Welche Partei will Hate Speech stoppen?
Am 28. Oktober wird in Hessen der neue Landtag gewählt. Campact hat alle Parteien gefragt, ob sie im Fall einer Regierungsbeteiligung konkrete Maßnahmen gegen Hate Speech beschließen würden. Auffällig: Die CDU will sich nicht festlegen.
Ende Mai starteten wir unsere Kampagne gegen Hass im Netz – mit fünf simplen Forderungen, die Hate Speech in Hessen signifikant eindämmen könnten. Sie sind an der Basis entstanden, durch Gespräche mit Betroffenen, Beratungsstellen, Jurist/innen und Wissenschaftler/innen.
Klar wurde: Wir brauchen keine neuen oder schärferen Gesetze. Wir müssen dafür sorgen, dass die bestehenden Gesetze auch im Netz durchgesetzt werden. Unsere Maßnahmen würden genau das tun.
Unsere Forderungen
- Zentrale Opferberatungsstelle
- Einen Hate-Speech-Beauftragten auf jeder Polizeidienststelle
- Schwerpunktstaatsanwaltschaften
- Vereinfachte Klagemöglichkeiten
- Obligatorische Schulungen für Schüler/innen und Lehrer/innen
Welche Partei würde unsere Forderungen umsetzen?
Mit fast 19.000 Unterschriften im Rücken haben wir unsere Forderungen in den hessischen Landtagswahlkampf getragen. Eine hessenweite Studie des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft bestärkt uns: Die Mehrheit der Hessinnen und Hessen unterstützt unsere Forderungen und findet, dass die Landesregierung bisher nicht genug getan hat.
All das hat uns gezeigt: Hate Speech ist ein Problem, das derzeit viele Menschen bewegt. Doch nicht jede Partei will unsere Forderungen umsetzen.
Die gute Nachricht: Alle möglichen Regierungsparteien nehmen Hate Speech als ein gesamtgesellschaftliches Problem ernst. Sie sind sich einig: Besonders die Sensibilisierung von Kindern und Jugendlichen ist wichtig. Unser Maßnahmenpaket betrachten sie dagegen unterschiedlich. Die Antworten fallen durchaus überraschend aus. Größte Kontroverse: Die Einführung von vereinfachten Klagemöglichkeiten.
CDU: Die Selbstzufriedenen
Die CDU will sich auf keine unserer Forderungen festlegen. Sie sei schon aktiv genug und habe schon Maßnahmen gegen Hate Speech eingeleitet, erklärt die Regierungspartei. Die CDU betont: “Für uns ist wichtig, dass bei der festgestellten Zunahme von Hassreden im Internet die Meinungsfreiheit erhalten bleibt.” Auf die Tatsache, dass 61 Prozent aller Hessinnen und Hessen der Meinung sind, dass die Landesregierung bisher nicht genug getan habe, geht sie in ihrer Erklärung nicht ein.
- Zentrale Opferberatungsstelle
Während sich alle anderen Parteien für eine landesweite Opferberatungsstelle gegen Hate Speech aussprechen, meint die CDU: Spezielle Opferberatungsstellen seien “nicht sinnvoll”. Sie verweist darauf, dass das Netzwerk von Opferberatungsstellen in Hessen während ihrer Regierungszeit massiv ausgebaut wurde.
- Bildung
Alle anderen Parteien finden: Lehrer/innen und Schüler/innen brauchen obligatorische Schulungen, um mit Hass im Netz umgehen zu können. Nicht so die CDU: Sie habe als Regierungspartei in diesem Bereich schon viel unternommen, schreibt man uns. Dabei verweist sie auf den Landeskoordinator für Jugendmedienschutz. Das Netzwerk gegen Gewalt und pädagogische Fachkräfte wurde von der CDU initiiert – und richtet sich an Opfer von Mobbing an Schulen.
- Rechtliche Hilfe für die Opfer
Hass in Form von Beleidigungen oder Verleumdungen kann oft nur durch Zivilklagen geahndet werden. Für viele Opfer ist das finanzielle Risiko zu hoch. Deswegen fordern wir vereinfachte Klagemöglichkeiten: Damit es nicht vom Geldbeutel des Opfers abhängt, ob ein Täter zur Rechenschaft gezogen wird. Das lehnt die CDU ab und setzt hingegen darauf, private Netzwerkbetreiber noch stärker in die Pflicht zu nehmen und die Vorratsdatenspeicherung auszuweiten.
