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Kulturszene fürchtet TTIP & CETA

TTIP und CETA - zwei Abkürzungen die manchen verwirren und alle betreffen. Aber was sind denn die Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser Zwillinge? Olaf Zimmermann und Gabriele Schulz vom Deutschen Kulturrat klären auf. Denn auch die Kulturszene ist massiv betroffen und hat wenig positive Impulse zu erwarten.

Graffiti: Kultur. Quelle: flickr.com/photos/herbalizer/6099302789 [CC]

CETA als Blaupause für TTIP – Was sind die Gemeinsamkeiten und was die Unterschiede der Handelsabkommen mit Kanada und mit den USA?

O b das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada, CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement), eine Blaupause für das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA, TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership), ist oder nicht, wird je nach Diskussionspartner und Diskussionsstand bejaht oder verneint. Um es gleich vorweg zu nehmen, wir sind der Meinung, es ist beides, eine Blaupause und doch keine.

CETA wird oft als Pilot der EU-Kommission für eine neue Generation von Handelsabkommen bezeichnet. CETA ist das erste ambitionierte Abkommen, in dem mit Negativ- statt mit Positivlisten gearbeitet wurde und es ist ein Abkommen mit sehr ehrgeizigen Zielen der gegenseitigen Marktöffnung. Über mehrere Jahre wurde dieses Abkommen im Windschatten der nicht enden wollenden Doha-Runde der Welthandelsorganisation verhandelt. Über die CETA-Verhandlungen wurde nur wenig bekannt und wer aus dem Kulturbereich davon Wind bekam, war sich sicher, dass nichts Schlimmes passieren würde, wird Kanada doch oft als ein europäisches Land auf dem amerikanischen Kontinent wahrgenommen. Schließlich waren es die Kanadier, die die Idee einer UNESCO-Konvention zum Schutz der kulturellen Vielfalt in die UNESCO einbrachten und die Erarbeitung im UNESCO-Kontext energisch vorangetrieben haben. Insofern kann CETA keine Blaupause für TTIP sein, schon allein, weil Kanada den Kultur- und Medienbereich aus dem Abkommen ausgenommen hat: zum Schutz seiner kulturellen Vielfalt. Im Gegensatz dazu hatte die EU-Kommission keine entsprechende umfassende Ausnahmeklausel für den europäischen Kultur- und Medienbereich verankert. Und noch aus einem anderen Grund ist CETA mit TTIP nicht zu vergleichen. Kanada ist ein ungleich kleinerer Markt als die USA, das gilt mit Blick auf deutsche Exporte nach Kanada und es gibt keine den US-amerikanischen Kulturunternehmen vergleichbaren kanadischen Unternehmen der digitalen Wirtschaft, die eine markbeherrschende Stellung wie beispielsweise Google oder Amazon haben.

Ein Vorbild für TTIP ist CETA aber eindeutig mit Blick auf den Ansatz wieder mit Negativ- statt mit Positivlisten zu arbeiten und in Hinblick auf das in beiden Abkommen geplante Investor-Staat-Schlichtungsverfahren (ISDS).

Negativ- statt Positivlisten

Eigentlich könnten bei beiden Abkommen CETA wie auch TTIP die Kaffeesatzleser oder die Glaskugelschauer sich freuen, wenn sie denn eine Chance hätten, verlässliche Auskünfte zu geben. Denn bei dem geplanten Negativlistensystem muss jetzt aufgeschrieben werden, welche Bereiche von einer Liberalisierung im Rahmen der Abkommen ausgenommen werden. Doch wer weiß angesichts der dynamischen Entwicklung gerade in der digitalen Wirtschaft, welche Verbreitungswege in zwanzig und mehr Jahren adäquat sind? Wird es dann noch so etwas geben wie einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der terrestrisch zu empfangen sein wird? Werden Inhaltsproduzenten und Distributoren weiter verschmelzen? Wer bedenkt, dass Netflix sich heute schon anschickt, selbst Serien zu produzieren, kann erahnen, dass die Unterscheidung zwischen audiovisuellen Medien und digitaler Wirtschaft in der Zukunft noch weitaus schwieriger sein wird als heute. Und genau in diesen Schnittfeldern der digitalen Wirtschaft zum traditionellen Medienbereich liegen bei TTIP die wirklichen Interessen der US-amerikanischen Seite.

