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Mit 400.000 ins Haus gefallen

400.000 Unterschriften gegen das Handelsabkommen TTIP - Übergabe an eine vom ungewohnten Bürgerkontakt leicht überforderte und befremdete EU-Kommission


Das Berlaymont ist kein offenes Haus. Wer die EU-Kommission besuchen will, muss eingeladen sein – oder Lobbyist. Nur in Begleitung von Mitarbeitern dürfen gewöhnliche Leute durch die Sperren, die an ein Fußballstadion erinnern. Mit den Unterschriften von 400.000 Aktiven unter dem Arm ging ich am letzten Freitag zu Marc Vanheukelen, Chef des persönlichen Mitarbeiterstabs von Handelskommissar Karel De Gucht.

Herr Vanheukelen und seine Pressesprecherin machten nicht den Eindruck, als würden sie häufiger Menschen in Jeans und Turnschuhen in ihrem Gebäude empfangen. Aus ihren Gesichtern sprach die Unsicherheit, was von jemand so ganz ohne Nadelstreifen wohl zu erwarten sei.

(Fotos: Felix Kindermann)

Ich bedankte mich für die Einladung und wir setzten uns an einen schweren, blank polierten Konferenztisch. Lächelnd eröffnete Herr Vanheukelen das Gespräch. Wenn wir hohe für höchste Standards bei Verbraucher- und Gesundheitsschutz seien, dann sei doch das Handelsabkommen TTIP genau das Richtige. Denn dieses Abkommen sichere ja diese Standards. Und auch die Investorenklagen (ISDS) seien nicht schlimm, es gebe sie ja längst…

In der Tat, in einer Reihe von internationalen Abkommen gibt es bereits für Konzerne das Recht, Staaten auf Schadensersatz zu verklagen, wenn diese ihre Profite durch politische Entscheidungen geschmälert sehen. Auf der Basis eines solchen Abkommens verklagt der schwedische Konzern Vattenfall die Bundesregierung auf 3,7 Milliarden Entschädigung für den Atomausstieg. Ich frage mich, warum Herr Vanheukelen selbst die Sprache darauf bringt. Glaubt er, dass dies die Kritiker beruhigt? Ist das ein Argument für diese intransparenten Schiedsverfahren völlig außerhalb rechtsstaatlicher Verfahren? Wohl doch kaum…

Schön immerhin, dass die EU-Kommission ab März die Öffentlichkeit zum Thema ISDS beteiligen will, sage ich. Allerdings wird gleichzeitig ein weiteres Abkommen mit Kanada weiter voran getrieben, das ebenfalls Investorenklagen vorsieht. In diesem Abkommen – CETA – muss die öffentliche Meinung ebenso Berücksichtigung finden wie bei TTIP. Alles andere wäre Augenwischerei und würde berechtigten Zorn in der Bevölkerung heraufbeschwören.

Mein Gesprächspartner versucht eine andere Argumentation: ISDS gebe es seit 20 Jahren in unterschiedlichsten Abkommen. Deutsche Konzerne seien mit die klagefreudigsten überhaupt. Und jetzt auf ein mal… Nein nein, entgegne ich, überraschend kommt der Widerstand nicht. Denn in den letzten Jahren häuften sich die Klagen immer mehr, immer größere Summen mussten die Steuerzahler unterschiedlicher Länder an Investoren überweisen, weil sie demokratische Entscheidungen getroffen hatten die denen nicht passten. Immer mehr Länder ziehen deshalb die Konsequenz und weigern sich, solche Klauseln zu akzeptieren. Alte Handelsabkommen, die ISDS vorsehen müssen deshalb gekündigt und durch neue ohne dieses Instrument ersetzt werden. Und auf keinen Fall darf ein TTIP oder ein CETA diese Fußangel enthalten.

Und noch etwas, setze ich nach: Ich hätte gehört die EU-Kommission wolle das Abkommen allein durch den Rat und das Europaparlament ratifizieren lassen, und die nationalen Parlamente außen vor lassen? Wenn dies stimme, sei das angesichts der Tragweite dieses Abkommens ein Aufreger allererster Güte. Das werde richtig Ärger geben.

Seit dem Vertrag von Lissabon hat die EU-Kommission die Kompetenz für Handelspolitik, entgegnet Herr Vanheukelen, und in seinen Augen blitzt die Begeisterung. Die Regierungen Europas hätten dem zugestimmt, auch meine. Ob ich ihr etwa nicht trauen würde? Da muss ich lachen. Man kann uns und den Campact-Aktiven sicher nicht vorwerfen, dass wir gegenüber Angela Merkel unkritisch wären. Ich verabschiede mich mit dem Versprechen, dass wir 400.000 Bürgerinnen und Bürger uns wieder bei der EU-Kommission melden. Bei der angekündigten Konsultation zum Thema ISDS werden wir uns natürlich beteiligen. Aber auch ungefragt werden wir uns zu Wort melden. Ganz bestimmt!

