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TISA ist gefährlicher als TTIP und CETA – und dennoch unbekannt

Das geplante TISA-Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen birgt noch mehr Gefahren für die Demokratie als TTIP und CETA, so der Gewerkschafter Jürgen Buxbaum, der mit den Details des Abkommens vertraut ist. Im Interview erklärt er die Folgen, die TISA für uns haben könnte.


Das geplante TISA-Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen birgt noch mehr Gefahren für die Demokratie als TTIP und CETA, so der Gewerkschafter Jürgen Buxbaum, der mit den Details des Abkommens vertraut ist. Im Interview erklärt er die Folgen, die TISA für uns haben könnte.

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Jürgen Buxbaum. Grafik: Campact/Zitrusblau [CC BY-NC 2.0]

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Über TTIP und CETA, die Freihandelsabkommen, die die EU mit den USA bzw. Kanada abschließen möchte, wird viel diskutiert. Doch was ist TISA?

Jürgen Buxbaum: TISA („Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen“) ist im Unterschied zu den zuvor genannten kein regionales, sondern ein globales Abkommen, das aus unserer Sicht in seinen Gefahren für Bürgerrechte, öffentliche Dienste und Demokratie über diese noch hinausgeht. Es geht nämlich um viel mehr als Dienstleistungen.

Welche Länder verhandeln darüber?

Jürgen Buxbaum: Verhandelt wird außerhalb der Welthandelsorganisation in einer Koalition der Willigen, 51 Staaten, die bereits heute gut zwei Drittel des Welthandels mit Dienstleistungen beherrschen. Die wichtigsten sind die USA, EU und Japan, die einige wirtschaftlich mittlere und kleine Länder mit an den Tisch gebeten haben. Ausgeschlossen sind u. a. die bedeutendsten Schwellenländer China, Indien, Russland, Brasilien, Südafrika (BRICS-Staaten), was allem Anschein nach neue Blockbildungen auf der Welt befördern wird.

Worum geht es dabei?

Jürgen Buxbaum: Neben grenzüberschreitenden Dienstleistungen steht vor allem die Beseitigung von „Hemmnissen“ für ausländische Investitionen in Dienstleistungen (Bankwesen, Wasser, Energie, Transportwesen, Bildung, Gesundheit, Kultur und vieles mehr) im Mittelpunkt. Das Maximum an Freiheit für private Anbieter von Dienstleistungen, das alle teilnehmenden Länder in bisherigen Abkommen gewährt haben, soll als Ausgangslage der Verhandlungen dienen. Ziel ist, diese bisherigen „Freiheiten“ für Konzerne zu erweitern. Alles was nicht ausdrücklich vom privaten Handel ausgenommen ist, soll diesem für die Zukunft überantwortet werden (so genannte „Negativliste“). Dies bindet die Entscheidungen demokratisch gewählter Regierungen sogar für Gegenstände, die wir heute noch gar nicht kennen. Die Förderung eines öffentlichen Dienstes in einem Land oder einer Kommune soll nur noch dann erlaubt sein, wenn ausländische Konzerne die gleiche Förderung aus unseren Steuergeldern erhalten. Erschütternd ist nicht nur, dass trotz der Erfahrungen der internationalen Finanzkrise der Finanz- und Bankensektor weiter dereguliert werden soll. Durchgesickerte Dokumente belegen darüber hinaus, dass Verhandlungsführer Kommissionen einrichten wollen, in denen Konzerne gemeinsam mit Beamten die „Erforderlichkeit“ von öffentlichen Regulierungen unter dem Gesichtspunkt der Interessen des freien Handels prüfen. Man ist sprachlos, wenn man anhand der Dokumente erkennt, dass hier die Demokratie, wie wir sie kennen, in Frage gestellt wird.

Wer steckt dahinter?

Jürgen Buxbaum: Ideengeber und treibende Kraft der Verhandlungen war zunächst die CSI (Koalition der Dienstleistungsindustrie in den USA), der sich vor allem die GSC (Globale Dienstleistungskoalition) angeschlossen hat. In diesen Lobbyvereinen sind die meisten der Wirtschaftsriesen dieser Branche tätig.

Warum laufen die Verhandlungen über TISA außerhalb der Welthandelsorganisation?