Aber auch mit Blick auf die Daseinsvorsorge sollten nicht vorschnell Bedenken weggewischt werden. Die Bologna-Reform hat zu einer enormen Explosion an privaten Hochschulen bzw. privaten Studiengängen geführt. US-amerikanische Hochschulen und Weiterbildungseinrichtungen haben wachsendes Interesse am großen europäischen Bildungsraum, der im Hochschulsektor durch die Bologna-Reformen den Versuch gemacht hat, eine Vergleichbarkeit der Abschlüsse zu schaffen. Das erleichtert den Unternehmen von jenseits des großen Teiches den Markteintritt, und längst haben sich die heutige Studierendengeneration und ihre Eltern daran gewöhnt, Geld für die Ausbildung in die Hand zu nehmen. Dieses kann langfristig zu einer Aushöhlung staatlicher oder öffentlich-finanzierter Bildungsinstitutionen führen.

Und ist nicht die Bilanzierung der Vermögenswerte einer Kommune, so auch Museumsbestände, nicht längst ein weiterer Schritt zur Ökonomisierung dieses Bereichs, von dem aus es dann nicht mehr weit ist bis zur Veräußerung von Vermögenswerten.

Insofern ist es weniger die Sorge vor einem anderen System der Kulturfinanzierung, das den Kultur- und Medienbereich bei CETA und TTIP umtreibt als vielmehr die Erfahrung und Sorge einer weitergehenden Ökonomisierung dieses Bereiches.

Exportmärkte?

Und wer sich genauer mit den kulturwirtschaftlichen Implikationen dieser Abkommen befasst, dem wird schnell klar, dass die europäische Kultur- und Medienwirtschaft von CETA und TTIP wenig positive Impulse zu erwarten hat. Der aktuelle Monitoringbericht der deutschen Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie führt die Besonderheiten dieser Branchen sehr anschaulich vor Augen. Im Vergleich zu anderen Branchen der gewerblichen Wirtschaft in Deutschland wird zum einen deutlich, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft deutlich weniger gewachsen ist als andere, besonders eklatant ist der Unterschied zur Automobilindustrie, die nach den Krisenjahren im letzten Jahrzehnt nunmehr einen erheblichen Wachstumssprung hatte. Der weitere entscheidende Unterschied ist, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft, zumindest die deutsche, wenig exportorientiert ist. Die Produkte und Dienstleistungen werden für den heimischen Markt produziert bzw. angeboten. Demgegenüber sind andere gewerbliche Branchen, zu nennen ist etwa wieder die Automobilwirtschaft, stark exportorientiert. Kulturgüter und -dienstleistungen sind teilweise an die Sprache gebunden und es scheint darüber hinaus spezifische Ausdrucksformen zu geben, die spezifisch deutsch oder bestenfalls europäisch sind. Selbstverständlich schließt dies nicht aus, dass deutsche oder europäische Künstler in den USA erfolgreich sind und ihre Werke vermarktet werden, zu denken ist etwa an Werke der Bildenden Kunst, doch ist dieses kein Markt, der solches ökonomisches Potenzial hätte, um ein Freihandelsabkommen mit den USA zu rechtfertigen.

Es sind also handfeste ökonomische Interessen, die für den Kultur- und Mediensektor gegen ein Freihandelsabkommen mit den USA sprechen und die durch ein Freihandelsabkommen mit Kanada nicht vorbereitet werden sollten.

Investoren-Schiedsgerichte (ISDS)

Im Kulturbereich geht bei der Kritik an CETA und TTIP aber um noch mehr als die Vertretung lobbyistischer Interessen. Es geht auch um die Kultur des Zusammenlebens und in diesem Zusammenhang in besonderem Maße um die in beiden Abkommen geplanten Investor-Staats-Streitschlichtungsverfahren, kurz ISDS.

Diese Verfahren, deren Durchführung einen langen Atem und viel Geld im Vorfeld erfordern, bei Erfolg den Konzernen aber erhebliche Entschädigungszahlungen versprechen, etablieren eine zweite private Gerichtsbarkeit neben dem bestehenden öffentlichen Rechtssystem. Diese in den 1950er Jahren in Deutschland entwickelten Schiedsverfahren sollten eigentlich Investoren, die in Staaten mit einem unterentwickelten Rechtssystem investieren, Rechtssicherheit bieten. Doch kann bei aller Unterschiedlichkeit im Rechtssystem zwischen der EU und den USA, der EU und Kanada oder auch innerhalb der Mitgliedstaaten der EU nicht davon gesprochen werden, dass es keine ordentliche Judikative gibt.

