof ist eine „mutige Zukunftsinvestition“!
    Ein ganz kleines Beispiel, was ich unter konkret verstehe, ist der geplante direkte Flughafen-Anschluss durch die S1, der die bisherige Fahrtzeit von Herrenberg nach Stuttgart verlängern wird: Das nützt nur einer sehr kleinen Gruppe von Leuten, während die Masse der Pendler und Leute wie ich, die zu kulturellen Veranstaltungen oder zum Einkaufen nach Stuttgart fahren, Nachteile haben.
    Und was die angebliche Fahrtzeitverkürzung angeht, die auf der Fernverkehrsstrecke nach Ulm erreicht werden soll: Daran glaube ich erst, wenn die Bahn ihre derzeitigen Probleme mit ICE-Zügen in den Griff bekommt: Wenn ich per ICE verreise, und das mache ich oft, dann erlebe ich in sieben von zehn Fällen Verspätungen, technische Probleme, verpasste Anschlüsse.
    Zu dem gebetsmühlenhaft wiederholten Vorwurf, die Gegener von Stuttgart 21 hätten kein Recht, ein Projekt zu blockieren, das durch demokratisch legitimierte Gremien genehmigt wurde, kann ich nur sagen, dann ist auch der Ausstieg aus dem Ausstieg der Atomkraftnutzung, den die Merkel-Regierung gerade betreibt, illegal und demokratisch nicht legitimiert!

  3. wer Polizisten mit Knallkörpern und Flaschen bewirft, darf sich nicht wundern, wenn dann die Wasserwerfer auffahren.

    Der Bau von Stuttgart 21 könnte selbst mit einem Volksentscheid nicht gestoppt werden – die Verträge zwischen Bahn, Bund, Land BW und Stadt Stuttgart sind wasserdicht und gerichtlich bestätigt worden.

  4. Der Kommentar von Helmuth geht meiner Meinung nach völlig am Sachverhalt bzw. an der Kritik des Artikels vorbei. Niemand wird je bestreiten, dass wir froh sein können und prinzipiell sicher sind, dass es die Bahn mit ihren Verbindungen gibt. Es geht nicht um „nie“ und „keine Autobahn“ und „keine Bahnschienen“ – wobei ich hier auch mit dem Heranziehen des Autobahn-Baus als Argument bzw. Parallele vorsichtig wäre, wenn man schon historisch argumentieren will.
    Es geht hier um den -Betonung lieg auf- VÖLLIG UNVERHÄLTNISMÄßIGEN Einsatz der Polizei mit HARTER GEWALT als ERSTER und UNNACHGIEBIGER Wahl. Das ist der Punkt, nichts anderes. Und genauso schlimm ist die Tatsache, dass diese „GEWALT OHNE ZAUDERN UND ZÖGERN“ eben genauso angeordnet wurde von der Politik so wie sicherlich auch vom Einsatzleiter; und die diesbezügliche Aussage von Herrn Rech konnten wir sogar vor zwei oder drei Tagen im Radio in den Nachrichten hören (hr1).

    Die Polizei wählte ihre Art der Gewalt gegen die DemonstrantInnen nicht etwa aus Verteidigung oder Notwehr, weil sie angegriffen worden wären (-sie lügen aber bewusst, und stellen angebliche Würfe von Kastanien als Würfe von Pflastersteinen dar!!!-), sondern weil es – von oben angeordnet – die einfachste, die schnellste und die „DURCHSETZUNGSFÄHIGSTE“ Möglichkeit ist, die Leute aus dem Weg zu räumen.

