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Snowden im EU-Innenausschuss: Nackte Tatsachen und maßgeschneiderte Gesetze

Nach monatelangem Gezerre um die Frage, ob und wie Edward Snowden dem Innenausschuss des EU-Parlaments Rede und Antwort stehen könne, liegen sie jetzt vor: Zwölf Seiten, auf denen Snowden schriftlich eine Handvoll Fragen der Abgeordneten beantwortet. Morgen werden dieselben Abgeordneten eine Resolution zum NSA-Skandal mit abstimmen – und dabei Snowden in der Frage politischen Asyls […]

Nach monatelangem Gezerre um die Frage, ob und wie Edward Snowden dem Innenausschuss des EU-Parlaments Rede und Antwort stehen könne, liegen sie jetzt vor: Zwölf Seiten, auf denen Snowden schriftlich eine Handvoll Fragen der Abgeordneten beantwortet. Morgen werden dieselben Abgeordneten eine Resolution zum NSA-Skandal mit abstimmen – und dabei Snowden in der Frage politischen Asyls voraussichtlich die kalte Schulter zeigen. Für den Akt „außerordentlichen politischen Mutes“ (Snowden), den die Gewährung von Asyl bedeuten würde, ist bisher nur eine Minderheit im Parlament bereit.

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Deutsches Geheimdienstgesetz maßgeschneidert für die NSA

Facebook-Profilbild_400x400_1Snowden erklärte, die britischen und amerikanischen Geheimdienste übten gezielt Druck auf andere Länder aus, um deren Gesetze spitzelfreundlich zu gestalten und verfassungsrechtliche Hürden für Überwachung zu schleifen. Ein Beispiel dafür sei das deutsche G10-Gesetz, in dem Eingriffe in das Brief- und Fernmeldegeheimnis geregelt sind. In einem nächsten Schritt dränge man die befreundeten Regierungen dazu, sich Zugang zu den bei Internet- und Telefonprovidern anfallenden Datenmassen zu verschaffen und stelle dafür Technik und Know-How zur Verfügung.

Bilaterale Abkommen mit den einzelnen Staaten seien stets so formuliert, dass Datenzugriffe durch US-Dienste stattfinden können, ohne die betroffenen Staaten konkret zu informieren. Dies sei beabsichtigt, damit Merkel & Co jegliche Mitwisserschaft über konkreten Datenmissbrauch glaubhaft abstreiten können, ohne einen Schauspielkurs besucht zu haben. Im Ergebnis habe man einen „europäischen Basar“ geschaffen, auf dem Diensten Datenzugriff gewährt wird unter der Bedingung, nicht nach den jeweils eigenen Staatsbürgern zu suchen – dafür aber nach allen anderen. So würden Daten deutscher Bürger beispielsweise in Dänemark abgefangen und dänische Daten in Deutschland. Insgesamt könne damit unter Umgehung einzelstaatlicher Schutzvorschriften jede beliebige Person überwacht werden. Snowden bestätigte, es gebe noch zahlreiche weitere Überwachungsprogramme, die die Grundrechte von EU-Bürgern verletzen. Veröffentlichungen darüber seien jedoch Sache der Journalisten, denen er seine Daten übergeben habe.

Ist das illegal oder kann das weg?

Vor allem US-amerikanische Konservative setzen viel daran, Snowden als Verräter und Spion feindlicher Mächte zu diskreditieren, der sich doch ohne weiteres an interne Stellen hätte wenden und auf den amerikanischen Rechtsstaat vertrauen können. Ob er vor seinem Gang an die Öffentlichkeit wirklich alles Mögliche versucht habe, um den Skandal intern zu klären?

