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CETA: Ein erster Kompromiss von vielen

Wie ist die Zustimmung des Bundestages zu CETA zu bewerten? Natürlich ist sie kein Grund zum Jubeln, aber auch keiner zum Verzweifeln. Denn unsere Proteste gegen CETA, TTIP und ISDS haben trotzdem viel erreicht. Ein Versuch einer differenzierten Analyse aus Campact-Perspektive.

Campact-Aktive bei einer Demo-Aktion gegen CETA im Jahr 2017.
Campact-Aktive bei einer Demo-Aktion gegen CETA im Jahr 2017. Foto: Jakob Huber / Campact

Unmittelbar ändert sich durch die Entscheidung des Bundestages nichts am Status quo: Seit 2017 wird das Umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen EU-Kanada, kurz CETA, vorläufig angewendet.

ISDS ist die Abkürzung für „Investor-state dispute settlement“ (deutsch: Investor-Staat-Streitbeilegung). Dieser Rechtsmechanismus erlaubt es einem Investor aus dem Ausland, gegen einen Staat klagen zu können, in dem er investiert hat – sofern er die ihm eingeräumten Rechte verletzt sieht. Meistens handelt es sich dabei um Schiedsverfahren.

Die Ratifizierung im Bundestag hat lediglich die Aktivierung der ebenso unnötigen wie umstrittenen ISDS-Mechanismen näher gebracht. Es fehlt aber weiterhin die Zustimmung von über zehn EU-Staaten, damit CETA vollständig ratifiziert ist und die Sonderjustiz für ausländische Investoren in Kraft tritt. 

Die FDP hat CETA stets uneingeschränkt befürwortet. Die SPD hat im September 2016 ihren Widerstand nach einigen Verbesserungen aufgegeben, weil Sigmar Gabriel sein Schicksal als Parteivorsitzender mit der Zustimmung zu CETA verbunden hat. Der Mut, Gabriel zu stürzen, fehlte den Delegierten beim Parteikonvent in Wolfsburg.

Warum CETA jetzt doch kommt

Die Ratifizierung von CETA ist dennoch erst durch den Positionswechsel der Grünen möglich geworden, deren Mitglieder und Abgeordnete sich jahrelang an Protesten gegen TTIP, CETA und ISDS beteiligten. Auch im Programm zur Bundestagswahl 2021 wurde die Zustimmung zu CETA in der jetzigen Fassung noch ausgeschlossen. Der Vorwurf des Umfallens oder des Ausverkaufs mag daher naheliegend sein, erweist sich aber bei näherem Hinsehen aber trotzdem als nicht haltbar. Denn die Grüne Bundestagsfraktion hat ihre Zustimmung an etliche substantielle Zugeständnisse ihrer Partner – insbesondere der FDP – geknüpft. Diesen handelspolitischen Deal kann man natürlich ablehnen, mir erscheint er mindestens nachvollziehbar – vermutlich sogar klug. Insbesondere angesichts der politischen Lage nach dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und angesichts der kommenden Handelskonflikten mit China. 

Die im Eckpunktepapier „Handelspolitik der Bundesregierung“ vereinbarten Maßnahmen fallen deutlich hinter die Forderungen der globalisierungskritischen Bewegung zurück, wie Campact sie beispielsweise im Positionspapier „Handel neu denken: Forderungen für eine progressive EU-Handelspolitik“ formuliert hatte. Aber trotzdem enthält das Eckpunktepapier wichtige Schritte hin zu einer gerechteren und ökologischeren Handelspolitik. So sollen alle künftigen EU-Handelsabkommen auch verbindliche und einklagbare Umwelt- und Sozialkapitel enthalten. Dazu kommen Handelssanktionen als letztes Mittel bei schwerwiegenden Verstößen gegen zentrale „Trade and Sustainable Development“-Verpflichtungen, kurz TSD.

