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Zweifelhaftes Asylpaket II: Noch mehr Frauen und Kinder in Schlauchboten

Das Asylpaket II verschlechtert die Situation vieler Schutzsuchender. Wiebke Judith, Fachreferentin für Asylpolitik und Asylrecht bei Amnesty International, erklärt im Interview, welche Folgen die Verschärfung des Asylrechts für die Menschen hat.

Das Asylpaket II verschlechtert die Situation vieler Schutzsuchender: Eilverfahren für Asylbewerber mit geringer Erfolgschance, Einschränkung des Familiennachzugs, verschärfte Regeln bei der Abschiebung kranker Menschen. Wiebke Judith, Fachreferentin für Asylpolitik und Asylrecht bei Amnesty International, erklärt im Interview, welche Folgen die Verschärfung des Asylrechts für die Menschen hat.

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Für viele unbegleitete geflüchtete Kinder und Kinder, die in Kriegsgebieten auf ihre Eltern warten, wird es durch das neue Gesetz Jahre dauern, bis sie ihre Familie wiedersehen. Wie war das bisher geregelt und wieso will die Bundesregierung Familien derart auseinanderreißen?

Wiebke Judith: Die Bundesregierung will mit dem Asylpaket II für zwei Jahre verhindern, dass Menschen aus Kriegsgebieten ihre Kinder oder Eltern nach Deutschland holen können. Sie begründet den Schritt damit, dass ansonsten zu viele Menschen nach Deutschland kämen. Fakt ist jedoch, dass den Familiennachzug schon jetzt nur die „Kernfamilie“ umfasst, also minderjährige Kinder mit ihren Eltern vereint oder durch die Flucht voneinander getrennte Ehepartner. Diese Aussetzung im Familiennachzug ist auch deshalb absurd, weil erst im letzten Jahr eine Gesetzesverbesserung in Kraft getreten ist, durch die Menschen mit eingeschränktem Schutz den gleichen Anspruch auf Familienzusammenführung bekommen haben wie Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention.

 

Die geplante Regelung soll den Familiennachzug für Menschen mit eingeschränktem Schutz nun komplett aussetzen. Die betroffenen Familien werden damit auf Jahre getrennt. Viele von ihnen werden sich deshalb auf den gefährlichen Weg über das Meer machen, um den Gefahren in ihrer Umgebung zu entkommen und um zu ihren Kindern oder Eltern zu gelangen.

Besonders nahe gehen die Fälle, in denen von der Abschiebung bedrohten Homosexuellen in ihrem vermeintlich “sicheren” Herkunftsland eine Gefängnisstrafe droht. Was müsste getan werden, damit diese Menschen geschützt werden?

Neben dem Asylpaket II soll ein weiterer Gesetzentwurf im Bundestag verabschiedet werden, durch den Algerien, Marokko und Tunesien zu „sicheren Herkunftsstaaten“ erklärt werden. Diese Einschätzung ignoriert die Menschenrechtslage vor Ort vollkommen. Zum Beispiel werden in Tunesien Männer wegen ihrer Homosexualität vor Gericht gestellt und zu Haftstrafen verurteilt. Um solchen Fällen gerecht zu werden, muss es faire, individuelle und unvoreingenommene Asylverfahren geben. Gerade das will die Bundesregierung für diese Länder aber einschränken.

Ein weiterer Streitpunkt ist die Verschärfung der Residenzpflicht für Asylbewerber. Was bedeutet diese konkret für Flüchtlinge in Deutschland und was sind die Beweggründe der Bundesregierung, die Bewegungsfreiheit der Flüchtlinge in Deutschland zu beschneiden?

Mit dem Asylpaket II wird ein sogenanntes „beschleunigtes Verfahren“ eingeführt, von dem Personen aus „sicheren Herkunftsstaaten“, und potenziell noch viele weitere Menschen, betroffen sein werden. Während dieser Verfahren müssen sie in besonderen Aufnahmeeinrichtungen leben und dürfen deren Bezirk nicht verlassen. Die Bundesregierung verspricht sich davon eine unbeeinträchtigte Durchführung der Verfahren. Wir befürchten aber schlimmes!

