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Black Lives Matter ist ein politischer Auftrag

Erst war es ein Hashtag, ein globaler Aufschrei über den rassistischen Mord an George Floyd – dann eine soziale, weltweite Bewegung: „Black Lives Matter!“ Doch viele politische Forderungen der Bewegung sind noch nicht erfüllt. Und rassistische Morde gehen weiter – auch hier in Deutschland.

Eine Aufnahme von einer großen Black-Lives-Matter-Demo im Sommer 2020 in Berlin.
Black-Lives-Matter-Demo im Juni 2020 in Berlin. Foto: IMAGO/ IPON

„I can’t breathe“, das waren die letzten Worte des Afroamerikaners George Floyd, der am 25. Mai 2020 in Minneapolis im US-Bundesstaat Minnesota ermordet wurde. Floyd, 46 Jahre alt, Vater von fünf Kindern, lag bereits auf dem Boden, als ein weißer Polizist ihm sein Knie auf den Hals drückte. Neuneinhalb Minuten lang. Volles Körpergewicht, das ihm die Atemwege abdrückte. Ein weiterer Polizist kniete auf Floyds Rücken. Es war Mord, urteilt das Gericht von Minneapolis später. Es gibt Videos, aufgenommen von Passanten; eindeutige Beweise.

Anti-Rassismus: Büchertipps zum Weiterlesen

Noch mehr Literatur haben wir unter dem Beitrag für Dich zusammengestellt.

Weltweit gegen Rassismus: Black Lives Matter

In den Tagen und Wochen nach dem Mord gehen weltweit Menschen auf die Straße gegen Rassismus und Polizeigewalt – erst spontan, dann organisierter. Nicht nur in Minneapolis, nicht nur in den USA, auch in vielen deutschen Städten rufen Zehntausende gemeinsam: „I can’t breathe“. In Berlin ist es sonnig, fast schon heiß, die Menschenmenge rund um den Alexanderplatz ist grenzenlos, überall bekannte Gesichter. Ich erinnere mich noch, wie überwältigt ich bin: so viele Menschen gemeinsam gegen Rassismus auf der Straße – das habe ich noch nie erlebt! Im Mai 2020 ist eine Bewegung weltweit sichtbar und unüberhörbar, mitten in der Pandemie: #BlackLivesMatter war der Hashtag auf Social Media, aber die Bewegung war und ist so viel mehr.

Als dezentrale soziale Bewegung in den USA gibt es Black Lives Matter schon seit 2013. Drei schwarze Menschenrechtsaktivistinnen haben die gegründet: Alicia Garza, Opal Tometi und Patrisse Cullors. Ein Jahr zuvor, 2012, hatte ein Wachmann den erst 17-jährigen Trayvon Martin in Sanford, Florida, verfolgt und erschossen. Ein Gericht hat den Täter freigesprochen – auf Grundlage des sogenannten „Stand your ground“-Gesetzes.

Das „Stand your Ground“-Gesetz

Laut dem „Stand your ground“-Gesetz dürfen sich Bürger*innen in Florida selbst gegen vermeintliche Angriffe verteidigen, auch mit der Schusswaffe. Das Gesetz gilt seit 2005; es wurde von einem republikanischen Senator in Florida zusammen mit der National Rifle Association (NRA) geschrieben, andere Bundesstaaten haben es übernommen. 

In dem Protest gegen den Freispruch für den Mörder von Trayvon Martin nutzen Garza, Tometi und Cullors erstmals öffentlichkeitswirksam den Hashtag #BlackLivesMatter. Von Beginn an ging es jedoch nicht nur um den Einzelfall. Für Afroamerikaner, vor allem junge Männer, endet Polizeikontakt viel häufiger tödlich als für Weiße. Die Gefahr, von der Polizei erschossen zu werden, ist für Schwarze in den USA dreimal höher als für Weiße. Schwarze Jungen und Männer zwischen 15 und 34 Jahren kommen sogar zehnmal wahrscheinlicher bei einer Schießerei ums Leben als gleichaltrige weiße. (Mehr Informationen dazu gibt es im Buch „Massenradikalisierung“ von Julia Ebner.)

