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Nationalismus nicht den Hof machen: Warum der „Veteranentag“ nicht kommen darf

Einen „Veteranentag“ zu Ehren deutscher Soldaten hat Deutschland bisher nicht – aus guten Gründen. Solche Gedenktage nähren einen Nationalismus, der gefährlich werden kann für die Demokratie.

Soldaten des Wachbataillons stehen Spalier.
Foto: IMAGO / Chris Emil Janßen

Die Ehrung deutscher Soldaten ist historisch eher schwierig. Der Volkstrauertag wurde zu diesem Zweck nach dem Ersten Weltkrieg eingeführt, in dem mehr als zwei Millionen deutsche Soldaten gefallen waren. Deutschland hatte den Weltkrieg angezettelt und verloren. Der „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge“ schlug in der jungen Weimarer Republik einen Gedenktag für die zwei Millionen Toten vor. Doch viele wollten sich mit der Kriegsniederlage nicht abfinden. Bei den Gedenkfeiern kam es schon in den 1920er Jahren immer wieder zu rechtsextremen und republikfeindlichen Äußerungen. Von den Nazis wurde der Volkstrauertag dann zum Tag der Heldenverehrung umfunktioniert und war ein wichtiger Bestandteil der Goebbels-Propaganda.

Neue Idee: Veteranentag

Die DDR schaffte den Volkstrauertag ab und feierte stattdessen einen „Internationalen Gedenktag für die Opfer des faschistischen Terrors und Kampftag gegen Faschismus und imperialistischen Krieg“. In der BRD sowie auch noch im heutigen Deutschland blieb der Volkstrauertag hingegen erhalten: als stiller Feiertag, immer am Sonntag zwei Wochen vor dem ersten Advent. Offiziell gilt er heute allerdings als Trauertag nicht nur für die gefallenen deutschen Soldaten, sondern auch für die Opfer des Nationalsozialismus.

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Als neuen Feiertag will die Bundesregierung nun einen „Veteranentag“ einführen für alle „altgedienten“, d.h. nicht mehr im Dienst befindlichen Soldat*innen. Am 12. November, dem „Geburtstag der Bundeswehr“, soll „mit einer zentralen, aber auch vielen kleineren Veranstaltungen in ganz Deutschland“ gefeiert werden – so der Vorschlag der CDU. SPD-Kanzler Olaf Scholz will der Oppositionspartei rechts von ihm, wie schon bei der Verschärfung von Migrationsrechten, Abschiebungen etc., auch in diesem Punkt entgegenkommen. Und nun hat er die ganze Ampel-Regierung für die Bundeswehr-Party ins Boot geholt. Der Bundestag will den „Veteranentag“ bald beschließen.

Aufwertung der Bundeswehr

Der „Veteranentag“ reiht sich ein in eine systematische Aufwertung der Bundeswehr durch die Regierung Scholz: 2022 das Sondervermögen von 100 Millionen Euro angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine; jetzt soll es dauerhaft mehr Geld für die Truppe geben. „Zeitenwende”, nennt Scholz das, „Mentalitätswechsel“ sagt SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius. Er will Deutschland wieder „kriegstüchtig“ machen. Hier wird nicht nur etwas beschworen, sondern mit neuen Richtlinien und Mitteln ganz konkret herbeigeführt, was lange undekbar schien: eine schlagkräftige deutsche Armee, auf die man stolz sein kann. Die Idee, die dahinter steht, heißt nicht Verteidigung – sondern Nationalismus. 

Offiziell hat die Bundeswehr natürlich andere Aufgaben, ist anders demokratisch kontrollierbar und anderen Werten verpflichtet als Hitlers Wehrmacht. Aber die vielfache öffentliche Kritik an der Wehrmachtsausstellung 1995 hat gezeigt, wie sehr die Deutschen Hitlers Armee immer noch als die ihre betrachten – und wie schwer sie sich dementsprechend mit der Anerkennung deutscher Kriegsverbrechen tun. Auch historisch gibt es Kontinuitäten: Nicht nur in den Geheimdiensten, auch in der Bundeswehr waren es ehemalige Nazi-Kader, die in der BRD die neuen militärischen Strukturen aufbauten.