„Ich habe die offensichtlich problematischen Programme mehr als zehn verschiedenen Geheimdienstbeamten gemeldet“, antwortet Snowden. „Keiner davon hat reagiert und Maßnahmen dagegen eingeleitet.“

Im Gegenteil habe man ihm dringend nahegelegt, den Mund zu halten, denn sonst drohten Repressalien. Die Whistleblower-Gesetze der USA schützen keine Geheimdienst-Mitarbeiter – insbesondere keine, die wie Snowden für private Auftragnehmer der Behörden arbeiten. Mitarbeiter, die wiederholt auf offiziellem Wege illegale Operationen kritisierten, seien Opfer von Hausdurchsuchungen und anderen Einschüchterungsversuchen geworden.

Snowden wies darauf hin, dass die Kritik an den Missständen, selbst als sie von höchster Stelle kam, bisher ohne Konsequenzen blieb. Mittlerweile haben zwei unabhängige Untersuchungen des Weißen Hauses gezeigt, dass die Massenbespitzelung rechtswidrig ist und nichts – aber auch gar nichts – zur Terrorismusbekämpfung beiträgt. Dennoch laufen die Spitzelprogramme ungebremst weiter. Und dennoch beten Politiker immer noch – die regierungsamtlich als Lüge entlarvte – Behauptung nach, mithilfe der Masssenüberwachung seien Anschläge verhindert worden.

Ausschnitt_Menge_Whistleblower_schützenÜberwachung macht die Welt unsicherer

Der einzige Erfolg des gigantischen Spitzelprogramms war laut Snowden die Aufdeckung der Überweisung eines amerikanischen Taxi-Fahrers nach Somalia in Höhe von 8500 US-Dollar im Jahr 2007. Gleichzeitig binde Massenüberwachung Ressourcen, die für gezielte Ermittlungen in konkreten Verdachtsfällen fehlen. Als der Vater des „Unterhosenbombers“ 2009 die US-Behörden vor seinem Sohn warnte, wurde er nicht gehört: Die Geheimdienste waren allzu beschäftigt mit der Überwachung von Online-Gamern und deutschen Ministern, so Snowden. Weiter schreibt er:

„Wenn liberale Staaten entscheiden, dass ihnen die Bequemlichkeit von Spionen wichtiger ist als die Rechte ihrer Bürger, werden Staaten, die weniger liberal und weniger sicher sind, das unabwendbare Ergebnis sein.“

Schon jetzt drängt das Wissen um die Überwachung Bürger/innen zur „freiwilligen“ Anwendung der Schere im Kopf und schränkt damit Freiheit ein. Studien aus Norwegen und den USA belegen den „chilling effect“ auf die freie Kommunikation im Netz: Internet-User gehen zunehmend dazu über, sich selbst zu zensieren aus Angst, jemand könne irgendwann ihre Äußerungen, Suchanfragen oder Seitenaufrufe im Netz gegen sie verwenden.

„Unbehelligt zu sein von unbefugtem Eindringen in unseren Privatbereich – unser Leben und Eigentum, unsere Gedanken und unsere Kommunikation – dieses Recht ist ein Menschenrecht“, betonte Snowden. „Es wird nicht von nationalen Regierungen gnädigerweise gewährt, und es kann von ihnen nicht widerrufen werden, wenn es ihnen zweckmäßig erscheint. So wie wir Polizeibeamten nicht gestatten, in jedes Haus einzudringen, um dort nach Beweisen für noch unentdeckte Verbrechen zu suchen, so dürfen wir auch Spionen nicht erlauben, unsere gesamte Kommunikation nach Hinweisen auf unerwünschte Aktivitäten zu durchforsten.“

Im Visier von Geheimdiensten

Ausschnitt_Rufende_AktivistenUnd er erinnerte daran, dass der britische Geheimdienst GCHQ über einen Yahoo-Dienst Bilder von Webcams vieler Nutzer gesammelt hat. Die so erlangten intimen Daten waren mit Programmen der NSA gekoppelt und konnten jederzeit von weiteren ausländischen Geheimdiensten durchsucht und abgerufen werden. Daten über sexuelle Vorlieben wurden benutzt, um politisch missliebige Menschen zu diskreditieren. Die von Snowden-Vertrauten betriebene Webseite „The Intercept“ enthüllte zudem ein GCHQ-Programm, das den Schritt von der Überwachung zur planvollen staatlichen Manipulation von Bürgern und Öffentlichkeit geht. Durch gezieltes Streuen von Falschinformationen und Identitätsdiebstahl werden politisch missliebige Personen und politische Netzwerke mit Rufmord bedroht. Kriminelle Machenschaften, die Existenzen zerstören – und den Glauben an Rechtsstaat und Demokratie komplett implodieren lassen können.

