20 Jahre Campact
„Dieses Miteinander ist einzigartig“
Die vier Campact-Geschäftsführenden verraten im Interview, wie sie zusammenarbeiten, was sie gerne schon vor 20 Jahren gewusst hätten und was sie tun, wenn die Zeiten mal frustrierend sind.
Ein GF-Quartett, das ist eher ungewöhnlich. Wie kam es dazu und wie arbeitet es sich im Viererpack?
Astrid: Dazu können die anderen mehr sagen als ich – mit der Entscheidung hatte ich ja nicht viel zu tun.
Weil Du 2020 dazu gekommen bist und damit das GF-Team vollständig gemacht hast?
Astrid: Genau! Ich leite die Frage mal an Daphne weiter …
Daphne: Wir hatten uns bis dahin zu dritt die Arbeit aufgeteilt, ganz klar nach unseren Kompetenzen. Felix und Christoph haben Campact mit gegründet und sind tief in die politische Arbeit involviert. Ich kam 2017 und bin vor allem für die Entwicklung von Team und Organisation zuständig. Seitdem ist Campact deutlich gewachsen und wir haben gleichzeitig gemerkt, dass uns etwas ganz Spezielles fehlt: eine Expertin für Kommunikation. Das Thema war aus unserer Sicht so wichtig, dass wir es ganz oben ansiedeln wollten. Wir haben eine vierte Person gebraucht.
Wie seid Ihr auf Astrid gekommen?
Felix: Wir haben uns noch ziemlich gut an ein früheres Gespräch mit Astrid erinnert. Es ging um einen anderen Job und wir wollten sie sehr gerne zu uns holen. Damals hat sie uns leider abgesagt.
Daphne: Beim zweiten Mal hatten wir mehr Glück.
Astrid (lächelt)
Was ist Campact?
Campact ist Deutschlands größte Kampagnen-Organisation, hinter der mehr als 3 Millionen Menschen stehen. Gemeinsam bewegen wir seit rund 20 Jahren Politik und engagieren uns für Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und eine starke Zivilgesellschaft. Zu Campact gehören auch die Petitionsplattform WeAct, auf der Du Deine eigene Petition starten kannst, und die gemeinnützige Demokratie-Stiftung Campact.
Und wie arbeitet es sich zu viert?
Daphne: Jede Person hat grundsätzlich einen klaren Aufgabenbereich, was wirklich hilft. Natürlich arbeiten wir oft auch interdisziplinär, heißt also: Guck doch mal hier; Meinst Du, wir sollten das ausprobieren? Und dann sind wir sehr bemüht, alles, was die gesamte Organisation betrifft, im Konsens abzustimmen.
Astrid: Für mich ist die Art, wie wir vier zusammenarbeiten, einfach grandios. Wir besprechen mitunter Themen, bei denen es auch emotional werden kann, weil ein Punkt uns sehr wichtig ist. Und selbst dann erreichen wir immer einen Konsens. Falls wir mal Schwierigkeiten haben, auf einen Nenner zu kommen, verschieben wir das Thema um eine Woche, sammeln uns, suchen nach neuen Argumenten und gehen noch einmal frisch ran. Das ist so eine unaufgeregte, nüchterne Art bei gleichzeitig totaler Verbundenheit. Wir können uns gegenseitig offen mitteilen, wenn wir in einer schwierigen Phase sind. Oder uns gegenseitig stärken und einfach mal sagen: Du machst einen tollen Job bei diesem Projekt. Ich kriege ja auch im Bekanntenkreis viel beruflich mit. Und dieses Miteinander – ganz ohne Ego – ist einzigartig.
Was gehört dazu, dass das so funktioniert? Zumal Ihr ja auch an unterschiedlichen Orten in Deutschland lebt und arbeitet – trefft Ihr Euch da überhaupt noch?
Daphne: Ja, auf jeden Fall. Wir machen mindestens einmal im Jahr eine Klausur, aber auch sonst sehen wir uns. Zum Beispiel bei Bewerbungsgesprächen, die sind weiterhin in Verden. Wir nutzen auch die Zeit, wo das ganze Team zusammenkommt.
