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Ein Hoch auf den Plattenbau

Der Plattenbau: Von vielen abschätzig beäugt, für Tausende ein schönes Zuhause – und Sinnbild der DDR-Architektur. Doch die Platte kann noch viel mehr. Sie könnte die deutsche Wohnungskrise lösen und auch noch helfen, die Klimakrise zu bekämpfen!

Der Plattenbau: Von vielen abschätzig beäugt, für Tausende ein schönes Zuhause – und Sinnbild der DDR-Architektur.
Zwei Rentnerinnen spazieren durch den neu gestalteten Stadtteilpark in der Stuttgarter Allee in Leipzig, Foto: IMAGO / Busse

Eine Sache vorweg: Ich selbst bin nicht in einem Plattenbau aufgewachsen. Aber trotzdem Fan. Ich bin im Altneubau groß geworden. Glaubt man Wikipedia, ist das wohl ein typisches DDR-Wort und bezeichnet drei- bis viergeschossige Wohnblöcke mit Spitzdach, die in Stein-auf-Stein-Bauweise zwischen 1950 und circa 1965 errichtet wurden. Ich würde sagen: Solche Blöcke wie der, in dem ich gelebt habe, die gibt es auch im Westen. Aber ob man sie dort auch Altneubau nennt, weiß ich nicht. 

Das Viertel meiner Kindheit ist zum allergrößten Teil erst zu DDR-Zeiten entstanden und besteht aus einigen Ensembles solcher Altneubauten. Aber auch diverse Plattenbauten gehören dazu. Meine Freunde und ich haben die Plattenbauten immer „Neubau“ genannt. Oder einfach Hochhaus. Mittlerweile hat sich gesamtgesellschaftlich der Begriff „Platte“ durchgesetzt – ist aber meist eher abschätzig gemeint. 

Raus aus dem Altbau, rein in die Platte

Die Platten. Für viele das Sinnbild der ostdeutschen Architektur. Manche können sich kaum vorstellen, dass es auch etwas anderes gab. Und ja, sie stehen in jeder ostdeutschen Stadt. Teilweise sogar auf dem Land in den Dörfern. Häuser, errichtet in serieller Bauweise. Berlin-Marzahn, Leipzig-Grünau, Halle-Neustadt – Synonyme für planmäßig angelegte Großwohnsiedlungen mit Plattenbauten. Komplett neue Viertel, in denen tausende Wohneinheiten die neuen Schulen, Kindergärten und -krippen, Polikliniken, Einkaufsmöglichkeiten, Jugendclubs und Kinos umschlossen.

Die soziale, kulturelle und technische Infrastruktur in diesen Siedlungen war hervorragend – orientiert an den 16 Grundsätzen des Städtebaus der DDR. Geboren aus der Wohnungsnot der DDR, entstanden diese teils riesigen Viertel in den 70ern und 80ern in der gesamten Republik.

Und sie waren wahnsinnig beliebt – so liest es sich jedenfalls in jeder Publikation zum Thema. Wer es endlich geschafft hatte, eine Wohnung im Neubau – also in der Platte – zu bekommen, konnte die kalten, feuchten und abgewohnten Altbauten endlich verlassen. Innenliegender Wasseranschluss, eigenes Badezimmer mit Toilette, Fernwärme statt Kohleofen. Und das Besondere in der Platte: die soziale Durchmischung. Ob Professor*in, Militärangehöriger, Werftarbeiter*in oder Verkäufer*in – sie wohnten Tür an Tür. In Gemeinschaftsräumen wurde gefeiert, gemeinsam diskutiert oder Arbeitseinsätze der Hausgemeinschaft geplant. 

Retter in Wohnungsnot und Klimakrise

Heute haben wir es in Gesamtdeutschland erneut mit einer gravierenden Wohnungsnot zu tun. 700.000 Sozialwohnungen fehlen im ganzen Land, ganze 1,9 Millionen bezahlbare Wohnungen in Großstädten. „Bauen, bauen, bauen“, müsste eigentlich die Devise sein. Doch die Baubranche steckt in einer Krise. Unabhängig davon ist aber auch klar: Der Bau jeder neuen Wohnung emittiert viel CO₂ – gut ein Drittel aller Treibhausgasemissionen eines Gebäudes entsteht vor seiner Nutzung. Deswegen muss die Baubranche nicht nur klimafreundlicher werden und jeder Neubau intensiv abgewogen werden. Jede neue Wohnung muss auch so geplant und gebaut werden, dass sie in den vielen Jahrzehnten, die sie bewohnt wird, möglichst wenig CO₂-Ausstoß generiert. 

