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Debatte: Retten soziale Bewegungen die SPD?

Im Frühling erschien in der SPD-nahen Zeitschrift Berliner Republik ein kurzes Essay von Stefan Berger, Direktor des Instituts für Soziale Bewegungen der Ruhr-Universität Bochum. Seine zentrale These: Die Sozialdemokraten müssen ein konstruktives Verhältnis zu sozialen Bewegungen herstellen, um in Zukunft als Motor des sozialen, ökologischen und demokratischen Fortschritts zu fungieren. Die Redaktion der Berliner Republik hat mich gebeten, darauf […]

Im Frühling erschien in der SPD-nahen Zeitschrift Berliner Republik ein kurzes Essay von Stefan Berger, Direktor des Instituts für Soziale Bewegungen der Ruhr-Universität Bochum. Seine zentrale These:

Die Sozialdemokraten müssen ein konstruktives Verhältnis zu sozialen Bewegungen herstellen, um in Zukunft als Motor des sozialen, ökologischen und demokratischen Fortschritts zu fungieren.

Die Redaktion der Berliner Republik hat mich gebeten, darauf eine Antwort zu schreiben. Die ist nun in der aktuellen Ausgabe erschienen.

Kurz gefasst lautet sie: Berger hat Recht, aber wenn die SPD ihn ernst nimmt, müssen sich die Sozialdemokraten von lieb gewonnen Positionen lossagen. Lohnen würde es sich für sie trotzdem, schließlich haben die vergangenen acht Jahre gezeigt, dass aktive Bürgerinnen und Bürger nicht notwendig auf SPD und Grüne angewiesen sind, um politisch etwas zu erreichen.

Okay, der Text ist im Ton etwas zurückhaltender. In der Sache aber nicht, hoffe ich:

Ganz leicht muss es nicht sein

Es gibt Sätze, die erscheinen derart selbstverständlich, dass sie ihre politischen Konsequenzen hinter sich verbergen. Die zentrale These von Stefan Bergers Beitrag „Die SPD und die Erneuerung der sozialen Demokratie“ gehört dazu. Berger hat Recht: Die Sozialdemokraten müssen ein konstruktives Verhältnis zu sozialen Bewegungen herstellen, um in Zukunft als Motor des sozialen, ökologischen und demokratischen Fortschritts zu fungieren. Gelingen wird dies freilich nur, wenn sich die Vertreterinnen und Vertreter der Partei einige Punkte klar machen.

Soziale Bewegungen – insbesondere ihre wenig institutionalisierten Teile – werden stets auf ihre Unabhängigkeit und Überparteilichkeit achten. Der wichtigste Grund dafür ist nicht einmal, dass die Enttäuschung über die Agenda-Politik von Rot-Grün und die verpassten Chancen zu einer sozial-ökologischen Reformpolitik noch immer tief sitzt. Es ist auch nicht der verständliche Unwille, sich für den Wahlkampf einer Partei einspannen zu lassen. Entscheidend ist vielmehr die Erkenntnis vieler Aktivisten, dass sie nicht notwendig auf SPD und Grüne angewiesen sind, um politisch etwas zu erreichen.

Ob der Atomausstieg nach Fukushima, die Zurückhaltung beim Fracking oder die Einführung der Luftverkehrsabgabe – die gegenwärtige Legislaturperiode zeigt: In einem instabilen elektoralen Umfeld lassen sich progressive Forderungen auch unter einer schwarz-gelben Regierung durchsetzen. Wer es schafft, hör- und sichtbare Proteste zu Themen zu mobilisieren, die breite öffentliche Unterstützung genießen, kann selbst eine bürgerliche Regierung zu Kehrtwenden bewegen.

Gemeinsam gegen Konzerninteressen

Für Sozialdemokraten ist es daher nicht bloß taktisch, sondern vor allem politisch sinnvoll, tragfähige Beziehungen zu sozialen Bewegungen aufzubauen und regelmäßig progressive Themenbündnisse einzugehen. Die tiefere Ursache dafür liegt in der ständig wachsenden Macht von Unternehmen und von ihnen finanzierter Think Tanks und Dachorganisationen. Wenn die SPD Politik gegen die Interessen dieser Konzerne und die mit ihnen verflochtenen Eliten durchsetzen will, braucht sie die Unterstützung sozialer Bewegungen bei der Mobilisierung der öffentlichen Meinung, um ihre Forderungen zu untermauern.

