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Bittere Medizin: TTIP und CETA gefährden die Gesundheit

Handels- und Investitionsschutzabkommen wie TTIP und CETA gefährden nicht nur Umwelt- und Verbraucherschutzstandards. Diese 5 Punkte erklären, warum TTIP und CETA gefährlich für die Gesundheit sind.

Handels- und Investitionsschutzabkommen wie TTIP und CETA gefährden nicht nur Umwelt- und Verbraucherschutzstandards, sondern auch unsere Gesundheit. Mit ihnen wird die ohnehin schon große Einflussnahme der Pharma-Lobby regelrecht institutionalisiert, die Versorgung mit Arzneimitteln droht, kaum noch finanzierbar und Gesundheit zur bloßen Handelsware zu werden. Solidarische Gesundheitssysteme geraten unter Druck und der Gestaltungsspielraum für demokratische Gesundheitspolitik wird ausgehöhlt.

Doch der Reihe nach. Diese 5 Punkte erklären, warum TTIP und CETA gefährlich für die Gesundheit sind:

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TTIP bedroht den Zugang zu bezahlbaren Medikamenten. Grafik: Sascha Collet/Campact

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#1 Lobby-Aktivitäten

Die Pharmalobby gehört zu den Akteuren, die am häufigsten an die Tür der Verhandler klopfen – und dort mit offenen Armen empfangen werden. Während sich die europäischen Pharmakonzerne zu Beginn der Verhandlungen noch einigermaßen bedeckt hielten, versiebenfachten sie ihr Engagement im Zeitraum von April 2013 bis Februar 2014: Jedes sechste TTIP-Lobby-Treffen, das die EU-Handelskommission in diesem Zeitraum durchführte, fand mit Vertreter/innen der Pharma-Industrie statt.

Die europäischen Pharmakonzerne und ihr Dachverband EFPIA (European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations) agieren dabei teils in sehr enger Kooperation mit der US-amerikanischen Pharmaindustrie und ihrem Dachverband PhRMA (Pharmaceutical Research and Manufacturers of America). Aus Forderungskatalogen, die im Vorfeld und zu Beginn der TTIP-Verhandlungen bei der EU-Kommission und dem US-Handelsministerium eingingen, sowie aus einer im März 2014 von mehreren Nichtregierungsorganisationen veröffentlichten „Pharma Wish List“ geht hervor, was sich die Pfizer’s, Bayer’s und Novartis‘ dieser Welt von dem geplanten Abkommen versprechen.

#2 Wunschzettel der Pharma-Industrie

Sehr weit vorne auf dem Wunschzettel der Pharmakonzerne rangieren Veränderungen im geistigen Eigentum – beispielsweise bei der Frage, wofür Patente angemeldet werden können. Oder in Bezug auf die Zeitdauer, während der ein Pharma-Unternehmen die Ergebnisse klinischer Erprobungsstudien unter Verschluss halten kann.

Während Diagnose- und Behandlungsverfahren in der EU nicht patentiert werden können, ist das in den USA durchaus möglich. Von den TTIP-Verhandlungen erhofft sich die dortige Pharma-Industrie eine Harmonisierung und fordert die Zulassung dieser so genannten „medical process patents“ auch in der EU. Derartige Patente hemmen mehr Innovationen, statt sie zu fördern. Neben der ethischen Fragwürdigkeit könnte eine solche Maßnahme auch negative Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung haben – eine Sorge, vor der auch bereits die Bundesärztekammer nachdrücklich gewarnt hat.

Eine weitere Forderung der US-Pharmaindustrie betrifft die Ausweitung der Schutzzeiten einer bestimmten Gruppe von Arzneimitteln, den so genannten Biologicals oder Biopharmazeutika. Das sind biologische Arzneimittel, die aus lebenden Organismen hergestellt werden. Aufgrund ihrer komplexen Molekülstruktur können sie zwar nicht – wie die klassischen chemisch-synthetisch hergestellten Arzneimittel – „kopiert“ und nach Patentablauf als Generika auf den Markt gebracht werden. Allerdings ist eine Herstellung von ähnlichen Wirkstoffen möglich, die deshalb als „Biosimilars“ bezeichnet werden. Um Biosimilars günstiger auf den Markt bringen zu können, greifen deren Hersteller in der Regel auf die klinischen Studien mit den Original-Wirkstoffen zurück. Dies ist erst nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums möglich, der den Original-Herstellern somit den exklusiven Marktzugang garantiert – klar, dass die Pharma-Industrie den Markteintritt der Biosimilars möglichst hinauszögern will. Sowohl die Pharma-Lobby als auch das US-Handelsministerium wollen eine Angleichung an den US-amerikanischen Standard erreichen: Während in der EU Daten aus klinischen Erprobungsstudien für Biosimilar-Hersteller bis zu elf Jahre gesperrt bleiben können, sind es in den USA zwölf Jahre.