Plattenbau als Vorreiter

Hier kann uns die Platte einiges an Inspiration bieten und zum Vorreiter werden. Denn was den schnellen, klimafreundlichen Umbau von Bestandsgebäuden angeht oder die Linderung der Wohnungskrise – dabei könnte der Osten echt punkten. Drei Beispiele:

  1. Serielles Bauen: Häuserteile in der Fabrik vorfertigen und vor Ort zusammensetzen. Geht schnell, spart viel Geld und Energie. Das bringt zügig Wohnraum zu erschwinglichen Preisen an den Start. Das Problem: Serielles Bauen wird jetzt – 33 Jahre nach seinem Abgesang – erst wiederentdeckt. Noch setzen zu wenig Bauunternehmer auf die Platte, doch der Trend geht nach oben. Auch aus Verordnungsperspektive ist es nicht ganz leicht: 16 unterschiedliche Bauverordnungen in den Ländern erschweren den Serienbau von Stuttgart bis nach Sassnitz, Aachen bis Cottbus. Wollen wir hier schnell vorankommen, braucht es Einheitlichkeit – Platte eben.
  1. Serielles Sanieren: Die alten Bauherr*innen zu DDR-Zeiten haben uns etwas Gutes hinterlassen – die Einheitlichkeit. Festgehalten in sogenannten Wohnungsbauserien. Das sind Typisierungen für unterschiedliche „Platten“. Wenn es also viele Häuser einer bestimmten Wohnungsbauserie gibt, dann ist für die Wärmewende natürlich ein großer Vorteil. Was gleich aussieht, gleich aufgebaut ist und gleich funktioniert, kann auch mit geringerem Aufwand im großen Stil energetisch und klimafreundlich saniert werden. Die Stadt Greiz in Thüringen macht es vor: Serielles Sanieren im großen Stil könnte hier möglich sein. 
  1. Fernwärme: Neubauviertel in Ostdeutschland sind in großer Mehrzahl durch Fernwärme versorgt. Im gesamten Osten beziehen 32 Prozent aller Wohnungen Fernwärme, im Westen lediglich 10 Prozent aller Haushalte. Fernwärme ist nicht nur eine echte Klimafreundin, sondern deutlich kostengünstiger als die Einzelversorgung. Nun sind in Ostdeutschland zum Teil ganze Viertel ausschließlich über Fernwärme versorgt. Im Sinne der Wärmewende bieten sich hier eine Umstellung geradezu an. In Schwerin in Mecklenburg-Vorpommern ist dafür ein Leuchtturmprojekt an den Start gegangen: Rund 2.000 Haushalte werden fortan aus einer Kombination von Geothermie und Mega-Wärmepumpen versorgt – natürlich über das Fernwärmenetz. Das ist europaweit einzigartig und könnte Schule machen.

Bundeskanzler Olaf Scholz ist Platten-Fan

Viele mögen die Platte abschätzig beäugen oder nicht schön finden. Aber klar ist: Dank ihr könnte die notwendige Wärmewende deutlich schneller vorangehen – vor allem in Ostdeutschland. Und die Platte liefert Inspiration zur Lösung unseres massiven Wohnungsproblems. Das hat übrigens mittlerweile selbst Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erkannt. Erst kürzlich sprach der Kanzler von „zwanzig neuen Vierteln“ in den wichtigsten Städten Deutschlands, die gebaut werden müssten, um die Wohnungsnot in den Griff zu bekommen. Ich würde sagen: Da gibt es einiges an Erfahrung im Osten.

Zuletzt: Auch in Westdeutschland gibt es Plattenbausiedlungen. Doch dort nennt man sie wohl „Tafelbauten“. Bekannte Großwohnsiedlungen in sogenannter „Großtafelbauweise“ sind Köln-Chorweiler, Bremen-Vahr oder die Berliner Gropiusstadt. Nur gibt es bei der westdeutschen Großtafelbauweise wohl keine allgemeine und einheitliche Typisierung, also keine Wohnungsbauserien, die tausendfach überall verbaut wurden. In jeder Stadt waren unterschiedliche Architekt*innen am Werk. Die Bauweise (Platten) mag gleich sein, die Form aber unterschiedlich von Ort zu Ort. Serielles Sanieren wäre also nicht so einfach möglich, wie bei über 644.000 gebauten Wohneinheiten des WBS70 in ganz Ostdeutschland. 

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Autor*innen

Danny Schmidt ist seit 2019 Campaigner bei Campact. Als Teil des Kampagnen-Teams gegen Rechts setzt er sich vor allem gegen das Erstarken rechter Strukturen, Bewegungen und Parteien ein. Als Nachwendekind aus der ostdeutschen Provinz lässt ihn die Frage der ostdeutschen Identitäten nicht los – für den Campact-Blog schreibt Danny Schmidt für, über und aus Ostdeutschland. Alle Beiträge

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