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Gabriel gegen Malmström – was ist hier los?

Handelsgericht statt privates Schiedsgremium? Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström bringen Bewegung in die Debatte um Investorenklagen in TTIP. Beide haben Vorschläge für Nachbesserungen gemacht. Was sie taugen, erfahrt Ihr hier.

Handelsgericht statt privates Schiedsgremium? Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström bringen Bewegung in die Debatte um Investorenklagen in TTIP. Beide haben Vorschläge für Nachbesserungen gemacht. Was sie taugen, erfahrt Ihr hier.

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Karikatur: Malmström und Gabriel ecken aneinander. Grafik: Campact/Zitrusblau [CC BY-NC-SA 2.0 DE]

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Sigmar Gabriel überrascht wieder einmal Freunde und Gegner gleichermaßen. Eben hieß es noch „Basta“ beim Thema Handelsabkommen, jetzt kam er mit dem Vorschlag einer Alternative zu den umstrittenen Investorenklagen der EU-Kommission zuvor. Wir freuen uns, dass er die Initiative ergreift und sich von der EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström politisch emanzipiert. Aber auch seine Vorschläge haben noch Lücken und Mängel.

Cecilia Malmström hat unterdessen Vorschläge vorgelegt, die ein klarer Rettungsversuch des Projekts einer Paralleljustiz für Konzerne sind. Der Vergleich mit Gabriels Vorschlägen offenbart, wie stark sie hinter den tatsächlichen Problemen zurück bleiben. Malmströms „Reformen“ am System der Investorenklagen verdienen diesen Namen nicht.

Für den Bruch rechtsstaatlicher Prinzipien gibt es keine Rechtfertigung

Inzwischen muss der EU-Kommission doch bemerkt haben, wie sehr die Investorenklagen Demokratie, Rechtsstaat und öffentliche Haushalte gefährden. Beispiele für abenteuerliche Entscheidungen und für Entschädigungen in Milliardenhöhe sind mittlerweile allgemein bekannt. Ihr muss doch aufgefallen sein, dass die Belege für einen Nutzen des Systems für normale Bürger/innen im besten Fall dürftig sind – vor allem verglichen mit den riesigen Vorteilen und Gewinnen, die Großkonzerne und Superreiche aus diesem System ziehen können.

Die EU-Kommission bleibt die Rechtfertigung dafür schuldig, Steuerzahler/innen und Wähler/innen derartige Risiken und Nachteile aufzubürden, allein zum Vorteil einer winzigen Elite der Superreichen und einer Industrie von hochspezialisierten Anwälten. Dennoch setzt sie sich gemeinsam mit der US-Regierung und einem Teil der Regierungen in Europa mit aller Macht dafür ein. Sie will dass auch zehntausende US-Investoren das System der Investorenklagen gegen unsere Regierungen (und damit gegen uns) nutzen können. Sie will dieses System ausweiten, das Klagerisiko vervielfachen – wie es scheint um jeden Preis. Warum?

Sowohl die EU als auch die USA haben ein System zuverlässiger ordentlicher Gerichte, vor denen Investoren – inländische wie ausländische – ihren Eigentumsschutz wirksam durchsetzen können. Es gibt keinen Beleg für eine Schutzlücke, und sei sie auch noch so klein. Nichts kann diese Paralleljustiz für eine schmale Elite rechtfertigen.

Malmströms Vorschlag: Kosmetik statt Reform

Wenn ich mir die Vorschläge der EU-Kommission genauer ansehe, dann finde ich so gravierende Mängel, dass ich nicht an Zufall glauben mag. Vielmehr macht es den Eindruck, als sei hier die Absicht am Werk, die Investorenklagen möglichst so ungerecht und gefährlich zu belassen wie sie sind. Und um diese Absicht zu bemänteln und die Kritik zu besänftigen, werden Nebelkerzen geworfen.