Nicht zuletzt diese Unterstützung fehlte 1998/99, als die Pläne des damaligen Finanzministers Oskar Lafontaine zur Regulierung der Finanzmärkte schon im Ansatz scheiterten. Die Folgen davon sehen wir heute. Als dann wenige Jahre später mit der globalisierungskritischen Bewegung endlich ein potenzieller Partner die Bühne betrat, war die SPD fest im Griff von Politikern, die lieber mit den ökonomischen Eliten paktierten als mit sozialen Bewegungen. Der Fairness halber sei erwähnt, dass es bei den Grünen damals nicht viel besser aussah.

Doch die vergangenen Jahre geben in dieser Hinsicht Anlass zur Hoffnung. In Fragen des Atomausstiegs haben sich SPD und Grüne zuletzt als Teil der Anti-Atom-Bewegung verstanden und an deren Protesten nicht nur teilgenommen, sondern aktiv für sie mobilisiert. Das gemeinsame – und erfolgreiche – Aufbegehren gegen das ungerechte Steuerabkommen mit der Schweiz bietet gar eine Blaupause dafür, wie der Widerstand inner- und außerhalb des Parlaments ineinandergreifen kann – selbst gegen die Partikularinteressen ökonomischer Eliten. Ähnliches könnte sich in den Debatten zur Begrenzung von Mietpreissteigerungen und der Einführung der Vermögenssteuer wiederholen. Dass die Parteien diese Themen nun jedenfalls auf die Wahlkampfagenda setzen, ist wohl weder der SPD abträglich, noch erzürnt es Aktivisten.

Zwei Themen für gemeinsame Projekte

Für die nächsten Jahre scheinen mir vor allem aus zwei Themenfeldern anschlussfähige Zukunftsprojekte für Sozialdemokraten und sozialen Bewegungen zu erwachsen. Zum einen sind das all jene Maßnahmen, die die Macht der ökonomischen Eliten zugunsten der Bürger zurückdrängen: ein verpflichtendes Lobbyregister, das Verbot von Sponsoring und Firmenspenden für Parteien, die Schaffung einer Karenzzeit für den Wechsel von der Politik in einen Lobbyverband. Für manchen mag es heute weit entfernt erscheinen, dass die SPD solche Forderungen nicht nur als Opposition gutheißt, sondern als zukünftige Regierungspartei auch energisch in die Tat umsetzt. Dennoch liegt jede Initiative, die das Primat der Politik gegenüber der Macht der Wirtschaft zurückerobert, im ureigenen Interesse jeder sozial orientierten Partei.

Zum zweiten wird das Verhältnis zu vielen, bislang nur lose organisierten Aktiven vom Willen der Sozialdemokraten abhängen, sich für eine moderne Netzpolitik einzusetzen oder nicht. Selbst wenn die Piraten untergehen sollten, so haben ihre bisherigen Erfolge doch gezeigt, dass die Menschen ein realistisches Urheberrecht und den diskriminierungsfreien Transport von Inhalten im Netz als Fragen der Gerechtigkeit begreifen. Sicher, auch diese Themen werden in einer Volkspartei nicht unumstritten bleiben – und bisher scheinen die Skeptiker in der SPD noch die Oberhand zu haben. Doch wenn Stefan Berger eines in aller Deutlichkeit zeigt, dann dies: Ganz einfach war es für Sozialdemokraten nie, effektive Bündnisse mit progressiven sozialen Bewegungen einzugehen. Aber gelohnt hat es sich immer.

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Autor*innen

Dr. Felix Kolb ist Politikwissenschaftler. Er promovierte zwischen 2002 und 2005 an der FU Berlin über die politischen Auswirkungen sozialer Bewegungen. Seine Dissertation erschien im Campus-Verlag. Nach dem Studium war er Pressesprecher von Attac. Zusammen mit Christoph Bautz stieß er die Bewegungsstiftung an und initiierte mit ihm und Günter Metzges Campact. Er ist seit April 2008 Geschäftsführender Vorstand. Auf Twitter findet man ihn unter @felixkolb Alle Beiträge

1 Kommentare

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  1. Debatte: Retten soziale Bewegungen die SPD?