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39 Kommentare

Kommentare sind geschlossen
  1. Sehr geehrte Frau Strasser,

    Sie schreiben, dass Herr Vanheukelen in ihrem Gespräch sagt: „Wenn wir hohe für höchste Standards bei Verbraucher- und Gesundheitsschutz seien, dann sei doch das Handelsabkommen TTIP genau das Richtige. Denn dieses Abkommen sichere ja diese Standards.“
    Das verwirrt mich sehr. Ich habe verstanden, dass durch das Freihandelsabkommen in Zukunft bei uns „Chlorhühnchen“ usw. verkauft werden könnten. Also das unsere Standards schlechter werden würden. Das ist ein Widerspruch.
    Könnten sie das erklären? Bzw hat Herr Vanheukelen im Gespräch erläutert wie er das meinte?

    mfg

    • Nein, das hat Herr Vanheukelen nicht erklärt. Und auch in ihren zahlreichen schriftlichen Materialien zum Abkommen TTIP erklärt die EU-Kommission nicht, was sie mit schwammigen Begriffen wie „hohe Standards“ eigentlich meint. Aus US-Perspektive kann ein mit Chlor schön keimfrei gemachtes Huhn ja durchaus ein hoher Standard sein, denn bei uns werden ja teilweise bei Geflügel aus Massentierhaltung bedenkliche Keimbelastungen festgestellt. Von „hohen Standards“ zu schwafeln ist da zu ungenau. Ich würde sagen: Ich will weder ein gechlortes Huhn noch ein verkeimtes. Ich will saubere Produktionsstätten, artgerechte Tierhaltung, ausreichend und gut qualifiziertes Personal, um eine hygienische und ethisch vertretbare Produktion sicher zu stellen. Das ist wichtiger als niedrige Preise. Was denken Sie?

  2. Glückwunsch zu dem Engagement. Es gibt einen interessanten Artikel in der ZEIT vom 27.2. dazu (Dossier). Wir glauben, in einer Demokratie zu leben und wir wissen jetzt schon, wie es ausgeht.
    Das Freihandelsabkommen wird kommen. In der von den USA und den Konzernen diktierten Fassung. Und wenn die Verbraucher dann verlangen, dass das mit Genmais gefütterte und in Chlor gebadete Hähnchen oder die mit Hormonen angereicherten Steaks entsprechend deklariert werden, droht die US Klageindustrie mit entsprechenden Schadenersatzforderungen. Und setzt sie durch.
    Wir schaffen es dank Aigner noch nicht einmal, eine Zucker- oder Fettagrafik auf unseren Lebensmitteln unterzubringen.

  3. Welche ‚klagefreudigen‘ deutschen Konzerne, und warum soll das einen Bürger interessieren ?

    Zu allererst hat der Bürger selbst ziehmlich wenig vom Gewinn der dt. Konzerne – diese Klagegewinne werden ja ohne Produktion – Arbeitskräfte erziehlt, wenn man von den wenigen Anwälten mal absieht. Der Staat zahlt Steuergelder an Konzerne – egal von welcher Seite man die Sache betrachtet. Ohne Freihandelsabkommen würde der Konzern vllt regional eine eigene Fertigung aufziehen, ineffizienter vllt aber Arbeitsplätze sind erstmal Arbeitsplätze – wir sind solidarisch mit den US Bürgern.

    Schauen wir mal auf die „steuerlichen“ Effekte solcher Klagen.

    Nur 4,2 Pro­zent des deutschen Steu­er­auf­kom­mens 2010 wurde von Kapi­tal­ge­sell­schaf­ten beigebracht, in der USA sind es 10,9% … das heisst selbst wenn auf beiden Seiten gleich viel eingeklagt wird – erntet Deutschland als Staat weniger als halb soviel wie die USA – unter der kruden Annahme das der „Klagegewinn“ auch in Deutschland versteuert wird, praktisch werden solche Einnahmen eher als umgangener Umsatz deklariert, der Gewinn wird immer in der Steueroase realisiert indem interne Beschaffung (besonders von Lizensen) mit Phantasiepreisen verrechnet wird, so hält eine VW Tochter in Gibraltar die Schlüsselpatente des Konzerns.

    Wenn sich mal eine Journaille die Mühe machen würde, und die versteuerten Gewinne auf die Oasen umrechnent würde – könnte man plakativ die Konzerne ihren „wahren“ Ländern zuordnen.

  4. Schaden kann es auf jeden Fall nicht, auch die Petition an den Petitionsausschuss des Bundestags zu unterzeichnen. Habe ich deshalb gleich erledigt. Und drücke die Daumen, dass die Stimmen, die da noch auf 50.000 fehlen, noch zusammen kommen.

  5. Gut gemacht. EU-Kompetenz für Handelspolitik durch den Lissabon-Vertrag herzuleiten impliziert keine „Geheimverhandlungen“ und undemokratische Verfahren der EU. Das sollte mal juristisch geprüft werden. Warum hinterfragt niemand die detaillierten Gruende der EU für den Abschluss dieser Verträge und die Vorgehensweise? Tiefschlaf des investigativen Journalismus?

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