 

Zum einen gibt es keine erkennbaren Pläne, wie die Menschen in den Einrichtungen unabhängig über das Verfahren beraten werden sollen. In diesem Fall müssen die Asylsuchenden die Möglichkeit haben, eine Beratung außerhalb der Unterkunft aufzusuchen – auch wenn diese außerhalb des Bezirkes liegt. Denn eine solche Beratung ist für ein faires Asylverfahren unerlässlich.

 

Zum anderen sieht der Gesetzentwurf schwerwiegende Konsequenzen bei Verstößen gegen die Residenzpflicht vor. Nach dem zweiten Verstoß gegen die Residenzpflicht wird das Asylverfahren eingestellt. Hier wurde noch nicht einmal festgestellt, ob dem Asylsuchenden in seiner Heimat Verfolgung droht oder nicht. Dadurch besteht die konkrete Gefahr, dass Menschen abgeschoben werden, obwohl ihr Leben im Heimatland bedroht ist.

Viele Flüchtlinge sind durch die Erlebnisse in Kriegsgebieten oder auf der Flucht schwer traumatisiert. Die Bundesregierung will jetzt Hürden für die Abschiebung psychisch oder körperlich kranker Menschen abbauen. Wie ist das mit den Menschenrechten vereinbar?

Das stimmt, viele Schutzsuchende sind traumatisiert durch das, was sie in ihrer Heimat oder auf der Flucht erlebt haben. Auch wenn ihr Erlebtes nicht als Asylgrund ausreicht, kann eine schwere Traumatisierung ein wichtiger und richtiger Grund sein, dass sie nicht abgeschoben werden dürfen. Die Bundesregierung unterstellt in ihrem Gesetzentwurf, dass die Mehrheit dieser Gründe nur vorgeschoben seien. Eine solche Pauschalisierung lehnen wir ab. Es darf nicht zu Abschiebungen kommen, wenn diese Leib und Leben der Person bedrohen. Ansonsten wäre diese Abschiebung ein Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.

Die Bundesregierung will die Verschärfung in den nächsten Tagen auf den Weg bringen. Was kann man tun, damit die Rechte von Schutzsuchenden und Flüchtlingen nicht verletzt  werden?

Jede und jeder kann jetzt aktiv werden und an ihren/seinen Bundestagsabgeordneten schreiben und sie dazu auffordern, gegen die Asylrechtsverschärfungen zu stimmen. Für Politikerinnen und Politiker ist es immer sehr wichtig, Rückmeldungen aus ihrem Wahlkreis zu bekommen. Sie müssen wissen, dass ihre Wählerinnen und Wähler mit den Verschärfungen nicht einverstanden sind.

 

Dafür hat Amnesty einen Brief vorbereitet, den man auf unserer Homepage finden und personalisieren kann (www.amnesty.de/asylpaket2) und dann an seine Abgeordneten schicken soll. Je mehr Briefe im Bundestag ankommen, desto höher ist der Druck, das Asylpaket nicht passieren zu lassen!

Bitte mache mit und sende den Protest-Brief von Amnesty an Deine Abgeordneten im Wahlkreis: Menschenrechte in Gefahr!

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Autor*innen

Katharina Nocun ist studierte Ökonomin und beschäftigt sich mit den Auswirkungen der technologischen Revolution auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Sie engagiert sich in der digitalen Bürgerrechtsbewegung für eine lebenswerte vernetzte Welt. Sie war 2013 Politische Geschäftsführerin und Themenbeauftragte für Datenschutz der Piratenpartei Deutschland und arbeitete als Referentin und Campaignerin u.a. für den Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV), Campact e.V. und Wikimedia Deutschland e.V.. Katharina Nocun ist Botschafterin für die Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen und Mitglied im Beirat des Whistleblower-Netzwerks und bloggt regelmäßig unter www.kattascha.de. Folge Katharina auf Twitter: @kattascha Alle Beiträge

3 Kommentare

Kommentare sind geschlossen
  1. Thema Verantwortung: „Ein Mann fiel unter die Räuber, Die Leute sahen ihn und gingen vorüber. Da kam ein Samariter (ein verhasster Fremder). Er hob ihn auf und pflegte ihn ……..“.
    Somit ist die Menschlichkeit gefragt und die Pflicht zu helfen!

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