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Rekord-Ablehnung: EU-Kommission bekommt langsam Angst

Rekord-Ablehnung bei EU-Konsultation: 97 Prozent gegen Klageprivilegien für Konzerne in TTIP, 150.000 Bürger/innen beteiligten sich

Die als Investorenschutz bezeichneten Klageprivilegien für ausländische Konzerne sind bei Europas Bürger/innen extrem unbeliebt – das ist das wenig überraschende Ergebnis einer öffentlichen EU-Konsultation. 97 Prozent der 150.000 Stellungnahmen zu diesem Vorschlag sind ablehnend. Dennoch hält die EU-Kommissarin an den Sonderklagerechten fest – eine Farce.

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Mehr als ein halbes Jahr brauchte die EU-Kommission, um die eingegangenen Antworten zum Thema Investorenklagen in TTIP auszuwerten. Noch nie hatte eine öffentliche Konsultation der EU so viel Beteiligung. Und vielleicht war deren Ergebnis noch nie so wenig im Sinne derjenigen, die sie gestartet haben.

Trotz bewusstem überfordern und abschrecken: Rekord-Teilnamen an Konsultation

Dabei hatte die EU-Kommission sich redliche Mühe gegeben, Bürger/innen möglichst vom Mitmachen abzuschrecken. Statt das Vorhaben kurz darzustellen und offene Fragen zu stellen, mutete sie den Teilnehmer/innen einiges zu. Auf 44 Seiten stellte sie Detailfragen zu Ausschnitten aus den Vertragstexten, die sich wie ein juristisches Examen lasen. Dazu gab es wenig hilfreiche Erläuterungen. Dennoch gingen 145.000 Antworten ein, die das Investitionsschutzkapitel oder das gesamte Freihandelsabkommen generell ablehnen. Dabei nutzte ein Großteil der Bürger/innen Online-Angebote, die das Umweltinstitut München und weitere europäische Organisationen bereitgestellt hatten, um die Beteiligung an der unnötig komplexen Konsultation zu erleichtern.

Cecilia Malmström, die zuständige EU-Kommissarin musste einräumen: „Aus der Konsultation geht klar hervor, dass gegenüber dem Instrument der ISDS äußerste Skepsis herrscht.“ Dennoch versuchte sie noch im selben Atemzug das Scheitern des Sonderklagerechts für Konzerne zu leugnen. „Wir müssen mit den Regierungen der EU-Länder, dem Europäischen Parlament und der Zivilgesellschaft eine offene, ehrliche Diskussion über den Investitionsschutz und die ISDS in der TTIP führen, bevor wir dazu irgendwelche politischen Empfehlungen abgeben“, sagte Malmström weiter.

Reformversprechen sind reine Kosmetik

Die Kommissarin hat vier Bereiche für eine „Reform“ des Investitionsschutzes genannt, nämlich den Schutz des staatlichen Regelungsrechts, die Einrichtung und die Funktion von Schiedsgerichten, das Verhältnis zwischen der innerstaatlichen Justiz und der ISDS, sowie die Überprüfung der rechtlichen Korrektheit von Entscheidungen im Rahmen der ISDS durch einen Berufungsmechanismus. Keines der vier von Malmström identifizierten Probleme, ist in den bereits fertig oder fast fertig verhandelten Abkommen auch nur ansatzweise befriedigend gelöst. Im Gegenteil: das EU-Kanada-Abkommen CETA und das EUSFTA-Abkommen mit der Steueroase Singapur, bringen sogar noch Verschlechterungen gegenüber hergebrachten Verträgen – und sie wären über Briefkastenfirmen und Niederlassungen für Konzerne aus aller Welt ausnutzbar.

Deshalb muss die Antwort auf die Ergebnisse dieser Konsultation sein, die beiden Abkommen mit Kanada und Singapur nicht zu ratifizieren.

Der Investitionsschutz ist nicht reformierbar

Der Fehler liegt im System. Er liegt darin, dass rechtsstaatliche Prinzipien verletzt werden, wenn ein Gremium aus Wirtschaftsanwälten die Macht hat, schwammige Verträge nach Gutdünken auszulegen – und die klagenden Konzerne bevorzugt. Er liegt darin, dass Staaten zu Schadenersatzleistungen in Millionen- oder gar Milliardenhöhe verurteilt werden – für demokratische Gesetzgebung im öffentlichen Interesse. Und er liegt darin, dass diese Un-Rechtsurteile weltweit unmittelbar vollstreckt werden können (sogar Staatseigentum und Währungsreserven können gepfändet werden). Während Klauseln zum Umweltschutz, Verbraucherschutz und Arbeitnehmerrechten ohne jede Durchsetzungsmöglichkeit bleiben und lediglich als schmückende Rhetorik die Verträge zieren.