Astrid: Was es mir total leicht macht, mit den Dreien auf diese Weise zusammenzuarbeiten, ist erstmal das Gefühl: Ich komme in ein Team, das mit sich im Reinen war. Und – das soll jetzt nicht blöd klingen – ich bin ja auch zu lauter brillanten Köpfen dazugekommen. Das macht es so leicht, deren Expertise anzuerkennen.
Daphne: Der Respekt ist ein wichtiger Punkt und dazu kommen noch die geteilten Werte. Ich weiß einfach: Christoph, Felix und Astrid, das sind Menschen, die das Richtige wollen. Die unsere Welt dieses entscheidende Stück besser machen möchten und so viel Energie in unsere gemeinsamen Ziele stecken. Gleichzeitig hören sie hin, sehen auch die Bedürfnisse der Einzelnen.
Christoph: Es gab ja noch nie einen echten Streit unter uns. Das ist schon wirklich gut.
An den Punkt zu kommen, an dem Campact jetzt ist, hat 20 Jahre gedauert. Begonnen hat es mit einem ganz kleinen Team und bestimmt auch viel Improvisation. Felix und Christoph, wenn Ihr Euch selbst vor 20 Jahren ein paar Tipps und Hinweise mitgeben könntet – was wäre sie?
Christoph (lacht): Ich hätte gerne gewusst, dass es so stressig wird. Und ich hätte auch gerne gewusst, dass diese Sache so groß wird, dass Campact so einflussreich wird – das hätte ich nie gedacht. Und wahrscheinlich sollte ich noch sagen, dass es trotz des Stresses auch ziemlich harmonisch wird. Andere Organisaitonen haben sich aufgespalten oder es gab Lagerbildung. Campact hat zwar auch einzelne Konflikte gehabt, aber nie eine Zerreißprobe.
Felix: Wenn ich mir jetzt richtig so ein Zeitreise-Szenario vorstelle, dann hätte ich ganz klare Anweisungen für mich.
Welche denn?
Felix: Macht am Anfang mehr Appelle und weniger aufwändige Sachen. Lasst Spielereien sein und wachst lieber erst einmal. Dann wäre die erste Million Campact-Abos bestimmt ein paar Jahre früher gekommen. Das war eine wichtige Marke für die Bewegung. Und dann würde ich mir sicher noch ein paar ganz pragmatische Tipps geben wie: „Mach mit soundso lieber keine Technik-Projekte“.
Christoph: Ja, da liegt wohl einer unser größten Fehler. In der Technik haben wir am Anfang ein paar völlig falsche Entscheidungen getroffen. Zudem waren wir ständig davon beseelt allen zeigen zu müssen, wie politisch einflussreich Online-Campaigning ist und dadurch haben wir zu lange an wenigen Themen festgehalten. Statt zu schauen, dass erst einmal mit viralen Themen der Verteiler wächst und wir dann – mit mehr Menschen im Mailverteiler – auch mehr politisches Gewicht entfalten können. Und man muss zugeben: Auch Social Media haben wir am Anfang ein bisschen verpasst.
Daphne (lacht): Ich merk nur mal kurz an, dass das alles noch vor der Zeit von Astrid und mir war …
Christoph: Zugegeben, das stimmt … schon gut so ein Quartett.
Ihr wisst also aus der Anfangszeit noch gut, wie schwer so eine Anfangsphase in der politischen Arbeit ist. Helft ihr deshalb so häufig anderen Organisationen in dieser Situation – ähnlichen Gruppen aus anderen Ländern oder auch Fridays for Future Deutschland, DetektivKollektiv oder HateAid?
Felix: Es gibt für uns vor allem zwei Gründe, andere zu unterstützen. Das eine ist natürlich die Erfahrung, wie hart es am Anfang ist. Ohne Hilfe von anderen ist es quasi unmöglich, etwas aufzubauen. Auch Campact hatte zum Glück Hilfe. Und es gab Gruppen, von denen wir uns viel erhofft hatten, und dann kam nichts. Zweitens sind wir überzeugt, dass neue Initiativen wichtig sind. Sonst rostet ja der ganze Bewegungssektor ein. Um Gesellschaft zu verändern, braucht es viele unterschiedliche Ansätze.
Christoph: Definitiv, mit Campact allein werden wir nicht die Welt retten.
Was schätzt Ihr für Euch selbst an Eurem Arbeitsort Campact?
