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Von 5 auf 3

Mehr Demokratie klagt gegen die 5-Prozent-Hürde – das finden viele gut. Meiner Bubble macht das Angst, aber warum eigentlich?

Wahlunterlagen mit Stimmzettel für die Briefwahl zur Wiederholungswahl zum Berliner Abgeordnetenhaus am 12. Februar 2023.
Viele Parteien – doch die wenigsten davon schaffen es über die Fünf-Prozent-Hürde. Foto: IMAGO / Seeliger

Wir alle haben Angst. Der Sprung vom Dreimeterbrett, zu seinen Gefühlen zu stehen, den Job zu kündigen, die Wohnung zu verlieren, in Schulden zu geraten, vor einer Trennung, vor der nächsten Wahl oder der Senkung der Fünf-Prozent-Hürde.

Mit Angst umzugehen ist eine der größten Aufgaben in unserem Leben, für uns als Individuen, aber auch für uns als Gesellschaft. Denn Angst hatte schon immer eine politische Dimension. Zunächst aber ist Angst das Frühwarnsystem unseres Körpers. Angst scannt permanent unsere Lebenssituationen nach potenziellen Gefahren ab, um mögliche psychische wie physische Verletzungen zu vermeiden und uns letztlich vor dem Schlimmsten in jeder Situation zu bewahren.

Anselm Renn ist Pressesprecher und Campaigner bei Mehr Demokratie e.V. und schreibt im Campact-Blog u.a. zum Thema direkte Demokratie. Hier findest Du alle Beiträge von Anselm Renn.

Deswegen kann ich verstehen, dass Menschen unser Vorhaben, gegen die Fünf-Prozent-Hürde zu klagen, nicht die beste Idee finden – gerade in Zeiten, in denen eine immer extremere AfD in allen ostdeutschen Bundesländern die Meinungsumfragen anführt.

Denn auch wenn das erstmal scheinbar nichts miteinander zu tun hat, sind das Erstarken einer rechtsradikalen Partei und die Senkung der Fünf-Prozent-Hürde emotional miteinander verbunden.

Keine „Weimarer Zustände“

Wir alle haben in der Schule gelernt, dass die Weimarer Demokratie, die noch nicht wehrhaft war, den Nazis schlussendlich nichts entgegensetzen konnte. Und eines der vielzitierten Narrative dabei ist, dass die Weimarer Republik unter anderem an ihren vielen Parteien gescheitert ist. Auch wenn die Forschung schon weiter ist, diese These widerlegt und überholt ist: Die Angst wirkt weiter. Wir wollen keine „Weimarer Zustände“. Alles, was unsere wehrhafte Demokratie untergraben will, darf nicht gefördert oder unterstützt werden. Die Fünf-Prozent-Hürde (die übrigens erst zur zweiten Bundestagswahl eingeführt wurde) hat sich im nationalen Gedächtnis den Ruf verschafft, sie gehöre zu dem „Abwehrpaket“ mit dazu. Das stimmt so allerdings nicht.

Es ist die sogenannte Ewigkeitsklausel im Grundgesetz (Artikel 79 Absatz 3), die garantiert, dass die freiheitliche demokratische Grundordnung (Artikel 21) und die von der Menschenwürde ausgehenden Prinzipien (Föderalismus, Sozialstaat, Republik, Demokratie, Volkssouveränität, Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit sowie die Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt) nicht abzuschaffen sind.

Fünf-Prozent-Hürde sorgt für Wahlungleichheit

Was stimmt ist, dass die Fünf-Prozent-Hürde die Zahl der Parteien im Bundestag und in den Landesparlamenten reduziert. Aber eben auf Kosten der Wahlgleichheit.

Demokratien sind auf dem Grundsatz aufgebaut, dass alle Bürgerinnen und Bürger gleichwertig sind. Jede Stimme müsste zählen. Aber demokratischer Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander: 4.003.553 Stimmen wurden bei der letzten Bundestagswahl nicht gewertet, weil sie an der Fünf-Prozent-Hürde hängengeblieben sind. Durch die neuerliche Wahlrechtsreform der Ampel sind auch die Stimmen für die CSU und die Linke in Gefahr. Denn ohne die abgeschaffte Grundmandatsklausel könnten so bis zu 8.000.000 Stimmen nicht gezählt werden. Das wäre ein demokratisches Fiasko.

Davor haben wir, um im Bild zu bleiben, aus Perspektive der Demokratie Angst. Deswegen zieht Mehr Demokratie nach Karlsruhe! Denn wie repräsentativ ist unsere repräsentative Demokratie noch, wenn so viele Stimmen für ungültig erklärt werden? Wir retten unsere Demokratie nicht damit, Wähler*innenstimmen millionenfach auszusortieren. Der Schweizer Nationalrat kommt ganz ohne Hürde aus – zurzeit sind zwölf Parteien im nationalen Parlament vertreten. Es funktioniert. Eine andere Lösung wäre, die FünfProzent-Hürde auf moderatere drei Prozent zu senken. Gerade mit Hinblick auf eine starke AfD wäre durch eine demokratische Partei mehr im Parlament auch eine einfachere demokratische Regierungsbildung möglich. 

Wenn die Zeit reif ist, ist es heilsam, der Angst im sprichwörtlichen Sinne ins Auge zu schauen. Sich ihr Schritt für Schritt anzunähern, um in der Situation schlussendlich realistisch entscheiden zu können, ob man ihr schon gewachsen ist oder eben noch nicht. Bei der Fünf-Prozent-Hürde, da bin ich mir sicher, ist es jetzt Zeit!

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Autor*innen

Anselm Renn ist Kommunikations- und Politikwissenschaftler. Er ist Bundesvorstand von Mehr Demokratie e.V. und setzt sich seit Jahren als Pressesprecher und Campaigner für stärkeren Bürger:inneneinfluss in der Politik auf allen Ebenen ein. Im Campact-Blog schreibt er zu den Themen Direkte Demokratie und Volksentscheide. Alle Beiträge

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