Die CDU will sich grundsätzlich auf keine unserer Forderungen festlegen. Sie spricht sich aber für weitere Maßnahmen gegen Hate Speech aus.
SPD: Die Pragmatiker
Die SPD ist vier unseren Forderungen gegenüber grundsätzlich aufgeschlossen. Einzig unsere Forderung nach vereinfachten Klagemöglichkeiten hält sie für problematisch. Ihr Kritikpunkt: Vereinfachte Klagemöglichkeiten für Betroffene von Hate Speech würden eine Ungleichbehandlung gegenüber anderen Zivilprozessen nach sich ziehen.
Mit dem Verweis auf Sachzwänge, schränkt sie auch die Zusage zu drei weiteren Forderungen ein.
- Polizei
Mit Verweis auf Personalkürzungen unter der CDU-geführten Regierung schlägt die SPD vor, Hate-Speech-Beauftragte nicht in jeder Polizeidienststelle, sondern bei den Polizeipräsidien zu etablieren. - Schwerpunktstaatsanwaltschaften
Aus demselben Grund will sie prüfen, ob sich die Einrichtung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften umgehen lässt. Sie zieht es vor, für eine zentrale Ermittlungsstelle auf vorhandene Strukturen zurückzugreifen. - Bildung
Die SPD unterstützt das Angebot von Sozialtrainings für Klassen und Projekte zur Mobbingprävention. Gleichzeitig besteht sie darauf, dass Schulungen freiwillig und nicht – wie von uns gefordert – obligatorisch sein sollen.
Die SPD steht unseren Forderungen wohlwollend gegenüber. Eine klares Ja erteilt sie allerdings nur der Einrichtung einer zentralen Opferberatungsstelle. Mit einem klaren Nein weist sie unsere Forderung nach vereinfachten Klagemöglichkeiten zurück.
Die Grünen: Die Ideengeber
Die Grünen stehen unserer Initiative erst einmal positiv gegenüber. Gleichzeitig wollen sie sich bei drei unserer Forderungen im Bereich der Strafverfolgung nicht wirklich festlegen. Einzig obligatorische Bildungsangebote an Schulen und eine zentrale Opferberatungsstelle gegen Hate Speech unterstützen sie uneingeschränkt.
- Zentrale Opferberatungsstelle
Für eine zentrale Opferberatungsstelle liefern sie gleich eine Idee mit, wie diese auch für Betroffene, die anonym bleiben wollen, funktionieren könnte. Eingesendete Hasskommentare sollen mit Einverständnis der Betroffenen anonymisiert im Netz veröffentlicht werden. Das Ziel: Die Berater/innen kommentieren und bewerten öffentlich, wie die Opfer am besten damit umgehen können. So profitieren auch Menschen von dem Angebot, die sich nicht trauen, die Beratungsstelle zu kontaktieren.
- Online-Wache
Die Grünen lehnen Hate-Speech-Beauftragte bei der Polizei und Schwerpunktstaatsanwaltschaften ab. Sie schlagen vor, dass Internetstraftaten wie Hate Speech zentralisiert bearbeitet, ausermittelt und gegebenenfalls angeklagt werden. Sie halten es für ausreichend, eine Online-Wache für ganz Hessen einzurichten. Dort würden die Anzeigen speziell ausgebildete Beamt/innen zentral entgegennehmen. Sollte sich erweisen, dass die Staatsanwaltschaften nicht effektiv genug gegen Hate Speech vorgehen, würden die Grünen eine hessenweite Zentralisierung befürworten.
- Zivile Klagemöglichkeiten
Die Grünen würden vereinfachte Klagemöglichkeiten für die Betroffenen von Hate Speech grundsätzlich befürworten, verweisen aber wie CDU und FDP auf die Gesetzgebungskompetenz des Bundes.
Zwei Mal Ja, drei Mal keine Festlegung, grundsätzlich positiv. Die Grünen haben sich bereits ernsthaft mit der Thematik auseinandergesetzt und liefern viele interessante Vorschläge.