Daphne: Das Ego-freie, von dem Astrid sprach, ist mir auch sehr wichtig. Und dann ist es einfach ein Privileg, an einem Ort zu arbeiten, der sich für Dinge einsetzt, die mir im Leben wichtig sind. Dass Gefühl haben zu können: Wenn ich nach 90 Jahren in die Kiste steige, dann hab ich meine Zeit für was Gutes eingesetzt. Und auch intern gilt das – wir haben Absprachen, Ansprüche, Betriebsvereinbarungen, damit Menschen hier gut und gerne arbeiten.
Astrid: Bei uns muss niemand so tun, als ob. Wir sind eine Organisation, in der Schaulaufen überhaupt keinen Platz hat. Was ja auch einfach eine kolossale Energievergeudung bedeuten würde. In anderen Organisationen und Arbeitskontexten geht so viel verloren. Das geht als Voll-Remote-Organisation nur mit einem starken Vertrauensverhältnis und das gibt es bei uns.
Daphne: Ich hätte da auch ein ganz konkretes Beispiel für dieses fehlende Schaulaufen. Vor einiger Zeit hab ich die „Schönheitsarbeit“ eingestellt. Das bedeutet einfach: Ich schminke mich nicht mehr für die Arbeit und weil man vielleicht als kompetenter wahrgenommen wird, wenn man auf bestimmte Weise aussieht. Das brauch ich nicht, das mache ich nur noch privat und wenn ich Lust habe. Hier kann ich das so handhaben, wie ich will, es spart Zeit und ich hab nicht den Eindruck, dass mich irgendwer weniger Ernst nimmt.
Astrid: Schönheitsarbeit – klasse, den Begriff kannte ich noch gar nicht!
Christoph (zeigt sein Jackett): Dabei hab ich mich extra herausgeputzt für Euch! Okay und für einen Termin gleich in Berlin.
Geschäftsführende in Firmen haben oft ein liebstes Produkt, das sie herstellen. Das sind bei Campact wohl eher Appelle, Aktionen, Erfolge, verschiedene Kanäle oder Beiträge. Was ist für Euch ein liebstes „Produkt“ – etwas, das Euch stolz macht?
Astrid: Ich kann da auf jeden Fall einen der bewegendste Momente schildern, den ich mit Campact hatte. Das war, als wir, ganz spontan, die Friedensdemo zum Krieg in der Ukraine auf die Beine gestellt haben. Es kam eine riesige Menge an Menschen – trotz der kurzen Frist. Wir standen auf Höhe der Siegessäule in Berlin, schauten Richtung Brandenburger Tor und begingen eine Schweigeminute. Ich meine es völlig Ernst: Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Das war für mich wirklich eindrucksvoll und ich kriege schon wieder eine Gänsehaut, wenn ich jetzt dran denke.
Daphne: Was mich stolz macht, ist der gesamte Prozess rund um ZuZu [Anm.: Name für den Prozess, eine Remote-Organisation zu werden]. Ich weiß noch, wie wir 2020 die Entscheidung getroffen haben: Es gibt keine Anwesenheitspflicht mehr in Verden, wir machen vollständig “remote” und das wollen wir jetzt mit euch entwickeln. So sind wir bei der Teamklausur auf unsere Kolleg*innen zugegangen. Aus dem Team heraus hat sich die neue Struktur entwickelt – und zwar sehr gut. Ich nehme das noch immer auch nach außen mit als gutes Beispiel, was eine Gruppe gemeinsam schaffen kann, wenn man sie lässt. Denn ich kenne ja auch andere Chef*innen und die kommen tatsächlich oft auf mich zu, mit kleinen Problemen und Schwierigkeiten. Weil sie wissen, dass Campact in vielen Bereichen schon etwas ausgearbeitet hat. Da kann es um Gehaltsstrukturen oder Krankschreibungen oder was anderes gehen. “Ihr habt da doch bestimmt ne Policy”, höre ich oft. Und ja, haben wir. Auch das finde ich bei Campact toll.