Der Unterschied scheint nur auf den ersten Blick harmlos. Tatsächlich kann er hohe Zusatzkosten für die öffentlichen Gesundheitssysteme nach sich ziehen. Denn Biologicals sind extrem teure Medikamente: Die Verordnung eines solchen Arzneimittels kostet im Durchschnitt 396 Euro und damit mehr als sieben Mal so viel wie eine durchschnittliche Verordnung. Biologicals machen bisher lediglich 2,5 Prozent der Medikamentenverordnungen aus, haben mit insgesamt 5,6 Milliarden Euro allerdings einen Anteil von fast 19 Prozent an der Gesamtheit der Arzneimittelausgaben. Jedes zusätzliche Jahr, das kostengünstigere Alternativen vom Markt fern hält, kostet die öffentlichen Kassen demnach Millionen von Euro – Profiteure sind die großen Pharmakonzerne.

#3 Transparenz von Daten aus klinischen Studien

Während die Angleichung von Standards des Geistigen Eigentums vor allem von US-amerikanischer Seite gefordert wird, ist ein anderes Lobby-Ziel ein geteiltes: Ergebnisse klinischer Studien nicht veröffentlichen zu müssen. Die Pharmaindustrie macht in der Regel nur solche Daten aus klinischen Studien öffentlich, die für ein Medikament sprechen, alle anderen Daten – zum Beispiel über ausbleibende Langzeit- oder riskante Wechselwirkungen – hält sie oft zurück. Diese Praxis wird seit Jahren nicht nur von Pharma-Kritiker/innen, sondern auch von Mediziner/innen kritisiert, denn sie macht Therapieentscheidungen von der ökonomisch motivierten Informationspolitik der Unternehmen abhängig. Ärzte und Ärztinnen werden gezwungen, den Unternehmensangaben zu glauben, anstatt sich auf Basis aller Ergebnisse aus einer klinischen Studie selbst ein Urteil zu bilden. In der EU hat diese Kritik gerade erst endlich zu einem Erfolg geführt: Mit der 2014 erlassenen EU-Verordnung über klinische Studien werden Pharma-Konzerne unter anderem dazu verpflichtet, alle Ergebnisse von klinischen Studien offen zu legen – auch die, die gegen ein Arzneimittel sprechen. TTIP könnte nun eine passende Gelegenheit bieten, diese in einem langwierigen Prozess gegen den Widerstand der Industrie durchgesetzte Regelung wieder ad acta zu legen oder zu unterlaufen. Denn in den USA können deutlich mehr Studienergebnisse als „Geschäftsgeheimnisse“ definiert werden. Auf beiden Seiten des Atlantiks sind zudem Gesetzesinitiativen unterwegs, die Unternehmen ermöglichen würden, noch mehr Informationen als „Geschäftsgeheimnisse“ zu deklarieren und empfindliche Strafen für deren Veröffentlichung anzudrohen.

#4 Preisfestsetzung von Medikamenten

Und dann ist da die Sache mit der Preisfestsetzung von Medikamenten. In den allermeisten EU-Mitgliedsländern nehmen staatliche Stellen in irgendeiner Weise Einfluss darauf, zu welchem Preis Pharma-Unternehmen ein Medikament verkaufen dürfen. In Deutschland gab es lange Zeit keinen solchen Mechanismus. Erst mit der Einführung des Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetzes (AMNOG) Ende 2010 wurde der freien Preisfestsetzung durch Pharmakonzerne ein Riegel vorgeschoben. Der Preis, den die Krankenkassen für ein neu auf den Markt gekommenes Medikament bezahlen, muss nun zwischen Pharmaunternehmen und dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) zusammen ausgehandelt werden. Und er richtet sich unter anderem danach, ob das Medikament überhaupt einen Zusatznutzen für die Patienten bringt im Vergleich zu den bisher auf dem Markt verfügbaren. Dieses System soll verhindern, dass immer mehr „Scheininnovationen“ – also Medikamente ohne eine wirkliche Verbesserung gegenüber bereits vorhandenen – zu überhöhten Preisen auf den Markt gebracht werden, und soll stattdessen die Entwicklung wirklich neuer Wirkstoffe fördern.

Derartige staatliche Eingriffe in die Preisfestsetzung von Arzneimitteln sind der Pharma-Industrie ein Dorn im Auge. In einer Stellungnahme von PhRMA vom Oktober 2014 an das US-Handelsministerium zu vermeintlichen Handelshemmnissen in verschiedenen Ländern der Welt wird die staatliche Preiskontrolle der EU-Mitgliedsstaaten als einer der „Hauptgründe zur Besorgnis“ angeführt – darunter explizit auch das deutsche AMNOG. Es überrascht also nicht, dass die Pharma-Industrie TTIP auch dazu nutzen will, staatliche Mechanismen zur Preisfestsetzung von Medikamenten loszuwerden oder abzuschwächen. In diesem Zusammenhang fordert sie, dass das Abkommen auch so genannte „Transparenzbestimmungen“ für Arzneimittel und Medizinprodukte enthalten soll. Was für kritische Ohren gut klingt, könnte in Wahrheit fatale Folgen für die öffentlichen Gesundheitssysteme haben.