Zudem wurde eine Initiative zur Entschärfung der Missbrauchsmöglichkeiten von internationalen Schiedsgerichten vereinbart. Durch eine Interpretationserklärung, die der gemeinsame CETA-Ausschuss verabschieden soll und die damit völkerrechtlich verbindlich wäre, sollen die möglichen Klagegründe der Konzerne beschränkt werden. Vor allem der „Schutz“ der Investoren vor indirekter Enteignung und ihre gerechte und billige Behandlung stehen dabei im Fokus. Die EU-Kommission hat sich mit Kanada auf einen Text geeinigt, aber noch haben nicht alle Mitgliedsstaaten eingewilligt.

Kompromiss als Erfolg begreifen

Ursprünglich sollte die Ratifizierung erst nach der Entscheidung des CETA-Ausschusses über die Interpretationserklärung erfolgen. Stattdessen hat die Bundesregierung gestern die Kündigung des Energie-Charta-Vertrages (ECT) beschlossen. Ein wegweisender Schritt, der in den ursprünglichen Eckpunkten fehlte; zumal die im ECT verankerte Paralleljustiz besonders günstig für fossile Investoren ausgestaltet ist. Auf keinen Vertrag gehen mehr Verfahren zurück, die den Klimaschutz behindert und unnötig verteuert haben. Der Ausstieg der ganzen EU wird durch die deutsche Kündigung möglich.

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Die Grünen haben trotzdem nicht genug erreicht, wenn der Maßstab das Nötige für eine wirklich gerechte und nachhaltige Handelspolitik ist. Gemessen an der politischen Lage, dem Druck der Industrielobby und der Medienlage haben sie dennoch viel erreicht. Dazu kommt: Seit Jahren ist es uns nicht mehr gelungen, an die Mobilisierungen der Jahre 2014 bis 2016 anzuknüpfen. Dadurch fehlte der Druck und die Rückendeckung für die Grünen, einen grundlegenden Neustart der EU-Handelspolitik durchzusetzen. Der wichtigste Grund für den Rückgang der Proteste war die Wahl von Donald Trump zum Präsident der Vereinigten Staaten im November 2016. Seine Ablehnung von TTIP und seine nationalistische Handelsagenda haben viele progressive Gegner*innen verunsichert. Denn allein der Anschein, Trump teile unsere Kritik, hat bei vielen ihre Perspektive verändert. Unsere inhaltliche Kritik an einseitig konzernfreundlichen Abkommen ist nach wie vor richtig, aber hat an aktiver öffentlicher Unterstützung eingebüßt.

Die CETA-Entscheidung ist auch ein Vorgeschmack auf die Kompromisse, an die wir uns gewöhnen müssen und die wir als Erfolge begreifen sollten, solange es keine stabile progressive Mehrheit im Bundestag gibt. Sonst wecken wir unrealistische Erwartungen und verdammen uns zum Misserfolg.

Fazit

Unsere Proteste gegen CETA waren weder umsonst noch erfolglos – trotz der heutigen Niederlage im Bundestag. Sie haben das Abkommen wiederholt weniger gefährlich gemacht, den Weg zu einer besseren EU-Handelspolitik geebnet und den Ausstieg aus der Energiecharta ermöglicht. Ich begreife das als gemeinsamen Teilerfolg von Hunderttausenden Bürger*innen und NGOs. Protest lohnt sich also – auch wenn es häufig einen sehr langem Atem braucht. 


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Autor*innen

Dr. Felix Kolb ist Politikwissenschaftler. Er promovierte zwischen 2002 und 2005 an der FU Berlin über die politischen Auswirkungen sozialer Bewegungen. Seine Dissertation erschien im Campus-Verlag. Nach dem Studium war er Pressesprecher von Attac. Zusammen mit Christoph Bautz stieß er die Bewegungsstiftung an und initiierte mit ihm und Günter Metzges Campact. Er ist seit April 2008 Geschäftsführender Vorstand. Auf Twitter findet man ihn unter @felixkolb Alle Beiträge

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