    Ich möchte betonen, dass auch eine Blockade im Endeffekt eine (meist) friedliche Art der Demonstration ist. Wenn Menschen anfangen Steine zu werfen, Mülltonnen anzuzünden oder dergleichen, dann ist das etwas anderes. Eine Blockade ist eine der letzten Möglichkeiten, eine Sache, die einem am Herzen liegt, die einen persönlich und als „BürgerIn“, als Gesellschaftsmitglied zutiefst angeht und emotional wie rational aufwühlt, AUF FRIEDLICHE WEISE zu vertreten. All die gewaltsamen Alternativen, die es dazu gibt, wählen diese Demonstranten NICHT, um friedlich zu bleiben, während sie für ihre Sache „kämpfen“.

    Meine Hochachtung gilt aus eigener Erfahrung allen, die es bei emotionaler Betroffenheit in einer politischen und somit höchst menschlichen Angelegenheit schaffen, dieser Emotionalität Ausdruck zu verleihen, indem sie alle nur möglichen friedlichen und FÜR ANDERE MENSCHEN UNGEFDÄHRLICHEN!!! Möglichkeiten nutzen, um zu demonstrieren!

    Ich hoffe, dass hieraus hervor geht, dass es NICHT um das Thema „Zukunftsinvestition“ oder nicht geht – an dieser Stelle einmal ganz abgesehen von der Frage, in welchem Verhältnis die Kosten für dieses Projekt zu anderen, wesentlich brennenderen Problemen in diesem Land stehen!!! – sondern dass es hier um das Thema der VERHÄLTNISMÄßIGKEIT eines Polizeieinsatzes geht, der Gewalt mit Knochenbrüchen, Augenverletzungen und sonstigen Verletzungen von Hunderten Menschen, dies selbst FRIEDLICH DEMONSTRIERT HABEN, GANZ BEWUSST IN KAUF NIMMT – und hier sollten sich alle Verantwortlichen und „TäterInnen“ in Grund und Boden schämen – um ein politisches Ziel durchzusetzen.

    Ich hoffe, dass das auch dir, Helmuth, noch einmal zu denken gibt.

  5. Haben wir in der Schule nicht gelernt, daß es im 1. Drittel des letzten Jahrhunderts schon einmal eine „Volkspartei“ gab, die mit brutalster Härte jeden Widerstand gegen ihr „regieren“ niederschlug. Erinnern wir uns nicht mehr, daß Demokratie bedeutet, daß das Volk als Souverän des Landes dort letztendlich das Sagen haben muß und nicht eine Clique altgedienter Parteihelden. Sollen wir uns tatsächlich wieder jubelnd an den Strassenrand stellen und beim Vorbeimarsch der Verwaltenden (nicht Regierenden, das Wort stammt ja von „rex“, der König ab) z.B. „Heil Maxxxx“ rufen? Wehrte den Anfängen!

  6. Auch ich bin von dem Vorgehen der Polizei bei der Demonstration gegen Stuttgart-21 sehr entsetzt. Stuttgart-21 ist ein trauriges Beispiel, dass wir in Deutschland immer noch keine funktionierende Kultur zur konstruktiven Konfliktlösung, wertschätzender Kommunikation und Konsensfindung haben! (Und wenn Herr Rech von „rechtlich legitimiertem Bauvorhaben“ spricht, fällt mir nur der Anfang von „Per Anhalter durch die Galaxis“ ein …)

    Nachdem ich gestern mich auch an der Email-Aktion beteiligt habe, hatte ich heute morgen den Gedanken, dass ein Rücktritt von Herrn Rech zwar eine konsequente Forderung ist – aber nicht deeskallierend wirkt. Einen Rücktritt zu fordern ist ja sozusagen auch ein „verbaler Wasserwerfer-Einsatz“, Herr Rech wird sich dadurch in etwa genauso angegriffen fühlen, wie alle Demonstraten und bestimmt nicht die Gesprächsbereitschaft erhöhen. Und ich muss auch Helmuth recht geben, dass es ja auch gute Gründe für das Projekt gibt.