Frau Malmström, sparen Sie sich die Mühe von „Reformen“! Beginnen Sie mit dem Ausstieg aus dem System der Investorenklagen bei CETA und TTIP sowie dem EU-Singapur-Abkommen und helfen Sie den EU-Mitgliedern, sich aus ihren noch bestehenden Handelsverträgen mit diesem Sonderrecht für Konzerne zu befreien!

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20 Kommentare

Kommentare sind geschlossen
  1. Es ist dringend die Seite von Campact auf andere Spräche zu übersetzen. Mindestens auf Englisch. Salvatore (aus Italien)

    • Lieber Salvatore,
      danke für den Hinweis! Und: Wir freuen uns Dich in Italien bereits zu erreichen 🙂

  2. Ich kann nur sagen, die Leute, welche bei den Verhandlungen bzgl. TTIP zugegen sind und mitbestimmen, behmen sich wie Götter, und das, was nach den Verhandlungen als Resultat herauskommt, wird uns Bürgern fast so verkauft, als wären TTIP & Co gottgegeben!
    Wie heißt es so schön:
    Es wäre nichts mehr rückgängig zu machen …
    Als wäre alles hinsichtlich TTIP & Co quasi in Stein gemeißelt!
    Vielen Dank auch!
    Und DANN, spätestens dann kann man nicht mehr von Demokratie sprechen, sondern lediglich von Diktatur („es wird diktiert“/ „vorgesagt“, wörtlich aus dem Latein übersetzt) –
    und DANN dürfen wir Bürger – das Gros der Bevölkerung – nur noch einfach abnicken bzw. Ja und Amen sagen – und das allein tun, was von oben, von den Machern von TTIP & Co gewissermaßen, gefordert wird!
    Wir Bürger dürfen dann den politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen nicht mehr auf gleicher Augenhöhe begegnen, sondern sind quasi Sklaven, allenfalls Untertanen.
    Und dann gilt auch ganz gewiss nicht mehr:
    Art. 3 GG: „ALLE Menschen sind vor dem Gesetz gleich“ (!), geschweige von den anderen Grundrechten und Freiheiten, welche in einer wirklich gelebten Demokratie garantiert werden!
    Gleichheit in dem Sinne bedeutet: Gleiche Rechte und Pflichten, keiner darf darin bevorzugt oder benachteiligt werden … UND das ist gerecht.
    (Soziale) Gerechtigkeit muss ausgewogen sein, eine Balance, ein GLEICHgewicht bilden.
    ALLES ANDERE wäre ungerecht!
    Und –
    bei den von USA bzw. Kanada und EU beabsichtigten Vertragswerken zu TTIP, CETA und TISA scheint DIES NICHT MEHR
    gewährleistet zu sein …

  3. es scheint ja einigermaßen unbekannt zu sein, das die EU – und Deutschland natürlich auch – ähnliche Knebelverträge in Zusammenarbeit mit IWF etc. mit etlichen afrikanischen und südamerikanischen Staaten abgeschlossen hat, die z.B. Agrarüberschüsse aus der EU auf den Markt lassen müssen um dringend benötigte Hilfen zu bekommen. Damit wird dort heimische Infrastruktur platt gemacht und die Märkte im Sinne der EU geöffnet und das Land „kaputt saniert“.
    Wir sind also nicht nur die potentiellen Opfer von TTiP, Tisa und Ceta sondern leider in sehr vielen Fällen auch Täter und in vollem Umfang schon jetzt für eine Menge Elend verantwortlich. Ich denke, das gehört zu dem Bild dazu und sollte auch nicht verschwiegen weden, sonst wäre die ganze Diskussion in übester Weise verlogen.