    Die Sozialdemokratie war eine der ältesten Hoffnungen der deutschen Arbeiter und kleinen, vielleicht auch mittleren Angestellten auf gewaltfreie Reformen im Deutschland des beginnenden 20. Jahrhunderts und vor allem in den Jahren danach. Das Hinwenden der entstehenden Sozialdemokratie bzw. SPD zum Sozialismus und die ungerechtfertigte Gleichsetzung mit der Kommunistischen Partei Deutschlands, hat der Partei und ihrer Anhänger in der Zeit des Nationalsozialismus unermessliches Leid gebracht.

    Nach dem Krieg und unter dessen Eindruck, konnte die Sozialdemokratie bzw. die SPD in Deutschland (West-Deutschland) erneut aufblühen und eine große Anhängerschar um sich versammeln. In dieser Zeit aber, kurz nach dem Krieg bis Ende der 1950er Jahre, hat sich die Partei nicht nur von ihren demokratisch-sozialistischen Grundsätzen verabschiedet (Godesberger Programm), sondern sich Schritt für Schritt den bürgerlichen Parteien und ihrer Programme zugewandt. Erst war es großes demokratisches Verständnis und der Wille zur Kompromissbildung, später entwickelte, wie alle anderen Parteien, auch die SPD großen und vor allem kompromisslosen Willen zur Macht.

    Dieser unbedingte Machtanspruch und persönliches Besitzstands denken verschiedener Führungsriegen brachte die „Genossen“ vollends vom Wege ab und lies sie nicht nur demokratische Grundsätze über den Haufen werfen, sondern mehr noch als alle politischen Parteien in Deutschland zuvor, den Weg aus der sozialen Marktwirts hin in den bis dahin konsequentesten deutschen Neoliberalismus beschreiten.
    Das diese Politik, zusammen mit den Grünen, die 2003 mit der sogenannten „Agenda 2010“ begonnen wurde, für die bereits von den Füßen auf den Kopf gestellte SPD mit einem erheblichen Identitätsverlust verbunden war und immer noch ist, steht wohl außer Zweifel.

    Und wenn nun die SPD in der Folge mehrerer verlorener Landtags- und auch der Bundestagswahl 2009 immer noch „kopfstehend“ neue Identitäten sucht, kann mich das nicht wundern. Aber keinesfalls ist es damit verbessert oder wieder alles in Butter, wenn man sich jetzt den mittlerweile entstanden Bürgerinitiativen (vermehrt)zu wenden will. Und diese Zuwendung wird die SPD nicht retten. Denn dieser Schmusekurs ist heuchlerisch, er ist verlogen!
    Jüngstes Beispiel ist der von Maritta Strasser am 22. August veröffentlichte Artikel über die auch so liebe und voller Lobes über Campact angetane Bundesjustizministerien und ihrem lieben Brief zur Snowden-Affäre.

    „Gemeinsam gegen Konzerninteressen“ – natürlich, gemeinsam geht es leichter. Aber glaubt doch bitte nicht im Ernst, dass sich die SPD oder eine andere Partei offen gegen ein Konzernmonopol wenden wird. Vielleicht gegen die Autoindustrie? Das wäre doch eine Sache: Elektroauto! – und bezahlbar, etc. Oh nein, wir müssen Straßen bauen und reparieren! – die Wähler werden sonst verrückt!
    Noch viele solche Beispiele könnte ich aufzählen und demokratisch darüber streiten. Bringt alles nichts, denn wir haben es mit Lügnern zu tun. Schlicht und ergreifend mit Lügnern. Und solange die Parteien nicht glaubwürdig sind, sind sie, in ihren eigenen Jargon ausgedrückt, kein „verlässlicher“ Partner.

    Und ich kann jede Bewegung nur davor warnen, sich allzu sehr mit Parteien einzulassen und zu deren Steigbügelhalter missbrauchen zu lassen. Am Ende rauben diese nicht nur unsere Ideen und Worte, am Ende rauben sie ohne Skrupel unsere Seelen und nutzen diese für ihre Machtzwecke gnadenlos aus!

    Viele Grüße

    D. Mitscherling

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