2014 machte Black Lives Matter in den USA auf zwei weitere rassistische Tötungsdelikte aufmerksam: In Ferguson, Missouri, will Michael Brown, 18 Jahre alt, seine Großmutter besuchen, als er von einem Polizisten erschossen wird. Gegen den Täter wird kein Gerichtsverfahren eröffnet. In New York City nehmen mehrere Polizisten den 43-jährigen Schwarzen Eric Garner fest, einer wendet einen Würgegriff an, der eigentlich verboten ist. Eric Garner ist Asthmatiker. Auch er ruft „I can’t breathe“. Auch er stirbt. Der Polizist, der ihn erwürgt hat, wird nicht angeklagt. 

Nach jedem Tod und nach jedem Freispruch kommt es zu Protesten. Die Bewegung wächst, über 50 Gruppen aus den ganzen USA formen eine immer breitere Allianz. Ihre Forderungen an die Regierung: Stoppt „den Krieg gegen schwarze Menschen“; zahlt Reparationen für das Leid, das ihr uns zugefügt habt; investiert ins Bildungs- und Gesundheitswesen statt in Gefängnisse und Polizeiausrüstung.

Tamir Rice, Lamar Scott, Breonna Taylor

Doch die rassistischen Angriffe gehen weiter. Und längst nicht alle Namen der Toten schwappen über den Atlantik. Tamir Rice beispielsweise ist erst 12 Jahre alt, als er 2014 von einem Polizisten erschossen wird. Walter Lamar Scott, 50 Jahre alt, wird 2015 bei einer Verkehrskontrolle angehalten – und als er versucht zu fliehen, erschießt der Polizist ihn von hinten. Breonna Taylor wird im März 2020 in ihrer eigenen Wohnung von der Polizei erschossen.

Diesen Namen wird niemand vergessen

Der Mord an George Floyd ist ein weiterer rassistischer Mord nach schon so vielen. Der Mord steht in einer Kontinuität der Abwertung und Vernichtung des Lebens schwarzer Menschen und People of Colour seit der Kolonialisierung und der Sklaverei. Doch dieser Mord ist es, der das Fass zum Überlaufen bringt. Die Bewegung, seit 2013 gewachsen, ist jetzt stark genug, um im rassistischen Justizsystem der USA ein Erdbeben der Gerechtigkeit auszulösen. George Flyod: Diesen Namen wird niemand vergessen. Unter dem Druck der Proteste und der weltweiten Öffentlichkeit wird dieses Mal Anklage erhoben; der Mörder wird verurteilt.

Defund the Police

Beim De-finanzieren/De-investieren in die Polizei geht dabei darum, die seit den Terroranschlägen im September 2001 immer weiter voranschreitenden Militarisierung der Polizei, die Ausstattung mit immer mehr Geld, Waffen und Technik zu stoppen. In vielen US-Städten machen die Polizeiausgaben rund 20 Prozent des Gesamtbudgets aus – dieses Geld fehlt dann für Schulen, Krankenhäuser und Sozialarbeiter*innen. In Minneapolis, wo Georg Floyd ermordet wurde, waren die Polizeiausgaben innerhalb von zehn Jahre um mehr als 40 Prozent gestiegen. Als Reaktion auf die Black-Lives-Matter-Proteste beschloss die Stadt, 8 Millionen US-Dollar aus dem Polizeibudget herauszunehmen und stattdessen in Präventionsmaßnahmen zu investieren. Es gibt innerhalb von Black Lives Matter aber auch die Forderung nach Abolitionismus, also der kompletten Abschaffung der Polizei. Im Juni gibt es in Hamburg einen Kongress dazu. 

