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Wahnsinn: EU-Parlament kippt Lobby-Forderungen der Internet-Konzerne

Keiner hatte mehr daran geglaubt. Doch das EU-Parlament hat den schlimmsten Sonderrechten für Internet-Konzerne eine Absage erteilt. Bis zu letzt war es eine Zitterpartie.

Kurz vor der entscheidenden Abstimmung heute im EU-Parlament lagen die Nerven bei uns blank. Bis zuletzt war nicht klar, ob die Änderungsanträge gegen eine Vorfahrts-Regelung für Internet-Großkonzerne eine Mehrheit finden werden. Doch dann kam die Erlösung! Die meisten Anträge haben eine Mehrheit bekommen und die schlimmsten Passagen der Verordnung wurden entschärft. Die Änderungsanträge wurden von liberalen, grünen, sozialdemokratischen und linken Abgeordneten gestellt und konnten deshalb viel Unterstützung finden. Zwar sind nicht alle Anträge durchgekommen, das Schlimmste konnte jedoch verhindert werden. Dabei hat bis zuletzt kaum jemand daran geglaubt, dass an der Entscheidung des wichtigsten Ausschusses noch zu rütteln wäre. So kann man sich irren!

Campact hat zusammen mit der Verbraucherzentrale Bundesverband, der Digitalen Gesellschaft, Digitalcourage und European Digital Rights einen Appell mit zuletzt rund 170.000 Unterstützern ins Feld geführt. Am Dienstag waren wir in Brüssel und haben die Unterschriften an EU-Abgeordnete überreicht. Der Appell zeigte Wirkung: Die EU-Abgeordnete Martina Michels (Die Linke) hat am Mittwoch bei einer Aussprache das dicke Paket mit den gesammelten Unterschriften im Plenum hochgehalten. Sie appellierte an die anderen Abgeordneten, dem Appell folge zu leisten.
Während die Lobbyisten von Telekom und Co sich nun ärgern, knallen bei Vereinen und Initiativen von Nutzer/innen die Sektkorken. Wir gratulieren unseren Kooperationspartnern zu diesem Erfolg, der nur durch ihr jahrelanges Engagement und viel Überzeugungsarbeit bei den Abgeordneten möglich war. Die Abstimmung heute war ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Und doch ist die Entscheidung nur ein Etappensieg. Der EU-Rat wird anschließend noch mit über die Verordnung entscheiden. Daher gilt es den Regierungen der Mitgliedsstaaten weiter auf die Finger zu schauen. Wir beenden daher unsere Kampagne mit der heutigen Abstimmung – vorerst.

Update: Wir arbeiten an einer genauen Analyse der Verordnung und Änderungsanträge und werden noch ausführlicher über die einzelnen Verordnungs-Bausteine die jetzt abgestimmt wurden, berichten.

Wenn Du bei der nächsten Kampagne dabei sein willst, dann halten wir Dich gerne auf den Laufenden – per E-Mail, Facebook, Twitter oder GooglePlus:

 

Zum Hintergrund:

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit plante die EU-Kommission einen Anschlag auf die Meinungsfreiheit: Sie wollte, dass Konzerne künftig eine bevorzugte Behandlung ihrer Fotos, Videos und Texte in Datenleitungen kaufen können. Wären die Pläne in dieser Woche unverändert durch das Europaparlament gekommen, dürften in Zukunft wenige Großunternehmen entscheiden, was wir Bürger/innen im Internet zu sehen und zu lesen bekommen.

Denn Wikipedia, unabhängige Medien und kleine Firmen können sich keine Internet-Maut leisten. Medienkonzerne hingegen schon. Nur ihre Inhalte würden dann noch verlässlich viele Menschen erreichen – und die anderer Anbieter, politischer Initiativen und Start-Ups verdrängen.

Doch viele Abgeordnete waren noch unschlüssig – und direkt vor der Europawahl wollte es sich niemand mit den Wähler/innen verscherzen.

Wir machten den unentschlossenen Abgeordneten klar: Wir Bürger/innen dulden keine Sonderrechte für Konzerne. Wir haben mehr als 150.000 Unterschriften in Brüssel an EU-Abgeordnete überreicht:

Der freie Zugang zu Informationen hängt von einem neutralen Datentransport im Internet ab. Bislang konnten kleine und große Anbieter das Internet weitgehend gleichberechtigt nutzen: Alle Informationen wurden gleich schnell durchgeleitet, egal ob nun etwa der Springer-Konzern, eine Bürgerinitiative oder eine Start-Up-Firma sie losschickte. Dank dieser so genannten „Netzneutralität“ konnten sich bis heute unzählige Nachrichtenseiten, Online-Shops, Internet-Telefonie- und Video-Dienste im Internet etablieren. Doch immer mehr Konzerne wollen Profit über Chancengleichheit und Vielfalt stellen.

Eine Lücke in der Netzneutralitäts-Verordnung der EU-Kommissarin Neelie Kroes hätte die Diskriminierung einzelner Angebote per Gesetz hochoffiziell zum Standard erhoben: Wäre diese Lücke nicht geschlossen worden, dürften Großunternehmen sich in ganz Europa eine schnellere Durchleitung ihrer Inhalte in Datenleitungen kaufen – auf Kosten aller anderen Informationsangebote.