Felix: Was mich über die Jahre immer wieder begeistert hat, ist, dass es wirklich diese Flexibilität bei Campact gibt, um Chancen zu nutzen. Nicht nur theoretisch, sondern ganz praktisch. Wir haben ja oft Sachen völlig über den Haufen geworfen, weil politisch und gesellschaftlich plötzlich etwas ganz anderes wichtig wurde: Fukushima oder die Ukraine-Demos, von denen Astrid sprach oder auch jetzt der Protest gegen die AfD. Wir sind in den letzten Jahren deutlich gewachsen und das macht die Flexibilität nicht gerade leichter. Trotzdem ziehen alle Kolleg*innen mit und stehen dahinter. Selbst wenn das auch sehr stressig werden kann. Die gemeinsamen Ziele stehen offenbar bei allen an erster Stelle, das ist für mich etwas ganz besonderes.
Christoph: Mir fallen als erstes diese Gänsehaut-Momente ein. Die letzten Sonntage auf der Bühne in Berlin – zu sehen, wie bis zum Horizont Menschen stehen, die gegen Rechtsextremismus auf die Straße gegangen sind. Es ist dunkel, alle haben ihre Handy-Lampen angeschaltet und wir singen gemeinsam. Zu wissen, dass das passiert, weil wir unseren Newsletter verschickt haben, weil wir zusammen mit Fridays for Future ganz viele Demos angestoßen haben, das finde ich schon extrem bewegend. Und dann gibt es die ganz direkten Gespräche. Wenn ich auf einer Aktion angesprochen werde und mir jemand sagt: „Euer Newsletter hat mich politisiert, der hat mir Möglichkeiten gegeben, aktiv zu werden und jetzt sitz ich in einer gewaltfreien Blockade vor einem Kohlekraftwerk.“ Angefangen hat es oft nur damit, dass jemand von Freund*innen eine Campact-Mail weitergeleitet bekommen hat. Sowas finde ich immer wieder toll, solche einzelnen Geschichten und Biografien.
Zu diesen großartigen Momenten kommen vermutlich auch immer wieder Rückschläge und Frustration. Wie geht ihr damit um?
Daphne: Das ist nicht leicht, gerade weil man ja so verbunden ist mit dem Team und mit den politischen Themen. Ich finde es hilft da durchaus, auch einen Schritt zurück zu machen und zu sagen: Egal wie wichtig mir das ist, es bleibt auch Arbeit. Und dafür zu sorgen, dass man trotzdem ein Wochenende hat und auch mal nicht daran zu denken. Ganz praktisch hilft mir was ganz einfaches – mit Freunden zusammen ins Stadion.
Felix: Meine Einstellung dazu ist, dass man Frust auch mal aushalten muss. Es ist nicht immer alles leicht und das sollte man akzeptieren.
Astrid: Was mir hilft, ist Pragmatismus. Ich bin zwar Optimistin, aber nicht so naiv anzunehmen, dass alles, was wir fordern, sofort passiert. Manchmal ist der Moment halt noch nicht reif. Aber ich glaube daran, dass die Vision, die wir haben, mittelfristig schon umgesetzt wird. Dann kann ich auch Geduld haben, die mich über kleinere Durststrecken trägt. Und solche Momente wie jetzt, mit Protesten gegen die AfD in ganz Deutschland, zeigen mir, dass diese Annahme auch gerechtfertigt ist. Es gibt viele Zeichen der Hoffnung.
Christoph: Für mich ist es ja sehr frustrierend, wenn nicht genügend Menschen hinter uns stehen bei einer bestimmten politischen Forderung. Dann können wir auch nichts erreichen, egal wie sinnvoll ich das gerade finde. Wenn ich an die Schuldenbremse denke – 2009 glaube ich – da haben wir immer wieder darum gerungen und versucht zu verdeutlichen: Das kann noch mal große Probleme mit sich bringen. Aber wir haben keinen Weg gefunden, unsere Aktiven von dem Thema zu überzeugen, also haben wir nichts dazu gemacht.
Daphne: Und jetzt haben wir den Salat …
Christoph: Ja, und jetzt zeigt sich: Unsere Befürchtungen waren schon richtig und die gerade so schmerzlich fehlenden, mutigen Investitionen in ländliche Räume, die Transformation der Industrie, in die öffentliche Infrastruktur sind jetzt auch ein Konjunkturprogramm für die AfD. Aber: Zur nächsten Bundestagswahl werden wir dann zum Thema Schuldenbremse arbeiten können. Dinge ändern sich und manchmal muss man etwas warten – wie Astrid schon sagte.