Black Lives Matter: Dabei geht es nicht nur um individuelle Rechtsprechung. Es ist ein politischer Auftrag. Drei Jahre nach dem Mord an George Floyd sind wichtige Forderungen zum Stopp von rassistischer Polizeigewalt noch immer nicht erfüllt. „Defund the Police“ war einer der lautesten Slogans in den Straßen von Minneapolis und weltweit: Gebt weniger Geld für die Polizei aus, damit mehr für soziale Infrastruktur bleibt.

Angela Davis hatte diese Forderung schon in den 1960er Jahren erhoben. Die schwarze Feministin hat mit vielen anderen auf die Verstrickungen zwischen dem US-amerikanischen Staat und privatwirtschaftlichen Gefängnis-Unternehmen aufmerksam gemacht. In diesem „prison-industrial-complex“ werden einige wenige (oft weiße) Menschen damit reich, dass viele (oft schwarze) Menschen kriminalisiert und eingesperrt werden.

Fünfmal so viele Schwarze in Gefängnissen in den USA

2021 hat eine Studie gezeigt: Unter Gefängnisinsassen in den USA sind fünfmal so viele Schwarze wie Weiße. Es gibt ein systemisches wirtschaftliches Interesse an der Abwertung schwarzer und armer Menschen, einen kapitalistischen Antrieb für institutionellen Rassismus in Polizei und Sicherheitsbehörden. Und dieser Rassismus endet immer wieder tödlich. 

Rassistische Morde in Deutschland

Polizeigewalt: Zu viele Einzelfälle

Rechte Chats, Terrornetzwerke, Polizeigewalt – die Initiative Copservation fordert unabhängige Ermittlung bei Polizeivergehen.

Black Lives Matter: Dabei geht es nicht nur um Rassismus in den USA. Hier in Deutschland verübt die Polizei ebenfalls rassistische Morde; und auch hier versagt das Justizsystem, wenn es Polizist*innen sind, die angeklagt werden müssten. Bei der Demonstration für George Floyd im Mai 2020 war es warm, sonnig, wir waren Zehntausende in Berlin. Bei den Demonstrationen für Oury Jalloh ist es meistens kalt, grau, es wird früh dunkel. 7. Januar: An diesem Tag ist Oury Jalloh in einer Polizeizelle in Dessau verbrannt, gefesselt an Händen und Füßen. Das war 2005. Jedes Jahr am Todestag gibt es eine Demonstration in Dessau. „Oury Jalloh, das war Mord“, rufen die Demonstrierenden dann, jedes Jahr seit 2005. Aber die Täter aus der Polizeistation Dessau wurden nie angeklagt.

Kriminalisierung und Rassifizierung von Menschen stoppen

Der Name von Oury Jalloh und das Unrecht, das ihm angetan wurde, ist bundesweit bekannt – dank der unermüdlichen Arbeit der Initiative Oury Jalloh. Viele andere Tote bleiben unbekannt. 244 Menschen sind in Deutschland seit 1990 durch rassistische Polizeigewalt gestorben, zählt die Initiative Death in Custody. Die Gründe dafür liegen im Umgang von Polizist*innen mit schwarzen Menschen und People of Colour. Auch in Deutschland dürfen Polizist*innen „anlasslose Kontrollen“ durchführen – sogenanntes Racial Profiling. Auch deutsche Polizist*innen nutzen Fixierungsgriffe wie den, mit dem George Floyd ermordet wurde. Und auch in Deutschland passiert es, dass ein Polizist mit einem Maschinengewehr auf einen Menschen schießt, von dem keine Gefahr ausgeht. Genau das ist in Dortmund passiert, im August 2022. Mouhamed Dramé wird nur 16 Jahre alt. Auch in Deutschland fordern immer mehr Initiativen echte Gerechtigkeit – also nicht nur individuelle Strafverfolgung, sondern strukturelle Veränderungen in Polizei- und Justizapparat, um die Kriminalisierung und Rassifizierung von Menschen zu stoppen.