Wiederbewaffnung im Kalten Krieg

Dass die Bundesrepublik nach dem Ende des Nationalsozialismus überhaupt wieder militärische Strukturen einführte, war hochumstritten. Das Grundgesetz sah keine Wehrpflicht vor – wohl aber das Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Die USA hatten im Kalten Krieg großes Interesse daran, Westdeutschland in die NATO zu holen. In den 1950er Jahren, als die Pläne der Adenauer-Regierung zur Schaffung einer deutschen Bundeswehr vorangingen, gab es große Proteste dagegen. Bei einer Demonstration am 11. Mai 1952 in Essen wurde ein 21-jähriger Demonstrant von einem Polizisten erschossen. 

Der Kalte Krieg, der in Korea zum heißen Konflikt wurde, war letztendlich stärker als die Friedensbewegung. 1955 stellte sich die Bundeswehr der BRD auf und die allgemeine Wehrpflicht für Männer wurde eingeführt. Nach dem Bau der Berliner Mauer 1962 führte auch die DDR die Wehrpflicht ein. Auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs gab es jedoch weiterhin Friedensbewegungen. Gegen die Stationierung von „Pershing II“-Raketen in Süddeutschland gab es in den 80er Jahren millionenstarke Proteste.

Bundeswehreinsätze sind umstritten

Vor einer Wiedervereinigung der beiden deutschen Länder hatte vor allem Frankreich Angst – was mit Blick in die Geschichtsbücher sehr verständlich ist. CDU-Kanzler Helmut Kohl musste seinem Nachbarland versprechen, dass das neue, große Deutschland alles anders machen würde als früher, dass es als Teil eines friedlichen Europas den eigenen Nationalismus in Schach halten würde. Und während die deutsche Einheit im Inneren zu einem gefährlichen Rechtsruck führte, mit erstarkenden Neonazi-Gruppen, rassistischen Terroranschlägen und Verschärfung des Asylrechts, galt doch zumindest in der Außenpolitik lange noch eine gewisse Demut und Zurückhaltung als Lehre aus der Geschichte.

Ausgerechnet die erste Regierung mit Grünen-Beteiligung war es dann, die 1999 den ersten Auslandseinsatz der Bundeswehr anordnete. Die Bombardierung des Kosovo rechtfertige Außenminister Joschka Fischer damals übrigens ebenfalls mit der deutschen Geschichte. Innerhalb der Partei war dieser erste Auslandseinsatz der Bundeswehr extrem umstritten.

Endstation Afghanistan

Der nächste Krieg, in den Deutschland zog, war der von den USA angeführte „Anti-Terror-Einsatz“ in Afghanistan. Besonders die Bombardierung von Zivilist*innen, die Treibstoff aus einem Tanklastwagen in der Nähe von Kundus abfüllen wollten, hat die Bundeswehr in Verruf gebracht. Mindestens 91 unschuldige Menschen starben unter deutschen Kugeln. 2021 zog die Bundeswehr mit ihrem Verbündeten aus Afghanistan ab – und ließ das kriegsgeschundene Land allein. Mittlerweile regieren dort wieder die mörderischen und misogynen Taliban, von denen Afghanistan eigentlich befreit werden sollte. Die Helfer*innen der Bundeswehr wurden zurückgelassen, die allermeisten bekommen nicht einmal Asyl in Deutschland.