Es geht doch eigentlich um etwas anderes. Nämlich darum, dass potente Konzerne unter Umgehung des bestehenden Rechtssystems eine Sondergerichtsbarkeit anrufen können. Überspitzt gesagt: ein Recht de luxe, das allein auf einem völkerrechtlichen Vertrag basiert. Weder ist bislang ein internationaler Gerichtshof für solche Streitigkeiten vorgesehen, noch ist eine Revisionsklausel geplant. D.h. verurteilte Staaten müssen zahlen und können nicht ihrerseits rechtliche Mittel einlegen. Dieses ist ein erheblicher Verlust an Rechtsstaatlichkeit. Darüber hinaus bleibt jedem inländischen Unternehmen bei Streitigkeiten mit dem eigenen Staaten selbst nur der Weg zu den öffentlichen Gerichten, das heißt, sie sind von diesem Sonderweg ausgeschlossen und damit zweite Klasse. Weitergedacht bedeuten die ISDS eine Aushöhlung des Staates, denn eine der wesentlichen hoheitlichen Aufgaben ist die Judikative. Und es kann eine Aushöhlung der Demokratie zur Folge haben, wenn nämlich Konzerne drohen, vor ein Schiedsgericht zu gehen, wenn eine politische Entscheidung gegen ihr Interesse gefällt würde. Dieses ist ein deutlicher Angriff auf die Legislative.

Welchen Staat wollen wir?

CETA und TTIP werfen die Frage auf, welchen Staat wir wollen. Wer soll das Sagen haben? Konzerne wie in den USA, die allein durch ihre Wahlkampfspenden einen erheblichen Einfluss auf die Politik haben? Oder gilt es nicht unser demokratisches System zu verteidigen? Und insofern darf das CETA-Abkommen in seiner Wirkung nicht unterschätzt werden. Selbstverständlich wird TTIP zwischen den USA und der EU als ein eigenständiges Abkommen verhandelt. CETA wird nicht Eins zu Eins übernommen. Aber was der kanadischen Seite in einem Abkommen zugestanden wurde, wird der US-amerikanischen kaum zu verwehren sein. Und insofern ist letztlich CETA doch eine Blaupause für TTIP. Leider!

Der Artikel ist zuvor auf der Website „Tag gegen TTIP“ erschienen.

Zu den Autoren

Olaf Zimmermann, Fotograf: Tim Flavor

Olaf Zimmermann (53) ist seit 1997 Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates und Herausgeber der Zeitung des Deutschen Kulturrates „Politik & Kultur“. Er war Mitglied mehrerer Enquete-Kommissionen des Deutschen Bundestages und ehrenamtlicher Moderator des Kulturkonvents Sachsen-Anhalt. Lehrauftrag an der Hochschule für Musik Franz Liszt, Weimar. Zahlreiche Veröffentlichung zu Fragen der Kulturpolitik, -managements und -vermittlung.

 

 

 

Gabriele Schulz

Gabriele Schulz, Jahrgang 1963. Studium der Germanistik, Ernährungs- und Haushaltswissenschaft in Bonn und Hannover. Von 1992 bis 2008 Wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Deutschen Kulturrat. Seit September 2008 Stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Kulturrates. Stellvertretende Chefredakteurin von „Politik & Kultur“ der Zeitung des Deutschen Kulturrates. Verschiedene Veröffentlichungen zu den Themenfeldern kulturelle Bildung, Arbeitsmarkt Kultur, rechtliche Rahmenbedingungen für Kunst und Kultur.

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Autor*innen

Janine studierte Journalistik und Kunst-und Medienwissenschaft mit Fokus auf Medienpolitik und neue Technologien. Als Journalistin arbeitete sie für TV, Radio und Online-Redaktionen und engagierte sich für Reporter ohne Grenzen e.V. 2011 wechselte sie zu einer Online-Agentur und entwickelte als User-Experience Designerin nutzerfreundliche und nutzerzentrierte Web-Konzepte. Bei Campact war sie von 2014 bis 2021. Alle Beiträge

3 Kommentare

Kommentare sind geschlossen
  1. Eins is klar, Politik und Wirtschaft wollen eine wirtschaftkonforme Demokratie, hat ja Merkel selber gesagt, warum hat da eigentlich keiner STOP gerufen? Eine Unverschämtheit, die hätt ich schon längst in die Wüste geschickt wenn ich könnte!

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