Jürgen Buxbaum: Die Verhandlungen im Rahmen der WTO waren ins Stocken geraten. Die WTO-Regeln sahen im Vergleich mit den TISA-Verhandlungen eine gewisse Öffentlichkeit vor, alle – nicht nur ein kleiner Kreis von Ländern – saßen am Verhandlungstisch und die Entwicklungsländer hatten die Möglichkeit, mitzureden oder sich gegen unzumutbare Forderungen westlicher Länder und Konzerne zu sperren. Das taten sie auch zum Ärger insbesondere der reichen und mächtigen Länder. Interviews mit US-amerikanischen Wirtschaftsvertretern und Verhandlungsführern machen deutlich, dass man deshalb die strategische Entscheidung traf, außerhalb der Welthandelsorganisation Regeln aufzustellen, an denen möglichst niemand mehr vorbei kann, auch die nicht, die überhaupt nicht mit Verhandlungstisch saßen. So entsteht aber die konkrete Gefahr des Entstehens neuer Blöcke, die in Konfrontation zueinander stehen. Die BRIC-Länder z. B., die von den Verhandlungen ausgeschlossen sind, werden reagieren und eigene Großprojekte vereinbaren, bzw. sie sind bereits dabei. China wirbt bereits um Abkommen von denen die USA ausgeschlossen sein sollen.

Wie kommt es, dass über Abkommen mit solch weitreichenden Konsequenzen außerhalb der Öffentlichkeit verhandelt wird? Warum lassen demokratisch gewählte Regierungen diese Geheimhaltung zu?

Jürgen Buxbaum: Ich denke, dass jeder, der die Recherchen internationaler Experten zu den Verhandlungen und die durchgesickerten Dokumente liest, versteht, dass es einen Aufschrei geben würde, wenn all dies im hellen Licht der Öffentlichkeit verhandelt würde. Es ist offensichtlich, dass die Lobbyisten vollendete Tatsachen schaffen wollen – was ihnen jetzt jedoch nicht mehr zu gelingen scheint. Das Verhalten demokratischer Regierungen macht uns in der Internationale der Öffentlichen Dienste, ehrlich gesagt, sprachlos. Ich kann es mir nur so erklären, dass der Einfluss der Lobbyisten sehr groß ist, dass viele einzelne Abgeordnete sich mit der Kompliziertheit der Materie nicht befassen können oder wollen und dass manche von ihnen auf die mehrfach widerlegten Versprechungen von Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätzen hereinfallen. Außerdem scheint das Argument zu ziehen „Wenn wir’s nicht machen, macht es China“. Dabei liegt es auf der Hand, dass es besser wäre, lieber gleich gemeinsam mit China und allen anderen zu verhandeln. Anderenfalls machen diese Länder eben ihr eigenes Ding.

Welche Gefahren drohen für öffentliche Dienstleistungen?

Jürgen Buxbaum: Es droht nicht nur die Gefahr weiterer Privatisierungen, gegen die man sich dann nicht mehr wehren kann, wenn privaten Konzernen durch dieses Abkommen das Recht zugestanden wird, Zugriff auf weite Bereiche unserer Dienstleistungen zu nehmen. Wenn demokratisch gewählte Regierungen nicht mehr entscheiden dürfen, was im öffentlichen Interesse ist, sondern Regulierungen als „Handelshemmnisse“ definiert werden, hat das Konsequenzen für uns alle. Quersubventionierungen von öffentlichem Nahverkehr oder Stadtwerken zu Kindergärten, Schwimmbädern oder Büchereien werden unmöglich, wenn sie als Benachteiligung privater Anbieter dargestellt werden. Wenn Regulierungen, die „den Handel hemmen“, abgebaut werden müssen, sind Arbeits-, Verbraucher- und Umweltschutzbestimmungen ebenso in Gefahr wie Normen für Wasserqualität, Gesundheits- und Bildungseinrichtungen, Abfallbeseitigung und Kraftwerke.

Kannst Du dafür ein, zwei konkrete Beispiele nennen?

Jürgen Buxbaum: Wenn die kommunale Selbstverwaltung eine Fußgängerzone einrichten will, um den lokalen Einzelhandel zu schützen, soll dies in Zukunft den freien Handel behindern, z. B. weil internationale Handelsketten dann riesige Supermärkte nicht einfach dort errichten können, wo es ihnen profitabel erscheint. Es darf nicht sein, dass Zugang zu Wasser und Gesundheitseinrichtungen zuerst ein Gegenstand von Geschäftsinteressen wird.

Ist es noch möglich, die Liberalisierung zu einem späteren Zeitpunkt wieder rückgängig zu machen, so wie heute privatisierte Dienstleistungen rekommunalisiert werden können?

Jürgen Buxbaum: Ein zentraler Punkt der Verhandlungen ist die so genannte Stillstandsklausel. Sie soll den derzeitigen Stand der „Liberalisierung“, d. h. der Privatisierung öffentlicher Dienste, zementieren und ihre Re-Kommunalisierung ausschließen. Einmal privat, immer privat.

Befürworter sagen, TISA will keine hoheitlichen Aufgaben liberalisieren. Doch wer bestimmt dann zukünftig, welche Aufgaben hoheitlich sind?