Schwarz ist keine Hautfarbe

Der Begriff Schwarz wird oft als Selbstbezeichnung von Menschen afrikanischer und afro-diasporischer Herkunft und People of Color gewählt (PoC). Viele schreiben das „S“ dabei groß, um so eine sozio-politische Positionierung, eine politische Kategorie zu setzen. Schwarz, großgeschrieben, gilt dabei als Symbol geteilter Rassismuserfahrungen, aber auch einer emanzipatorischen Widerständigkeitspraxis. Das Adjektiv weiß wird dagegen immer klein geschrieben, um seinen Charakter als Ideologie statt physischer Tatsache zu markieren.

Die Autorin Emma Dabiri dagegen plädiert dafür, schwarz klein zu schreiben – um nicht in der Denkweise eines „Anders-Seins“ verhaftet zu bleiben, die in der Kolonialzeit bewusst kreiert wurde, um Ausbeutung, Versklavung und Völkermord zu rechtfertigen, und die es langfristig zu überwinden gilt. Da schwarz in diesem Text keine Selbstbezeichnung ist, sondern eine Zuschreibung von der Autorin auf andere, wird schwarz entsprechend klein geschrieben. 

Wichtig ist auch: Nicht nur Schwarze und PoC sind in Deutschland von Rassismus betroffen – auch jüdische, osteuropäische und viele andere Menschen, die von einer konstruierten Norm abweichen, erleben Diskrimierung. 

Ein konkretes Gesetzesvorhaben in den USA war der George Floyd Justice in Policing Act: Eine Polizeireform auf Bundesebene, die etwa das Knien von Polizeibeamten auf dem Hals von Verhafteten verbieten sollte – also genau die Methode, mit der Georg Floyd ermordet wurde. Es sollte zudem die zivilrechtliche Immunität einschränken, die Polizeibeamt*innen in den USA aktuell vor dem Gesetz genießen. Doch im Senat haben die Republikaner die Polizeireform blockiert. Präsident Joe Biden hat daher im Mai 2022, zwei Jahre nach dem Mord an Georg Floyd, lediglich ein Dekret für mehr Rechenschaftspflicht von Polizist*innen erlassen. Nur ein kleiner Schritt. Und eine echte Umverteilung von Geldern, von Investitionen in den Aufbau nachbarschaftlicher Sicherheitsstrukturen anstelle von Polizeiüberwachung, wie Black Lives Matter es mit dem „Breathe“ Act fordert, ist immer noch nicht in Sicht.

Und noch während die politische Auseinandersetzung über Konsequenzen für den Mord an George Floyd anhält, wurde New York City vor kurzem vom nächsten rassistischen Mord erschüttert: Jordan Neely, 30 Jahre alt, schwarz und obdachlos, in Manhattan bekannt für seine Michael-Jackson-Interpretationen, ist in der U-Bahn von einem weißen Ex-Soldaten erwürgt worden. Auch dieses Mal gibt es ein Video. Eine Jury prüft jetzt, ob gegen den Täter Anklage erhoben wird.


Antirassismus: Zum Weiterlesen

Dabiri, Emma: Was weiße Menschen jetzt tun können: Von „Allyship“ zu echter Koalition

Toluse Ulunrunnipa, Robert Samuels: „I can’t breathe“ – George Floyds Leben in einer rassistischen Welt

Vanessa E. Thompson, Daniel Loick (Hg): Abolitionismus

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Autor*innen

Lara Eckstein hat im Journalismus-Studium Interviews mit Überlebenden des Holocausts geführt und ist seitdem glühende Antifaschistin. Bei Campact arbeitet sie als Campaignerin vor allem zu Klimathemen; privat ist sie als stadtpolitische Aktivistin in Berlin im Einsatz. Hier bloggt sie zu Erinnerungspolitik und gegen das Vergessen. Alle Beiträge

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