FDP: Die Staatsbürger
Auch die Freien Demokraten nehmen Hass und Hetze in den sozialen Netzwerken und deren Folgen ernst – und sie gehen davon aus, dass das Problem in Zukunft noch zunimmt. Opferberatungsstellen sehen sie als besonders wichtige Einrichtungen an, um Betroffene schnell und unbürokratisch zu unterstützen und zu beraten.
- Rechtsstaat
Die FDP hält speziell ausgebildete Hate-Speech-Beauftragte auf jeder Polizeidienststelle und die Etablierung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft für geeignete Maßnahmen, um Kompetenzen zu Bündeln und geltendes Recht auch im Netz effizient und zeitnah durchzusetzen. In puncto zivile Klagemöglichkeiten äußert sie allerdings ähnliche Bedenken wie die SPD. Sie verweist auf die Gefahr der Ungleichbehandlung und die Gesetzgebungskompetenz des Bundes.
- Sensibilisierung
Besonders am Herzen liegt den Freien Demokraten, die Bevölkerung für das Thema Hate Speech zu sensibilisieren. Hierin sehen sie eine wichtige Aufgabe der Schwerpunktstaatsanwaltschaft. Aus demselben Grund stehen sie auch voll hinter unserer Forderung nach obligatorischen Schulungen für Schüler/innen und Lehrer/innen.
Vier Mal Ja mit besonderem Fokus auf Sensibilisierung und Durchsetzung des Rechtsstaats im Netz. Ein Nein geben sie uns nur zur Forderung nach vereinfachten Klagemöglichkeiten.
Die Linke: Die Befürworter
Kurz und knapp: Die Linke erteilt uns für alle unsere Forderungen ein klares “Ja”.
Zusatzpunkt: Genauso wie die CDU will auch die Linke Netzwerkbetreiber noch stärker in die Pflicht nehmen. Dabei setzt sie allerdings nicht auf Vorratsdatenspeicherung, sondern auf zivilgesellschaftliche Beratung. Sie fordert einen Social-Media-Rat – nach Vorbild des Deutschen Presserats. Diesen stellt sie sich als eine Kombination aus Jurist/innen, Internet- und Medienexpert/innen und Psycholog/innen vor, die gemeinsam einen verfassungskonformen Grundsatzkatalog erarbeiten, den es zu befolgen gilt.
Gleichzeitig spricht sich die Linke klar gegen die Einführung neuer Straftatbestände aus.
Kommt die Linke in die Regierung, wird Hate Speech politisch angegangen – in unserem Sinne.
AfD: Die Schweigsamen
Die AfD hat sich als einzige Partei überhaupt nicht zu unseren Forderungen geäußert.
Klar ist: Die AfD ist keine normale Partei. Es gibt vielfältige Verbindungen ins rechtsextreme Milieu. Mitglieder der Partei stellen offen das Grundgesetz und damit auch unsere Demokratie in Frage. Die AfD argumentiert immer wieder mit der Meinungsfreiheit. Gleichzeitig diffamieren viele ihrer Anhänger Menschen mit einer anderen politischen Meinung, beschimpfen sie und schüchtern sie mit dem Ziel, sie zum Schweigen zu bringen, ein. Jeder, der die Partei wählt, unterstützt auch diese Ziele.
Hessenwahl: Signal im Kampf gegen den organisierten Hass im Netz?
Eine Koalition aus Parteien, die unsere Forderungen unterstützen, wäre nicht nur für Hessen ein großartiges Signal im Kampf gegen den organisierten Hass im Netz. Wenn Hessen vormacht, wie effektiver Opferschutz und Strafverfolgung von Hate Speech geht, könnte es zum Vorbild und Vorreiter für andere Bundesländer werden. Für ein Internet ohne Hass und Hetze, wo demokratischer öffentlicher Austausch wieder möglich wird. Das ist das Ziel vieler Menschen in Hessen und in ganz Deutschland.
Ich bin mir nicht so sicher, ob all das gegen Hassprache reicht… Den etablierten Parteien sei ins Stammbuch geschrieben, dass Sie das Risiko schon eingehen müssen mal wieder Politik mit Klartext zu erklären und auch Probleme zu benennen. Ein bisschen Demut und auch mal Selbstkritik würde guttun, statt ängstlich zu vermeiden dem ein oder anderen auch mal auf die Füße zu treten…
Wider der Wischiwaschisprache, dann wäre viel gewonnen!