    • Wie bereits erwähnt darf diese Täterschaft nicht verschwiegen werden, daher reicht es nicht, nur gegen TTIP, TISA und CETA und folgende Abkommen auf die Straße zu gehen, sondern auch gegen jedes das bereits besteht.
      EPA, NAFTA & Co. untergraben demokratische Strukturen bereits seit Jahren.
      Ein wichtiger Unterschied (der keinesfalls verharmlosend gemeint ist) besteht in dem weglassen der Schutzklauseln für Arbeitnehmerrechte. Solche Vorgehensweisen würden es später möglich machen, Staaten für arbeitnehmerfreundliche Handlung wie die Einführung von Mindestlöhnen verklagen und der Zunahme von menschenunwürdigen atypischen Beschäftigungsverhältnissen würde freier Lauf gelassen. Dies würde Arbeitnehmer in einen globalen Konkurrenzkampf zwingen und damit vielen die Möglichkeit eines gerechten und lohnenden Erwerbslebens verwähren.

  4. Vielen Dank für die Links zu den Dokumenten der Kommission, insbesondere der Bericht über die Konsultation. Es empfiehlt sich, das PDF abzuholen, um die Gliederung nutzen zu können.
    Demnach ist das Ergebnis gar nicht so leicht zu interpretieren, auch wenn der Bericht nicht umhin kommt, sämtliche Kritikpunkte an TTIP und ISDS zu bringen und zu bestätigen, dass diese von vielen Experten (academics), den meisten Einzelantworten und überwiegend von NGOs als schwere Bedenken vorgebracht werden. Ich konnte aber nicht daraus ablesen, dass 97 % der Befragten gegen TTIP sind. Das müsste noch genauer abgeleitet werden, um stimmig zu erscheinen.
    Es muss der Sachlichkeit wegen auch auf die feinsinnige Gliederung in „collective“ Antworten und Einzelantworten eingegangen werden. Ich bin nach der ersten halben Stunde Überflug über das Dokument nicht so richtig schlau geworden. Der Fragebogen kann auch nicht mehr aufgerufen werden. Im Bericht der Kommission fehlt ein Abbild des Fragebogens. Die statistische Methode der Auswertung konnte ich nirgends finden. Mich beeindrucken nach dem ersten Eindruck mehr die Qualität der Einwände, und dass die Kommission diese inhaltlich anerkennt, als die angeblichen 97 %, die ich nicht finden kann.

    Diese Auseinandersetzung wird uns noch lange beschäftigen. Ein langer Atem wird gebraucht, um TTIP und andere neue Investorermächtigungsgesetze zu verhindern. Auch das Abkommen, das die EU afrikanischen Partnern aufdrücken will, darf nicht abgeschlossen werden. Das fällt hier, auch bei Campact, nicht so auf, weil der europäische Verbraucher hier eher profitiert – zu Lasten der afrikanischen Produzenten.

    cetero censeo …
    Was mir weiter fehlt in der TTIP-Kampagne ist in die europäische Dimension. Der Link auf stop-ttip.org genügt nicht. Im Bericht der Kommission steht, dass die meisten Antworten aus dem Vereinigten Königreich kommen. Von Frankreich ist bekannt, dass die Kommunen massiv gegen TAFTA (so wird TTIP in Frankreich genannt) sind und den Verfassungsrat dagegen anrufen wollen.

    Dabei scheint die Gegenbewegung jetzt auch global auftreten zu wollen. Bei der österreichischen STOP TTIP habe ich gerade gelesen, dass
    der 18. April 2015 ein globaler Aktionstag gegen TTIP
    sein soll. ->http://stopttip.at/events/globaler-aktionstag-gegen-ttip/

    Viele Grüße
    Thomas

  5. Was die Mehrheit der Menschen Will interessiert die Politiker in der sogenannten „Demokratie“ aber nicht. Insofern ist es völlig unerheblich ob 97% dagegen sind, von Belang ist nur der Wille der Bonzen die sich die „demokratische“ Politik kaufen.

    • Leider stellt das wieder einen weiteren Beweis für die unterschwellige Oligarchie des Geldadels in Europa dar. In diesem Land wird es immer schwieriger sich die Illusion von Gerechtigkeit zu machen.

  6. Was soll man noch von Politiker erwarten die alle (fast) gekauft sind ihr Schäflein schon lange im trockenen haben.Pension die sie bekommen,da wir einem Arbeiter übel und jetzt drücken Sie wieder Euro.

  7. Dabei nutzte ein Großteil der Bürger/innen Online-Angebote, die das Umweltinstitut München und weitere europäische Organisationen bereitgestellt hatten, um die Beteiligung an der unnötig komplexen Konsultation zu erleichtern.
    Die Links hätte ich gern in einer Email bekommen. Dann gäbs noch ne Stimme mehr.Vielleicht ja das nächste mal….

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