Keine Zurückhaltung mehr

Immerhin konnten massive Proteste einer wieder erstarkten Friedensbewegung verhindern, dass sich Deutschland 2003 am Krieg von US-Präsident George W. Bush gegen den Irak beteiligte. Denn obwohl Deutschland die ganze Zeit über einer der weltweit führenden Exporteure von Waffen ist, gab es lange Zeit eine gewisse Skepsis gegenüber dem Einsatz der eigenen Armee. Auch das Zwei-Prozent-Ziel der NATO hat Deutschland lange nicht eingehalten – hat also weniger als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Rüstung auszugeben. Wenn es nach Pistorius und Scholz geht, sind diese Zeiten der Zurückhaltung nun vorbei.

Wenn aus dem #Obstgate Ernst wird

Die BILD-Zeitung untermalt diese Stimmung mit einem #Obstgate-Skandal: Anfang November berichtete die Zeitung, bei der Verpflegung der Bundeswehrsoldaten solle gespart werden. Nicht mehr genug Obst, Gemüse und Fleisch für die Truppe, das löste einen Entsetzensschrei in den Boulevardmedien aus – bis die Meldung sich als falsch herausstellte. Wenn ein ganzes Land in Aufruhr ist, weil Soldaten zu wenig Vitamin C bekommen, dann ist das vielleicht noch lustig. Doch diese Pro-Bundeswehr-Stimmung könnte noch richtig gefährlich werden.

Wenn Pistorius davon spricht, dass die deutsche Armee zum „Rückgrat der europäischen Sicherheit“ werden soll, dann heißt das nichts anderes als: Wir wollen künftig wieder mitmischen bei internationalen Kriegen – und jedes Jahr am 12. November unsere Kameraden (und Kameradinnen) ehren. Ich weiß nicht, wie sich unsere französischen, polnischen und andere Nachbar*innen fühlen. Mir jedenfalls, als Deutsche, macht so eine Art von Deutschland Angst. Ich will nicht in einem kriegslüsternen Land leben, das Soldat*innen feiert und Milliarden für Panzer und Raketen ausgibt statt für Schulen, Schwimmbäder und lebenswerte Städte.

Diskussion um Wehrpflicht

Auch in Bezug auf die Wehrpflicht kommt angesichts des allgemeinen Kriegstaumels wieder Diskussion auf. Die schwarz-gelbe Bundesregierung von Angela Merkel hatte 2010 die allgemeine Wehrpflicht erstmals seit 1955 wieder ausgesetzt. Die FDP hatte die Rückkehr zu einer Berufsarmee – und damit auch die Abschaffung des Zivildienstes – schon lange gefordert. Der ansonsten vor allem für seine Plagiate in Erinnerung gebliebene  Karl-Theodor zu Guttenberg war es, der die Reform als CSU-Verteidigungsminister umsetzte. 

Aus demokratischer Sicht ist es absolut begrüßenswert, dass niemand mehr gegen seinen Willen zum Dienst an der Waffe gezwungen werden kann. Allerdings kämpft die Bundeswehr seither mit Nachwuchsmangel. Deshalb fordert der Bundeswehrverband in diesen Tagen schon die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Kanzler Scholz hat dem eine Absage erteilt – vorerst. Eine andere Möglichkeit, die der Verbandschef der Bundeswehr bereits genannt hat, ist die verstärkte Rekrutierung von Kindern direkt in den Schulen. In Baden-Württemberg ist das derzeit verboten. In vielen anderen Bundesländern zumindest unüblich. Die Bundeswehr würde das gerne ändern. Und damit sind wir wieder bei der moralischen Kernfrage: Wie militärnah, wie „kriegstüchtig“ wollen wir als Land sein?

Nationalismus ist gefährlich

Ich will die Soldat*innen der Bundeswehr nicht alle in einen Topf werfen. Letzten Sommer habe ich mich beim Wandern länger mit einem Feldjäger unterhalten; der wirkte sehr nett. Mir geht es nicht um individuelle Kritik, sondern um die gesamtgesellschaftliche Frage: Wie kann es gelingen, den deutschen Nationalismus, von dem wir wissen, wie gefährlich er ist, in Schach zu halten – und wie viel Militarismus und Bundeswehrverehrung können wir uns dafür leisten?

