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Die Pille galt jahrelang als Zeichen der Selbstbestimmung und Unabhängigkeit der Frauen. Was sie mit der NS-Zeit zu tun hat und ob die Pille für den Mann vielleicht doch bald auf den Markt kommt, liest Du hier.

Von Auschwitz zur Antibabypille: Eine faszinierende Entwicklung mit einem dunklen historischen Hintergrund
Für viele Frauen tägliches Ritual – die Pille als Verhütungsmittel, Bild: Unsplash

Ob unreine Haut, Unterleibsschmerzen oder der Wunsch nach sicherem Geschlechtsverkehr: Die Pille wurde jahrelang als Wundermittel verschrieben, beinahe verteilt wie Smarties. Die Nebenwirkungen – und das sind einige – einfach ausgeblendet. Doch seit ein paar Jahren tut sich was, immer weniger Frauen nehmen die Begleiterscheinungen in Kauf und der Ruf nach Gleichberechtigung in Verhütungsfragen wird lauter. 

Pille als Befreiungsschlag

Als die „Antibabypille“ am 18. August 1960 in den USA auf den Markt kam, galt sie als Befreiungsschlag. Endlich war es Frauen möglich, durch hormonelle Verhütung ungewollte Schwangerschaften zu verhindern. Ein Jahr später war die Pille unter dem Namen „Anovlar“ von Schering auch in Deutschland erhältlich, zunächst als Mittel gegen Menstruationsbeschwerden – allerdings nur für verheiratete Frauen mit mehreren Kindern. Dass die Pille auch die Empfängnis verhindern kann, tauchte nur als Nebenwirkung in der Packungsbeilage auf. 

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Die Pille hat die industrielle Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg massiv geprägt. Sexualität und Fortpflanzung konnten endlich unabhängig voneinander thematisiert werden. Doch nicht nur in Sachen Familienplanung gewannen Frauen an Selbstbestimmung. Mit der Einführung der Pille erreichten sie auch in anderen Bereichen mehr Freiheit: Dadurch, dass sie sich entscheiden konnten, erst später Mutter zu werden, blieb ihnen mehr Zeit für Schule, Ausbildung und Beruf – die Pille ebnete ihnen den Weg in die Unabhängigkeit. 

Von Auschwitz zur Antibabypille 

Was vielen nicht bekannt ist: Die Pille hat eine Vorgeschichte in Auschwitz. Der Gynäkologe Carl Clauberg ebnete ihr mit seinen Forschungen im Vernichtungslager den Weg. Clauberg, 1898 im Rheinland geboren, arbeitete seit 1925 an den Themen Fruchtbarkeit und Unfruchtbarkeit und suchte nach einer hormonellen Möglichkeit zur Verhütung. Mitte der Dreißigerjahre gelang es dem Wissenschaftler bei einer 26-Jährigen, die Menstruation um einige Tage zu verschieben – das dort angewendete Prinzip der hormonalen Kontrazeption gilt noch heute. 

Biologin und Krankenschwester gaben den Anstoß für die Pille

Der entscheidende Anstoß zur hormonellen Verhütung liegt sogar noch weiter zurück – in den 1920 Jahren gaben ihn die vermögende Biologin Katharine McCormick und die Krankenschwester Margaret Sanger. Die Frauenrechtlerinnen beauftragten und finanzierten die Forschungen des Endokrinologen Gregory Pincus. Gemeinsam mit John Rock gelang Pincus die künstliche Herstellung des Schwangerschaftshormons Progesteron und des Hormons Östrogen. Progesteron kann eine Befruchtung verhindern, in dem es den weiblichen Eisprung unterbindet; Östrogen macht die Einnahme verträglicher.

1942 ging Clauberg nach Auschwitz, gefördert von SS-Reichsführer Heinrich Himmler. Hunderte Frauen wurden von ihm zwangssterilisiert. Während Claubergs Forschungen auf Unterdrückung und Zwang abzielten, basiert die Pille (für die seine Forschungen wegbereitend waren) auf den Prinzipien der sexuellen Befreiung und Gleichberechtigung. 

Die Pille sechzig Jahre später 

In Deutschland sind Pille und Kondom nach wie vor die wichtigsten Verhütungsmittel. Doch bei jungen Frauen verliert die Antibabypille immer mehr an Beliebtheit. Grund dafür sind unter anderem die zahlreichen Nebenwirkungen wie Stimmungsschwankungen, Übelkeit oder sexuelle Unlust. Eine neue Studie aus Dänemark verweist zudem auf das erhöhte Risiko, an Depressionen zu erkranken – insbesondere für jüngere Frauen. Unter den zahlreichen Präparaten auf dem Markt werden 52 Prozent mittlerweile mit einem höheren Risiko für Thrombosen oder Embolien in Verbindung gebracht. Besondere Aufmerksamkeit erhielten die Nebenwirkungen der Pille während Corona, da auch die Impfung von AstraZeneca das Risiko einer seltenen und gefährlichen Form des Blutgerinnsels erhöhen kann. Ob die Pille mit dem heutigen Kenntnisstand nochmals zugelassen würde, ist fragwürdig.

Kommt bald die Pille für den Mann? 

Die immensen Nebenwirkungen sind auch Grund dafür, dass es bislang kein vergleichbares Präparat für Männer auf dem Markt gibt. Und das, obwohl seit mehr als 30 Jahren an einer „Pille für den Mann“ geforscht wird. Will Mann bislang Verantwortung für die Empfängnisverhütung übernehmen, bleiben ihm nur Kondome oder Vasektomie. Während viele Ersteres als störend und unsicher empfinden, ist eine Sterilisation nur schwer rückgängig zu machen. 

Die Medizin ist von echter Gleichberechtigung noch sehr weit entfernt. Warum das für Frauen lebensgefährlich sein kann, liest Du in diesem Beitrag: 

Es sieht also so aus, als ob Verhütung weiterhin erst einmal Sache der Frauen bleibt. Oder doch nicht? Im Februar dieses Jahres entdeckten Forscher aus den USA einen nicht-hormonellen Wirkstoff, der die männliche Fruchtbarkeit schnell und sicher aufheben könnte. Eine neue Ära der Pille ist nur noch wenige Schritte entfernt – in wenigen Jahren könnte sie auf dem Markt sein. Die Männer müssen sie dann nur noch schlucken. 

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Autor*innen

Vera Kuchler arbeitet seit 2017 als Redakteurin bei Campact. Die ausgebildete Soziologin und gelernte Journalistin beschäftigt sich im Blog vor allem mit dem Thema „Arbeit und Geschlecht“. Alle Beiträge

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