#5 Pharma-Industrie fordert „Transparenz“

In ihrem Handelsabkommen mit Südkorea sowie den geplanten Abkommen mit Singapur und Vietnam hat die EU solche „Transparenzbestimmungen“ bereits in einem Anhang verankert. Sie verpflichten die Vertragspartner dazu, größtmögliche Transparenz über ihre nationalen Preisfestsetzungs- und Erstattungssysteme herzustellen. Neben der Veröffentlichung aller entsprechenden Vorschriften beinhaltet dies zum Beispiel eine ausführliche Begründung jeder einzelnen Entscheidung über Erstattung und Preise. Außerdem müssten die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die Entscheidungskriterien „objektiv und eindeutig“ sind und keinen Anbieter diskriminieren. Der Anhang enthält außerdem Vorschriften zum Einbezug der Pharma-Konzerne in bestimmten Phasen des Preisaushandlungsprozesses. Nach Abschluss der Verhandlungen zum EU-Südkorea-Abkommen rühmte die EU-Kommission diese Transparenzbestimmungen: Dadurch sei das „offensive Interesse“ der EU gewahrt, die die südkoreanischen Preisfestsetzungsmechanismen schon lange als „nichttarifären Hemmnisse” eingestuft hatte.

Im TTIP ist die Konstellation eine andere. Das US-Handelsministerium sowie PhRMA streben die Verankerung von Transparenzvorschriften an, und auch EFPIA hat bereits mehrmals mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass sie in dieser Frage voll und ganz auf der Seite ihres US-amerikanischen Schwesternverbands stehe. Die EU-Kommission hat nach eigenen Aussagen nicht vor, diesen Forderungen nachzugeben, sondern hat „erhebliche Befürchtungen” gegenüber Transparenzvorschriften im TTIP geäußert. Die Gesundheitssysteme in der EU und den USA seien zu unterschiedlich, so die Begründung. Wenn bereits die EU-Kommission Befürchtungen äußert und die Bedenken der Zivilgesellschaft teilt, sollte wirklich Vorsicht angebracht sein! Aber: Auch diese Forderung ist letztendlich ein Teil des Gesamtpaketes. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die EU-Kommission im Zuge der Verhandlungen dem Druck der vereinten Pharma-Lobby nachgibt, wenn die Zugeständnisse an anderer Stelle nur groß genug ausfallen.

In den Verhandlungen zum Trans-Pazifischen Abkommen zwischen den USA und elf weiteren Pazifik-Anrainerstaaten, die kürzlich abgeschlossen wurden, gehörten die „Transparenzbestimmungen“ über Arzneimittel im Übrigen zu den umstrittensten Teilen. Unter anderem Neuseeland und Australien sahen darin eine Gefahr für ihre nationalen Gesundheitssysteme, gaben am Ende jedoch in weiten Teilen den Forderungen von Pharma-Lobby und US-Handelsministerium nach. Auch US-amerikanische Kritiker/innen warnen vor steigenden Arzneimittelpreisen.

All diese Punkte zeigen: TTIP bedroht auch den Zugang zu bezahlbaren und sicheren Arzneimitteln in der EU

Es ist an der Zeit, auch aus gesundheitspolitischen Gründen den Stopp der TTIP-Verhandlungen und die Nicht-Ratifizierung von CETA zu fordern. Denn unsere Gesundheit ist keine (Handels-)Ware! Gemeinsam können wir TTIP & CETA noch stoppen.

Am 23. April treffen wir uns deshalb alle in Hannover zur großen Demo – bitte kommt mit:

PS: Verschiedene gesundheitspolitische und pharma-kritische Akteure unterstützen die Demonstration am 23. April in Hannover, unter anderem das Gen-ethische Netzwerk, der Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten, die Initiative unbestechlicher Ärztinnen und Ärzte MEZIS, die ärztliche Friedensorganisation IPPNW, die BUKO Pharma-Kampagnemedico international  sowie der Verein Demokratische Ärztinnen und Ärzte. Treffpunkt: vor dem Mövenpick Georgstraße/Ecke Ständehausstraße (direkt am Opernplatz).


Zur Person

Porträt von Anne BundschuhAnne Bundschuh arbeitet beim Gen-ethischen Netzwerk e.V. unter anderem zu TTIP und CETA. Ihr Fokus liegt auf den Auswirkungen der Abkommen auf die Gesundheitsversorgung sowie auf Landwirtschaft und Lebensmittel. Weitere Informationen zum Thema finden sich in der Broschüre „Bittere Medizin: Freihandel und Gesundheit“. Download sowie kostenlose Bestellung unter www.gen-ethisches-netzwerk.de/bittere-medizin

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