  • Die Gretchenfrage lautet: Unabhängige Richter oder private, pro Fall bezahlte Schiedspersonen? Unabhängige Richter haben ein Einkommen das sich nicht an der Zahl der Klagen bemisst, sondern fest ist. Die privaten Schiedspersonen, meist Anwälte von Großkanzleien, verdienen viel, wenn geklagt wird und haben deshalb einen finanziellen Anreiz, die Klageseite zu unterstützen, um sie zu mehr Klagen zu ermuntern. In Malmströms Papier wird dieser Frage ausgewichen. Zu befürchten ist deshalb, dass sie beim zentralen Problem der fehlenden Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Schiedsgerichte keine wirksame Lösung will.
  • Dazu passt auch, dass die Kommission nur unzureichende Vorschläge macht, wie Interessenskonflikte bewertet und verhindert werden sollen. Ein solcher Konflikt liegt zum Beispiel vor wenn ein Schiedsrichter oder seine Kanzlei zugleich (oder vor oder nach einem Schiedsverfahren) als Anwalt für einen Kläger arbeitet. Solche Interessenskonflikte sollen nicht in einem ordentlichen juristischen Verfahren überprüft werden, sondern Beamte der Exekutive sollen darüber entscheiden! Der Verdacht drängt sich auf, dass die Kommission derselben kleinen Clique von Schiedsrichtern die Verfahren überlassen will, die in den vergangenen Jahren für spektakuläre Fehlurteile verantwortlich waren.
  • Um zu verhindern, dass Investoren gegen demokratisch beschlossene Gesetze klagen, will die EU-Kommission ein „Recht zu regulieren“ verankern. Ob dieses Recht die Aushebelung der Demokratie durch Schiedsverfahren wirksam verhindert, kann anhand des Papiers von Malmström nicht beurteilt werden. Dazu muss der endgültige Vertragstext vorliegen. Zweifel sind mehr als angebracht.
  • Dasselbe gilt für die Berufungsinstanz. Die Angaben zu dem Gremium, das die Entscheidungen der Schiedsgremien überprüfen soll, sind vage. Insbesondere ist fraglich, ob das Gremium wirklich unabhängig ist, da es offenbar kein eigenes ständiges Sekretariat bekommen soll. 
  • Es fehlt eine Pflicht für Kläger, zunächst den nationalen Rechtsweg auszuschöpfen oder zu beweisen, dass ihm der Zugang zu ordentlichen Gerichten verwehrt wurde. Gewerkschaften, Umweltverbände, Menschenrechtsorganisationen und alle anderen, die vor supranationalen Gerichten wegen der Verletzung von völkerrechtlichen Verpflichtungen klagen, müssen dies tun. Es gibt keine Rechtfertigung für das Privileg, die nationalen Gerichte direkt zu umgehen.
  • Vor allem aber bezieht Malmström ihre Vorschläge nur auf TTIP. In CETA und im EU-Singapur-Abkommen soll das gänzlich unreformierte System von Investorenklagen ohne Berufungsinstanz erhalten bleiben. Vier von fünf US-Investoren könnten über Niederlassungen in Kanada gegen europäische Staaten klagen. Eine Reform, die CETA ignoriert bewirkt gar nichts.

Fazit: Malmströms Vorschläge sind kein Grund, von unserer zentralen Forderung abzulassen: TTIP und CETA müssen gestoppt werden! Investorenklagen müssen auch aus allen anderen Handelsabkommen der EU raus.

Ist Gabriels Vorschlag besser?

Erfreulich ist zunächst: Gabriels Vorschlag unterscheidet sich deutlich von dem der EU-Kommission.  Allerdings ist auch sein Vorschlag noch nicht ausreichend. Es lohnt sich, das Kleingedruckte von Gabriels Vorschlag anzusehen. Da fällt einem schon so einiges auf:

  • Gabriel rüttelt nicht an der Bevorzugung ausländischer Investoren. Nur für diese – nicht für einheimische Investoren und auch nicht normale Bürger/innen gibt es ein internationales Schiedsgericht. Für alle anderen sollen nationale und europäische Gerichte gut genug sein. Die Paralleljustiz bleibt also erhalten.
  • Investoren bekommen nur Rechte, ihnen werden keine Pflichten auferlegt. Investoren die sich durch Umweltauflagen benachteiligt fühlen, können vor Gabriels Gericht klagen. Sie können aber nicht wegen Umweltzerstörung oder Menschenrechtsverletzungen verklagt werden. Eigentumsschutz muss in einem Rechtsstaat immer mit Rechten Dritter und sozialen Pflichten abgewogen werden. Hier fehlt dieser Kontext, und damit wird er absolut gesetzt.
  • Es gibt ja bereits einen starken Schutz von Privateigentum in Europa und es gibt Gerichte, die zu den unabhängigsten und effizientesten der Welt gehören. Es gibt daher überhaupt keine Rechtfertigung für irgendwelche Sonder-Rechte und Sonder-Gerichte für ausländische Investoren. US-Investitionen in der EU in Höhe von 1,65 Billionen Dollar machen das deutlich.
  • Es wird nicht reichen, Gabriels Gericht allein in TTIP aufzunehmen. Denn es gibt auch das EU-Kanada-Abkommen CETA und das Abkommen der EU mit Singapur. US-Investoren können über Niederlassungen in Kanada oder Briefkastenfirmen in der Steueroase Singapur klagen. Werden diese nicht gestoppt, ist Gabriels Gericht arbeitslos, und wir hätten Investorenklagen so schlimm wie eh und je – nur sehr viel zahlreicher!

Viele Details bleiben offen

Investoren sollen weiterhin Sonderrechte bekommen, die so in keiner Verfassung stehen und unserem Recht fremd sind. Die Klausel der „fairen und gerechten Behandlung“ zum Beispiel ist eine Gummiklausel, die wie keine andere für spektakulär ungerechte Entscheidungen herangezogen wurde. Mit dieser Klausel wurde Politik zum Schutz des öffentlichen Interesses am häufigsten von Konzernen angegriffen. Sie muss gestrichen werden!

Zudem verweist die Klausel in der Gabriel-Fassung auf den Schutz der „legitimen Interessen“ von Investoren, obwohl der Autor des Gutachtens in den Erläuterungen selbst anmerkt, dass es sich dabei um einen der „zentralen problematischen Rechtsbegriffe“ handelt und daher vorschlägt, „auf diesen Begriff zu verzichten“.

Das Investitionsgericht würde festlegen, was nötig ist, um Mensch und Umwelt zu schützen

Maßnahmen zum Schutz der Umwelt dürfen nicht mit Klagen angegriffen werden – aber nur insoweit sie „nötig“ sind. Was nötig ist, kann kann umstritten sein: der Atomausstieg, Rauchverbote, Zulassungspflicht für Genveränderte Sorten… Was wirklich nötig ist, um Mensch und Umwelt zu schützen legt im Zweifel das Investitionsgericht fest. Umweltschutz ist mit einer schwächeren Formulierung ausgenommen als Maßnahmen im Rahmen von Entschuldungen sowie Bankenauflösungen, bei denen es eine Einschränkung auf „nötige“ Maßnahmen nicht gibt.

Es fehlt auch ein klares Votum für die Pflicht zur Ausschöpfung des nationalen Rechtswegs. Das ist nur eine Option.

Unabhängige Schiedsrichter/innen Fehlanzeige

Starke Maßnahmen gegen Interessenskonflikte der zukünftigen „Richter“ sind bitter nötig, aber der Vorschlag ist hier unbefriedigend. So wird z.B. nicht sicher ausgeschlossen, dass diese Personen parallel in anderen Verfahren als private, von den Parteien ernannte Investitions-Schiedsrichter/innen auftreten. Aufgrund der Intransparenz vieler ISDS-Verfahren, wäre dies durchaus möglich, ohne dass es jemand merkt. Auch nach ihrer 4- bis 8-jährigen Zeit im EU-US-Investitionsgericht können sie unmittelbar als Schiedsrichter in privaten Schiedsverfahren tätig werden (und lukrative Mandate als „Belohnung“ für vorherige Entscheidungen bekommen). Die Richter/innen können sogar parallel für Kanzleien arbeiten, die mit Investor-Staat-Klagen viel Geld machen. Es ist zwar möglich, diese Probleme in einem separaten Verhaltenskodex zu regeln. Sicherer und klarer ist es, dies gleich im Vertragstext zu tun.

