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Zurück in die Kohlezeit? Was der Bundestag mit dem neuen EEG beschlossen hat

In unglaublicher Hektik hat der Bundestag am Freitag die Novelle des Erneuerbaren-Energie-Gesetzes (EEG) beschlossen. Die neueste Textversion lag erst wenige Tage vor der Beschlussfassung vor - und das bei einem Dokument mit 218 Seiten! Noch kurz vor Schluss wurden wichtige Passagen geändert, ohne dass für den Bundestag die Möglichkeit bestand, hier noch wirklich zu prüfen.

In unglaublicher Hektik hat der Bundestag am Freitag die Novelle des Erneuerbaren-Energie-Gesetzes (EEG) beschlossen. Die neueste Textversion lag erst wenige Tage vor der Beschlussfassung vor – und das bei einem Dokument mit 218 Seiten! Noch kurz vor Schluss wurden wichtige Passagen geändert, ohne dass für den Bundestag die Möglichkeit bestand, hier noch wirklich zu prüfen. Der Antrag der Opposition, die Abstimmung zu verschieben und dem Parlament mehr Beratungszeit zu geben, schmetterte Schwarz-Rot ab. Schon aus demokratischer Sicht ist der Beschluss ein Trauerspiel.

Erst recht jedoch, was den Inhalt betrifft: Jetzt wo Photovoltaik und Windenergie an Land auf Grund der jahrelangen Förderung per Einspeisevergütung viel günstiger geworden sind, wird deren dynamisches Wachstum ausgebremst. Nicht wegen der Kosten, nicht wegen der Netze, nicht wegen der Versorgungssicherheit, sondern weil immer mehr erneuerbarer Strom Kohlekraftwerke unrentabel macht. Und den angeschlagenen Energiekonzernen die Einnahmen wegbrechen.

Demonstration vor dem Bundestag

„Zurück in die Kohlezeit“ – unter diesem Motto befeuerten denn auch am letzten Freitag vor dem Bundestag Merkel und Gabriel einen großen Kohleschlot – gekleidet im Steinzeit-Look, mit Keulen und Äxten. Weit über 100 Demonstrant/innen protestierten gegen die EEG-Reform. Bilder der Aktion schafften es bis in die großen Nachrichtensendungen. Die Aktion hatten wir gemeinsam mit dem BUND und den Naturfreunden Deutschlands organisiert.

Bildergalerie – Demo und Protest-Aktion am Bundestag:

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Was wurde im Bundestag beschlossen?

Die Parlamentarier schnürten ein ganzes Bündel an Folterinstrumenten für die Energiewende:

  • Ausbaudeckel für die Windenergie
    Künftig darf nur noch 2,5 GW jährlich zugebaut werden. Dies entspricht etwa 500 großen Windrädern. Überschreitet der Zubau diese Grenze, sinkt die Förderung („atmender Deckel“). Hierdurch entsteht massive Planungsunsicherheit für Investoren – was wie Gift für den weiteren Ausbau wirkt. Erreichen konnten wir aber immerhin, dass der Ersatz von alten Windrädern durch neue bis zu einem Umfang von 1 GW nicht angerechnet wird („Repowering“) – und somit zusätzlich erfolgen kann. Trotzdem wird ein dynamisch anwachsender Markt gedeckelt und auf einen Ausbaukorridor begrenzt – völlig unabhängig davon, wie stark die Preise noch weiter sinken: Planwirtschaft pur. Hochproblematisch ist auch eine Länderöffnungsklausel, nach der es den Bundesländern frei steht, Mindestabstände für Windräder vorzuschreiben. Fallen sie so rigide aus wie Ministerpräsident Seehofer es für Bayern plant, so macht dies den weiteren Ausbau der Windkraft faktisch unmöglich.
  • Sonnensteuer
    Künftig soll EEG-Umlage auf die Erzeugung und den Verbrauch von selbst erzeugtem Eigenstrom aus Photovoltaik erhoben werden: Anfangs 30 Prozent Umlage, bis 2017 dann schrittweise ansteigend auf 40 Prozent. Gegen die Neuregelung streiten wir seit Wochen mit einer Campact-Kampagne. Eine Sonnensteuer wäre völlig widersinnig: etwa so, wie wenn ein Hobbygärtner auf selbst angebaute und verspeiste Tomaten künftig Mehrwertsteuer zahlen müsste. Wer Eigenstrom erzeugt und selbst verbraucht, der investiert die eigenen Ersparnisse, entscheidet sich auf die EEG-Vergütung zu verzichten und trägt damit zu einer kostengünstigen Energiewende bei. Hinzu kommt, dass Mieter, die vom Hausdach solar erzeugten Eigenstrom beziehen wollen, sogar 100 Prozent EEG-Umlage zahlen sollen. Dies ist auch noch sozial ungerecht, da Mieter meist sozial schlechter gestellt sind als Eigenheimbesitzer. – Soziale Gerechtigkeit à la SPD? Doch unser Protest wurde auch wahrgenommen. Eher kosmetisch ist die Änderung der EEG-Umlage für Sonnenstrom von 50 auf 40 Prozent. Positiv ist hingegen, dass Industrie mit fossilen Energieträgern produzierten Eigenstrom jetzt 100 Prozent EEG-Umlage zahlen muss – Es sei denn, sie betreibt Kraftwerke in Kraft-Wärme-Kopplung, dann werden de facto nur 15 Prozent fällig.
  • Industrierabatte bleiben
    Nicht nur beim Eigenstrom macht die Große Koalition Industriepolitik für Großunternehmen. Auch die exzessive Befreiung „energieintensiver Unternehmen“ von der EEG-Umlage bleibt im bisherigen Umfang bestehen, verteilt sich nur anders. 90 Prozent des produzierenden Gewerbes und damit 219 Branchen sind berechtigt, einen Antrag auf Befreiung oder Vergünstigung bei der EEG-Umlage zu stellen. Dort wo die Kosten der EEG-Umlage für die Verbraucher/innen massiv gesenkt werden könnten, passiert somit nichts. Nötig wäre hingegen eine konsequente Reduzierung der Rabatte auf Unternehmen oder Unternehmenssparten, die nachweislich im internationalen Wettbewerb stehen und die massiv in Energieeffizienz investieren.
  • Bürgerenergie ade
    Getragen wurde die Energiewende bisher vor allem von Bürger/innen, Bürgerenergie-Genossenschaften und Stadtwerken. Dies soll sich grundlegend ändern: Großprojektierer und Energiekonzerne sollen das voranbringen, was von der Energiewende bleibt. Ausbaudeckel, Ausschreibungen ab 2017, dazu noch die verpflichtende Direktvermarktung erneuerbaren Stroms – all das führt dazu, dass Investitionsrisiken und damit Bankzinsen deutlich steigen. Für Bürgerprojekte ohne Risikokapital ist dies das Ende – und damit für eine dezentrale Energiewende in Bürgerhand.