Snowden provoziert mit seiner Anmerkung, die Mitglieder des EU-Ausschusses müssten sich selbst die Frage stellen, ob sie jemals Positionen vertreten hätten, die in Augen der NSA „radikal“ seien und sie zur Zielscheibe derartiger Praktiken machen könnten. Es liegen schließlich Beweise für NSA-Angriffe auf UN- und EU-Institutionen vor, weitere Fälle stehen laut Snowden vor der Veröffentlichung. Er selbst habe als Geheimdienst-Mitarbeiter Zugang zu privater Kommunikation von EU-Abgeordneten wie auch Zugriff auf Daten von normalen Bürgern gehabt.

Snowden wiederholte, dass er Asyl in der EU sucht und immer noch auf Antwort der einzelnen Mitgliedsstaaten wartet. Mitglieder nationaler Parlamente hätten ihm gegenüber jedoch angegeben, die USA würde es nicht „erlauben“, dass ein EU-Mitgliedsstaat ihm politisches Asyl gewähre. Auch aus dem morgen vom EU-Parlament abzustimmenden Resolutionsentwurf wurden Passagen gestrichen, die einen europäischen Schutz für Snowden fordern. Offenbar lassen sich EU-Parlamentarier lieber nackt vor der Webcam observieren, als die Blöße der europäischen Rechtsstaatlichkeit zu bedecken.

 

Wir fordern Schutz für Edward Snowden in Deutschland. Mehr als 180.000 Menschen haben unseren Appel unterschrieben. Zeichnen Sie mit!

 

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Autor*innen

Annette Sawatzki, Jahrgang 1973, studierte Philosophie, Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre in Bonn, Berkeley und Hamburg. Sie arbeitete als Dokumentarin, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Büroleiterin von Bundestagsabgeordneten. Ihre Schwerpunkte als Campaignerin bei Campact liegen in der Sozial-, Wirtschafts- und Finanzpolitik. Alle Beiträge

12 Kommentare

Kommentare sind geschlossen
  1. Das Asylrecht ist in meiner Wertigkeit etwas sehr wertvolles, das man Menschen gewähren muss, die zu Unrecht um Leib und Leben fürchten müssen. Herr Snowden hat zweifelsfrei ein Unrecht aufgedeckt von bisher ungeahnten Ausmass.

    Für eine strafrechtliche Bewertung bei der Strafverfolgung seitens der US-Behörden – und die ist nicht unwichtig – ist es von grundsätzlicher Bedeutung, ob Herr Snowden während seiner Tätigkeit den Versuch unternommen hat, dass diese Missstände beseitigt werden. Mit anderen Worten: Hat Herr Snowden, bevor er mit den Unterlagen aus dem Land geflüchtet ist, ernsthaft versucht, die von ihm bemängelten Rechtsbrüche bei seinen Vorgesetzten, der Justiz oder irgendeiner anderen US-Institution anzusprechen?

    Ein weiterer Punkt ist die Fülle an Informationen, die Herr Snowden nun direkt und indirekt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Bei der Anzahl an Dokumenten sind Zweifel angebracht, dass es nur gezielte Informationen über den Missbrauch sind. Der Übergang von Informationen über einen Strafbestand zum Geheimnisverrat ist durchaus schwierig, und daher hat die US-Behörde durchaus ein Recht auf Strafverfolgung für den Teil, der rechtmässig der Geheimhaltung unterliegt. Natürlich erfreuen sich die Presse und die Leser über Skandale, allerdings hat auch eine Geheimdiensttätigkeit und die Geheimhaltung bestimmter Informationen ihre Daseinsberechtigung.