Das Gefährlichste am Veteranentag ist nicht einmal die zunehmende Militarisierung der Gesellschaft, die damit einhergeht: „Wir feiern unsere tapferen Kämpfer*innen“, Soldat*innen in Uniform fahren kostenlos mit dem ICE usw. Das Gefährlichste ist, dass hinter der Aufwertung der Bundeswehr eine wirklich gefährliche Ideologie steht: derselbe aufflammende deutsche Nationalstolz, der schon viel zu oft Flüchtlingsunterkünfte in Brand gesetzt und migrantische Mitbürger*innen ermordet hat.

 Die Bundeswehr steht, ob sie will oder nicht, für ein bestimmtes Deutschland. Das Deutschland, das stark ist, das gefürchtet wird, das Krieg führt. Jede Feierei der Bundeswehr nährt so einen Nationalstolz, mit dem sich der deutsche Staat aus guten Gründen lange zurückgehalten hat. Was es nicht braucht und nie wieder geben darf, ist eine Heldenverehrung von deutschen Soldat*innen – so viel sollten wir aus der Geschichte gelernt haben!

Wasser auf die Mühlen der AfD

Angesichts des aktuellen politischen Klimas ist deutscher Nationalismus brandgefährlich. Denn es gibt in diesem Land eine Partei, die den Holocaust gerne vergessen machen und Deutschland wieder „über alles“ stellen will. Eine Partei, die in immer mehr Bundesländern in den Umfragen vorne liegt, die also für ihr rechtsextremes und demokratiefeindliches Gedankengut gerade immer mehr Zulauf bekommt. In dieser Situation noch mehr Nationalismus zu nähren – das stärkt vor allem die AfD.

Wissen Scholz, Pistorius und Co. das und nehmen es in Kauf? Oder glauben sie, der AfD das Wasser abgraben zu können, in dem sie selbst Kriegstreiber spielen? Ist nicht ausreichend belegt, dass es die Parteien rechtsaußen stärkt, wenn die in der Mitte ihnen nach dem Mund reden?! Wie weit ist der Weg vom „Wir wollen endlich wieder stolz sein dürfen auf unsere Armee“ bis zum „Ach, so schlimm war die Wehrmacht doch vielleicht gar nicht?!“

Deutschland braucht keinen Veteranentag 

Vor einigen Wochen gab es eine Debatte in den sozialen Medien über Hitlers Vernichtungskommandos. Der Tenor war: „Hatten die SS-Schergen vielleicht ein schlechtes Gewissen bei ihren Massenhinrichtungen? Waren sie also gar nicht so schlimme Schlächter?“. Diese Diskussion, die jeglicher Quellen entbehrt, diese kontrafaktische Relativierung des Holocaust, ist ein trauriges Beispiel dafür, wie schnell die öffentliche Meinung derzeit nach rechtsaußen abrutschen kann. Die SS-Verharmlosung speist sich aus dem gleichen gefährlichen Nationalismus, der auch in der Bundeswehr-Debatte befeuert wird. Natürlich macht ein Veteranentag noch keine Holocaustleugnung. Aber wenn es sie schon gibt, wie im aktuellen Diskurs, wenn es schon Rekord-Umfragewerte für eine geschichtsrevisionistische, rassistische und antisemitische Partei wie die AfD schon gibt, dann sollten wir ganz besonders vorsichtig sein, welche Feiertage wir schaffen. Ein „Veteranentag“ ist jedenfalls eine ganz besonders schlechte Idee.

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Autor*innen

Lara Eckstein hat im Journalismus-Studium Interviews mit Überlebenden des Holocausts geführt und ist seitdem glühende Antifaschistin. Bei Campact arbeitet sie als Campaignerin vor allem zu Klimathemen; privat ist sie als stadtpolitische Aktivistin in Berlin im Einsatz. Hier bloggt sie zu Erinnerungspolitik und gegen das Vergessen. Alle Beiträge

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