Jürgen Buxbaum: Dienstleistungen in Ausübung hoheitlicher Gewalt sollen auch in Zukunft unangetastet bleiben. Das klingt gut, aber der Teufel steckt im Detail. Denn diese Dienstleistungen sind so definiert, das sie weder kommerziellen Zwecken dienen, noch im Wettbewerb mit anderen Anbietern erbracht werden. Wenn also irgendein öffentlicher Dienst einen rechnerischen Überschuss erwirtschaftet, kann er als „kommerziell“ betrachtet werden. Und welcher öffentliche Dienst wird heute nicht im Wettbewerb erbracht? Viele Länder haben bereits einen Teil ihrer Gefängnisse, des Gesundheitswesens oder der Steuereintreibung dem Wettbewerb preisgegeben. Die USA betreiben sogar Militäreinsätze mit privaten „Sicherheitsfirmen“. Mit anderen Worten: Diese Definition hoheitlicher Aufgaben schließt nicht das Tor zu Privatisierungen, sondern öffnet es.

Welche Gefahren drohen den Arbeitnehmerrechten durch TISA?

Jürgen Buxbaum: Arbeits- und Gesundheitsschutzbestimmungen sind aus Sicht privater Anbieter eindeutig „Handelshemmnisse“. Das Gleiche gilt für das Recht, Betriebsräte zu gründen, Betriebsversammlungen abzuhalten, sich auf Kündigungsschutz zu berufen. Da den USA und anderen Teilnehmerländern deutsche Arbeitnehmerrechte fremd sind, und der Stand der „Handelsfreiheit“ in einem Land das Minimum der „Handelsfreiheit“ für alle TISA-Länder begründen soll, sollten wir uns besser nicht damit beschwichtigen lassen, dass schon alles nicht so schlimm werde.

Wie können Gewerkschaften bei aller Geheimhaltung die Verhandlungen beeinflussen?

Jürgen Buxbaum: Die Internationale der Öffentlichen Dienste wertet sorgfältig alle durchgesickerten Verhandlungsdokumente und veröffentliche Stellungnahmen von Regierungen und Verhandlungsführern aus. Wir tun dies, um alle unsere Mitgliedsgewerkschaften zu informieren. Diese wiederum rütteln in breiten Bündnissen mit verschiedensten gesellschaftlichen Gruppierungen die Öffentlichkeit auf, um auf diese Weise die Regierungen unter Druck zu setzen. Als Demokraten sind wir verpflichtet, ein wachsames Auge darauf zu haben, was da, angeblich in unserem Namen, vereinbart wird. Wenn wir unsere demokratische Selbstbestimmung bewahren wollen, müssen wir alles tun, um diesen beispiellosen Durchmarsch der privaten Konzerne zu verhindern.

Interview: Heike Langenberg

Hinweis: Wir veröffentlichen das Interview mit Jürgen Buxbaum von der Internationalen der Öffentlichen Dienste (IÖD) mit freundlicher Genehmigung der Gewerkschaft Ver.di. Es ist in einer kürzeren Version zuerst in deren Mitgliedermagazin ver.di publik erschienen.

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5 Kommentare

Kommentare sind geschlossen
  1. Adam Smith läßt grüßen „die unsichtbare Hand“ ist am wirken. Das ist reiner Neokapitlismus und Neokolonialismus. Die Herrenrasse lebt weiter!

  2. Dann lasst es doch den Chinesen machen …
    … die machen sowieso was sie wollen. Wir in Europa dagegen, sollten und müssen uns davor hüten, den Sprüchen und fadenscheinigen Argumenten der Lobbyisten und Politiker auf dem Leim zu gehen und wir sollten mindestens genauso wie gegen TTIP und CETA auf die Barrikaden gehen. Ich denke, dass sich auch gegen TISA eine breite Front in der europäischen Bevölkerung bilden wird und das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.
    Hermann Hesse schrieb 1938 in einem Brief: „Ich sehe die heutige Welt wie ein schlechtes Sensationsstück an, … aber doch so, wie man Besoffene ansieht, mit dem Gefühl: wie werden die sich schämen, wenn sie wieder zu sich kommen.“
    Viele Grüße

  3. Warum wohl sind alle diese Verhandlungen geheim und hinter verschlossenen Türen? Das politisch verdummte Fußvolk soll weiter dumm gehalten werden, damit US,-und EU-Lobbyisten bis zum Sankt-Nimmerleinstag ihre kriminellen Geschäfte auf Kosten der Bürger betreiben können! Sollten TTIP-CETA und TISA tatsächlich ratifiziert werden dann werden unsere Urenkel uns nochmals ausbuddeln und nochmals totschlagen falls sie überhaupt noch lebensfähig sind!

  4. Die Amerikanischen Interessenvertreter haben doch einen Knall..sie wollen uns ihr kaputtes, turbokapitalistisches System aufdrängen..
    Dann ist unsere Infrastruktur bald so vernachlässigt, heruntergekommen und überteuert wie in den USA.
    Nein Danke!

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