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Autor*innen

Katharina Nocun ist studierte Ökonomin und beschäftigt sich mit den Auswirkungen der technologischen Revolution auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Sie engagiert sich in der digitalen Bürgerrechtsbewegung für eine lebenswerte vernetzte Welt. Sie war 2013 Politische Geschäftsführerin und Themenbeauftragte für Datenschutz der Piratenpartei Deutschland und arbeitete als Referentin und Campaignerin u.a. für den Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV), Campact e.V. und Wikimedia Deutschland e.V.. Katharina Nocun ist Botschafterin für die Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen und Mitglied im Beirat des Whistleblower-Netzwerks und bloggt regelmäßig unter www.kattascha.de. Folge Katharina auf Twitter: @kattascha Alle Beiträge

21 Kommentare

Kommentare sind geschlossen
  1. Die Demokratie darf nicht durch Lobbys gelenkt werden und ebensowenig mit Geld erkaufbar sein. Mitbestimmung und freie Meinungsäusserung darf nicht nur ein Recht sein was keiner nutzt. Dank des Internets können alle leicht etwas dazu beitragen, das die Vernunft nicht in Vergessenheit gerät. Auch wenn einige das sagen haben, haben wir doch alle die Macht. Möge die Macht der Wähler auch weiterhin mit allen sein, die Vernunft praktizieren wollen…
    Peer

  2. Danke für euren Einsatz aber ich arbeite in der IT und das was ihr verhindern wollt ist längst gelebte Praxis.

    Google und ALLE anderen Suchmaschinen bevorzugen seit langer Zeit, nahezu Anbeginn ihres Daseins, jeden der bezahlt. Wer in der Ergebnisliste oben stehen will; Und nur so erreicht man überhaupt jemanden, der muss dafür zahlen… was glaubt ihr denn wie sich ein Suchdienst finanziert, bestimmt nicht durch soziales Angagement.

    Im Übrigen ist die Erreichbarkeit durch die vertragliche vereinbarte Bandbreite bereits jetzt gedeckelt, das ist für Großunternehmen bereits jetzt extrem teuer, dafür möchten die ihr Recht an Bandbreite gesichert sehen, ich kann das nachvollziehen, die zahlen 6 stellige Summen für Bandbreiten, die sie nicht ausschöpfen.

    Sorry, das ist Aktionismus und der geht auch noch in die falsche Richtung weil das Thema nicht verstanden wurde!

    • Es geht doch um viel mehr!!!
      Diese Seite ist ein Versuch, durch Basisdemokratie Einfluss auf Politik und Gesellschaft zu nehmen in Zeiten der Politikverdrossenheit und Lobbydemokratie.

      Macht alle weiter mit und bringt dieses junge Pflänzchen zum wachsen und blühen!

    • Mit dieer Einstellung von Hohn können wir alle sofort alle Aktivitäten einstellen. Es geht in dieser Angelegenheit darum, dass man nicht offiziell etwas legalisieren lassen muss, nur weil es vielleicht teilweise oder zu einem bestimmten Grad schon so praktiziert wird. Was ein grundsätzliches sich Wehren gegen übermächtige Lobbyisten und Groß-Akteure mit Aktionismus zu tun haben soll, ist mir absolut nicht verständlich. Es gibt genug Beispiele, gerade bei Campact, dass sich Wehren nicht nur Erfolg bringt und nützt, sondern auch eine zusätzliche Eigendynamik entwickelt. Darum geht es vor allem!!

  3. Weiter dranbleiben … DENN die Konzerne werden es immer wieder versuchen, sie geben sich niemals damit zufrieden, irgendwann kommen sie wohl wieder mit etwas Ähnlichem durch die Hintertür!
    Wachsam bleiben …

  4. Ich bin verwirrt. Der Artikel liest sich so, als wollten Konzerne Seiten wie Wikipedia und Co durch Nichterereichbarkeit zensieren. Das höre ich zum ersten Mal? Echt?
    Ich dachte, es geht um die bessere Qualität bestimmter Seiten, die breitbandigen Bedarf haben, wie Youtube, Facebook und Co, damit die Millionen Bürgen diese Seiten mit besserer Qualität erreichen können. Und warum sollte genau deren Geschäftsmodell darauf beruhen, etwas umsonst nutzen zu können, was andere Firmen bezahlen? Oder ich hab was Grundsätzliches nicht gecheckt.
    Ich habe noch nie bemerkt, dass Wikipedia und Co, auch bei Edge, eine schlechte Performance haben.
    Vielleicht sollte man eine Hürde einbauen. Auch Startups, die breitbandige Dienste anbieten müssen erst etwas bezahlen, wenn sie 5000 Mitarbeiter und 50 Mil. Umsatz machen.
    Würde mich bei weiteren Erklärungen über inhaltlich mehr Tiefgang freuen.

  5. Toll. Und was genau ist jetzt inhaltlich passiert??

    PS ‚wikipedia‘ neben ‚unabhaengige medien‘ zu platzieren ist ein netter versuch. Aber jeder weiss, dass wikipedia längst nicht mehr neutral ist.

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