    Ein weiterer Punkt ist das Absprechen der Rechtstaatlichkeit der US-Behörden. Es wird kolpotiert, dass Herr Snowden körperlich angegangen werden könnte und er keine Rechte als Bürger bekommt – in einem Land, in dem Strafverfolgung mehr in der Öffentlichkeit steht als in allen anderen Ländern. Es gibt Live-Schaltungen von Gerichtsprozessen, eine Unzahl an sehr erfolgreichen Verteidigern, eine Fülle an Gesetzen und Gerichten, eine teilweise extreme Meinungsfreiheit (Rechtsradikalismus, Religion) und ein transparentes Gerichtswesen. Eine willkürliche und nichtrechtsstaatliche Strafverfolgung wäre aber eine Voraussetzung für Asyl.

    In Deutschland haben wir ein Auslieferungsabkommen mit den USA – wie gehen wir damit um? Setzen wir es einfach aus und gehen in Gefahr, dass in Zukunft Straftäter in die USA flüchten können?

    Herr Snowden ist bewusst zum Geheimdienst gegangen, er hat mit seiner Arbeit bewusst Recht gebrochen, und er ist sich bewusst, dass die Mitnahme und die Veröffentlichung strafrechtlich Konsequenzen haben könnte. Daher ist Herr Snowden kein Opfer, sondern ein Täter, der seine Mittäterschaft und Rechtsbrüche öffentlich macht, sich aber einer Strafverfolgung erst einmal entzieht. Und ein Gericht sollte nun auch klären, inwieweit sich Herr Snowden strafbar gemacht haben – dieser Verantwortung könnte sich Herr Snowden durchaus stellen.

    Zum Schluss eine persönliche Anmerkung:
    Ich finde es höchst amüsant, dass Herr Snowden aus Angst vor einer willkürlichen Strafverfolgung in ein Land flüchtet, deren politische Herrscher ihre Gegner mit Scheinprozessen wegsperren lässt, und deren Pressefreiheit nur auf dem Papier besteht; dessen Presse kompletter staatlicher Kontrolle unterliegt, und dessen Gehimdienst schon immer an der Rechtstaatlichkeit vorbei gearbeitet hat. Der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter Putin ist bestimmt kein idealer Gastgeber in puncto Demokratie, Rechststaatlichkeit und Menschenrechte – er missachtet sogar Völkerrecht und ist alles andere als ein friedliebender Mensch.

  2. Da gibt es doch wirklich Leute, die so naiv sind, Asyl für Edward Snowden in Deutschland zu fordern mit Zeugenschutzprogramm und so weiter. Wer soll denn diesen Mann in Deutschland den nötigen Schutz gewähren? Die Helfershelfer von CIA und NSA? BND oder Verfassungsschutz? Das ist doch lächerlich! Da kann sich Edward gleich in der nächsten US – Botschaft melden. Möglichst noch unter Beteiligung eines Anwalts. Dann hat er wenigstens noch die Zeit bis nach seinem Prozeß vor einem US – Gericht am Leben zu bleiben, bis er sich unter der drückenden Last seiner Verbrechen erhängt wurde.
    Snowden hat nur – eine – Chance zu überleben und zu leben. Er muß in Rußland bleiben.
    Es soll doch keiner glauben, daß sich die deutsche Regierung gegen eine Auslieferung Snowdens stellen würde, wenn die USA das nachdrücklich fordern würden. Deutschland ist kein souveräner Staat, sondern besetztes Territorium. Immer noch.
    Oder glaubt wirklich jemand, daß die Schlapphüte aus Übersee den Aufdecker in Deutschland nicht ausfindig machen und in einer Nacht- und Nebelaktion einfach entführen würden. Selbst wenn deutsche Beamte direkt daneben stehen würden, hätten die absolut nichts gesehen.

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