Besonders problematisch ist der Vorschlag, kleinen und mittleren Unternehmen Hilfe zukommen zu lassen, damit sie leichter klagen können. Denn das führt zu einem weiteren Anstieg der Klagen auf Kosten der Steuerzahler/innen. Um kleine und mittelständische Unternehmen gegenüber multinationalen Konzernen nicht ins Hintertreffen geraten zu lassen, wäre die radikale Deckelung von Schadensersatzsummen oder die radikale Deckelung der Honorare für Schiedsrichter/innen (wie im WTO-System) der bessere Weg.

Fazit: Die Debatte ist in Gang gesetzt

Wenn es Gabriel ernst meint mit seinen Vorschlägen, muss Deutschland sowohl CETA als auch den EU-Singapur-Vertrag ablehnen oder auf substantielle Neuverhandlungen drängen. Denn sonst kommt es zu einem massiven Machtzuwachs für Kapitaleigner und eine kleine Elite privater Anwält/innen – zu Lasten der Demokratie und von unseren Gerichten. Er wird Überzeugungsarbeit leisten müssen – bei den Amerikanern und Kanadiern gleichermaßen. Aber immerhin hat er eines schon geschafft: Gabriel bringt die EU-Kommission in Zugzwang und treibt die Debatte voran.

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15 Kommentare

Kommentare sind geschlossen
  1. Sollten TTIP, CETA und TiSA – trotz großer Proteste aus der Bevölkerung der betroffenen Staaten (!) – kommen und es gebe die Schiedsgerichte, welche nicht unabhäng entscheiden, was aber bei dem jetzigen Gerichtssystem vielmehr der Fall ist, dann haben Konzernklagen, die stattgegeben werden (oder finden diese bei Schiedsgerichten immer Gewährung?), wohl eindeutige Erfolgsaussichten …
    Es gilt dann bei PROFIT G E G E N VERNUNFT, dass ersteres wohl die Oberhand gewinnt!
    Leider ist es so, wo der materielle Besitztum und immer mehr hiervon in den Köpfen gewisser Leute spukt, dass bei diesen ein so genannter Tunnelblick vorherrscht, WEITSICHT oder besser gesagt der gesunde Menschenverstand allgemein haben dann wahrscheinlich eher schlechte Karten, denn Überfluss von Materialismus und Stets-mehr-haben-wollen scheint wirklich regelrecht DUMM zu machen – UND DIES zerstört auf die Dauer unsere Welt!

  2. Danke, Maritta Strasser, für die deutliche Darstellung der Problematik!
    Werden unsere Politiker vielleicht schon von einigen Seiten ‚gesponsert‘, daß sie so hartnäckig an diesen Vertragswerken festhalten wollen?

    Selbstmord ist kein Ausdruck von ethischer Überlegenheit! Und diese noch geplanten Verträge sind in meinen Augen Selbstmord einer gesunden Demokratie. Sofern es das überhaupt gibt, also einer Demokratie soll genügen. (Demokratie, die schwächste aller Regierungsformen! Aber ich möchte nicht in einer anderen politischen Möglichkeit leben). Demokratie fordert JEDEN Mitbürger! Nur in einer Demokratie haben wir Bürger die Möglichkeit, uns auszudrücken – so wie z. B. hier!

  3. Nachbesserungen lenken doch nur davon ab, dass der Geist hinter TTIP insgesamt nicht korrekt ist.

    TTIP gehört ersatzlos gestrichen: Setzen, sechs!!!

  4. Chapeau, so auf den Punkt gebracht ist echt beindruckend! Bitte findet noch einen Befürworter dieser unglaublich dummen Ansinnen, der dazu hier (Punkt für Punkt und in genauso wenigen Worten) Stellung nimmt …

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