    Um in Deutschland zu einer Konsens-orientierten Kultur zu kommen, die — in hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft — solche verhärteten Fronten erst gar nicht aufkommen lässt, würde ich mir von Campact wünschen, auch in dieser Hinsicht eine Vorreiter-Rolle einzunehmen! Ihr habt ein großes Netzwerk und könnt konstruktive Ideen so auf praktische Weise weiter verbreiten. Sind Gewaltfreie Kommunikation, Konsensorientierung etc. Themen, die ihr intern diskutiert? Ich würde mich über eine Stellungnahme sehr freuen!

  7. Das Stuttgart 21 Projekt halte ich für eine Investition in die Zukunft , die sinnvoll ist, wenn man die Bahn wenigstens innerhalb der BRD als mit dem Flugzeug konkurrenzfähig erhalten und ausbauen will!

    Wenn man nie mutige Zukunftsinvestitionen getätigt hätte, würden wir noch heute auf den römischen Militärstraßen entlang des Limes unterwegs sein und keine Autobahn würde uns die Möglichkeit geben, direkt innerhalb von kurzer Zeit mitten in eine Stadt zu fahren. Es würde auch keine Eisenbahnen geben, die in der Lage sind viele Menschen mal eben von Karlsruhe oder Ulm mitten nach Stuttgart zu transportieren – die Gegner von Stuttgart 21 könnten dann allerdings auch nicht eben mal für einen Abend nach Stuttgart zu einer Demo kommen.
    Woher nehmen sich die Stuttgart 21 Gegner das Recht, ein Projekt zu blockieren, das durch demokratisch legitimierte Gremien genehmigt wurde – wo ist die demokratische Legitimation der Stuttgart 21 Gegner?
    Es muß in einem demokratischen Staat zwar jedem Bürger möglich sein, seine Meinung frei und offen kund zu tun, das darf aber nicht so weit gehen, daß man mit Gewalt – und dazu gehören auch Blockaden – das Recht anderer (in diesem Fall einen genehmigten Bau zu verwirklichen) beschneidet. Nur wenn man sich selbst an die demokratischen Spielregeln hält, hat man das Recht, vom Staat (den wir Alle zusammen bilden) zu verlangen, daß dieser sich ebenfalls im Umgang mit seinen Bürgern an die demokratischen Spielregeln hält.
    Von daher wäre zu hoffen und zu wünschen, daß bei den nächsten Wahlen -egel auf welcher Ebene – Wahlbeteiligungen von 90% und mehr zu verzeichnen sind.

  8. Die Verantwortlichen die das harte eingreifen der Polizei zu verantworten haben sollte man direkt vor den Wasserwerfer stellen. Die Geschädigten sollten eine Anzeige wegen Körperverletzung stellen. Und nicht locker lassen.

  9. …während Ex-DDR Demonstranten fast Bundespräsident werden und Preise einheimsen, wird mit aktuellen Demonstranten hierzulande auf altbewährte Art und Weise umgesprungen: Draufhauen, draufhauen, nachsetzen! – „Wir sind das Volk“ gilt eben nur im Bedarfsfall.

Auch interessant

Ampel, Bahn, Verkehr Kontrollverlust bei der Bahn Bahn, Feminismus 35-Stunden-Woche: Ein feministisches „Hooray“ an die GDL Bahn, Montagslächeln, Protest Montagslächeln: Stürmische Zeit Bahn, Verkehr Wenn eine Gewerkschaft das Land lahmlegt Bahn, Campact, Demo 3 Fragen an: Jan-Philipp Witt, Zugbesorger Bahn S21-Abstimmung: Rück- und Ausblick Bahn Volksabstimmung über Stuttgart 21: Aktion „Meine Straße stimmt ab“ Bahn S21: Über 80 Orte in Baden-Württemberg sagen JA zum Ausstieg Bahn S21 / Schwarzer Donnerstag: Staatsanwaltschaft Stuttgart beantragt Strafbefehl wegen Baumfällarbeiten Bahn Stuttgart 21: Kampf um den Baustopp