Die Grundrichtung der Reform wird sich nicht mehr ändern lassen. Besonders die SPD macht derzeit nicht mehr Politik im Sinne ihrer großen Vordenker der Energiewende – von Erhard Eppler und Hermann Scheer. Sondern hat sich auf altbackene Industriepolitik für Großunternehmen und Kohlekonzerne verlegt. Doch zumindest im Detail sind noch Änderungen möglich.

Nachdem die Parlamentarier der Regierungsfraktionen versagt haben (und auch noch von der Regierung mit letzten Änderungen überrumpelt wurden), ruht unsere letzte Hoffnung jetzt auf dem Bundesrat. Er hat sich gegen die Sonnensteuer gestellt und einen Kompromissvorschlag unterbreitet. Statt 40 Prozent (und 100 Prozent für Mieter) soll die EEG-Umlage auf solaren Eigenstrom nur 15 Prozent betragen. Dies würde verhindern, dass der Ausbau der Solarenergie in Deutschland massiv abgewürgt wird.

Am 11. Juli entscheidet die Länderkammer über die EEG-Reform. Wir bleiben auch auf den letzten Metern dran.

Weitere Hintergründe:

Ausblick: Anti-Kohle-Kette in der Lausitz

Trotz Energiewende werden in Deutschland immer neue Braunkohle-Tagebaue genehmigt – ein Geschenk an die Energiekonzerne. Sie zerstören ganze Landschaften, vertreiben Menschen aus ihrer Heimat, lassen Flüsse und Seen versauern. Und Millionen Tonnen Kohlenstoff heizen den Klimawandel an.

Doch der Widerstand wächst: Am 23. August protestiert ein breites Bündnis mit einer deutsch-polnischen Menschenkette zwischen Kerkwitz und Grabice, zwei von der Abbaggerung bedrohten Dörfern, gegen diese Irrsinn.

 

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Autor*innen

Campaigner - Jahrgang 1970, Physiker (1996-2000 Mitarbeiter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.) Seit 1988 ehrenamtlich und seit 2001 vollzeit politisch aktiv. Mitgründer von Attac, langjähriger Campaigner für bezahlbare Medikamente bei Ärzte ohne Grenzen, für die er auch in einem AIDS-Projekt in Swasiland gearbeitet hat. Seit 1.1.2014 als Energiewende-Campaigner bei Campact Alle Beiträge

39 Kommentare

Kommentare sind geschlossen
  1. Ein Riesen Problem welches nicht nur die Privathaushalte trifft sondern auch mittelständische Unternehmen die im Glauben an eine Energiewende investiert haben und jetzt feststellen, dass gravierende Änderungen dau führen, das sich diese Investitionen nicht mehr rechnen. Jetzt kann man wieder über finanzielle Anreize und monetäre Betrachtungen schimpfen, aber es sind nun mal diese Unternehme,n die auch unter ökologischen Aspekten handeln wollten, nur damit die Mitarbeiter nicht ihre Arbeitsplätze verlieren, muss es sich halt auch rechnen. Da greift das Problem der Großkonzerne die gerne weiterhin abkassieren wollen und sich nicht gern die Butter vom Brot nehmen lassen wollen. Genau das ist jedoch geschehen. Ein Bürger oder Unternehmen, welches jetzt selbst für Strom sorgt braucht keinen Energieriesen mehr. Dann haben die auch noch vorgemacht, wie man damit Geld verdienen und insbesondere Zahlungen vermeiden kann. Also muss jetzt das breite Bürgertum dafür zahlen, was diese Konzerne über Jahre verweigert haben, wahrscheinlich auch weil sie so mit Geld zählen beschäftigt waren.

  2. Ich versteh das viel ein Problem haben mit dem neuen Energien Gesetzt aber muss es denn immer um Profit gehen.schrauben sich denn alle neu solarzellen aufs dach weil es sich Finanziel lohnt?Ich denke man sollte das Richtege tut weil es wichtig ist unsere Umwelt zu schützen so gut es eben geht oder wie man kann.Überlegt lieber was ihr hinterlassen wollt,ist das Geld denn wirklich so wichtig.Lass euch nicht manipulieren und benutzt euren gesunden Meschenverstand,dann werdet ihr auch das Richtige tun,ohne das euch nen Intustrieller oder Lobbyist dicktiert was man machen soll.

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