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Jetzt kommt das Westgeld

Lokale Demokratie- und Bürgerinitiativen aus dem Osten können derzeit an allen Ecken und Enden Geld und Fördermittel beantragen. Soll sich hier mit Westgeld eine lebendige Zivilgesellschaft gekauft werden? Eine Polemik.

Vor einer DDR-Sparkasse in Potsdam in der Heinrich-Rau-Allee stehen Menschen an. Am 1. Juli 1990 trat die Währungsunion zwischen der DDR und der Bundesrepublik in Kraft. Nun konnte das Ostgeld gegen Westgeld ausgetauscht werden.
IMAGO / Eberhard Thonfeld

Die größte Geldschwemme seit der Einführung der D-Mark in der DDR überströmt den Osten. So könnte man jedenfalls meinen. Immer neue Fördertöpfe entstehen. Ihr Ziel: Demokratieprojekte und lokale Initiativen im Osten zu fördern. Doch was ist das viele Geld aus dem Westen wert?

Das Unheil im Osten abwenden

Derzeit habe ich geradezu das Gefühl, dass in den Konferenzräumen der großen Träger und Förderinstitutionen in Berlin eilige Sitzungen einberufen werden: Wie können wir das drohende Unheil im Osten noch abwenden? Wie verhindern wir, dass der Höcke-Nazi Thüringen übernimmt? Und das einzige, was dabei herumkommt: Geld rüberschieben. 

Ist das eine Art moderner Ablasshandel? Etwas, bei dem man sich nach dem Beschluss im Konferenzraum entspannt in den Sessel zurücklehnt, sich gegenseitig auf die Schulter klopft und die Hände schüttelt: „Da haben wir ja was geschafft.“ Gebt den Ossis Geld, dann retten sie uns alle vor der drohenden Gefahr!

Leider falsch gedacht. Denn das, was es braucht, um rechte und rechtsextreme hegemoniale Projekte zurückzudrängen; was es braucht, um eine vitale demokratische Kultur zu entwickeln; was es braucht, um lebenswerte Orte zu schaffen, das lässt sich nicht in ein paar Monaten mit Geld kaufen: eine lebendige Zivilgesellschaft. Da habt Ihr in den letzten 34 Jahren von Euren Sitzungssälen aus einfach zu wenig investiert – oder Euch einfach nicht gekümmert. Und jetzt sollen wir in ein paar Monaten mit ein paar Tausend Euro alles richten? Sorry, aber so wird das nichts. 

Jeder Euro im Osten ist ein guter Euro

Versteht mich nicht falsch: Jeder Euro im Osten ist ein guter Euro. Und jeder Euro, der die Initiativen vor Ort entlastet, ist Gold wert. Denn das heißt, dass die ohnehin wenigen Menschen, die im Verein aktiv sind oder die Bündnisarbeit schultern, sich nicht auch noch um 50 Euro für das nächste Transparent oder 150 Euro für die Technikmiete für die nächste Demo kümmern müssen. Jeder Euro entlastet aktiv hochgradig Engagierte – von Bad Brambach bis zum Kap Arkona. 

Fakt ist aber auch: 

1. Viele Förderprogramme sind mit aufwendigen Anträgen verbunden. Statt stundenlang einen Antrag zu schreiben, auf die Bewilligung zu warten und einen Sachbericht über die Verwendung des Geldes zu schreiben, zahlen es die Leute lieber aus eigener Tasche. 

2. Viele Förderprogramme richten sich ausschließlich an gemeinnützige Vereine.
Wie sieht die Vereinslandschaft im Osten aus und wer macht eigentlich die Demo-, Bündnis- und Politarbeit vor Ort? Der Großteil wird von lokalen Initiativen, Bündnissen, engagierten Rentner*innen, Aktiven aus der Geflüchtetenunterstützung, Freiwilligen aus Kirchen, Antifa-Gruppen und so weiter gestemmt, die weder eine Vereinsstruktur noch Gemeinnützigkeit haben. Das sind die fünf Leute im Ort, die nicht offen rechtsradikal sind und sich in der Kneipe, bei jemandem zu Hause oder in der Kirche treffen. Wenn man diesen Leuten mit Geld unter die Arme greifen will, kann man sein Programm nicht auf gemeinnützige Vereine ausrichten. Und ganz nebenbei: Wer wird wohl als erstes Probleme mit der Gemeinnützigkeit bekommen, sobald die AfD irgendwo das Sagen hat?

3. In vielen Orten fehlt es einfach an Human-Power.
Das Geld ist manchmal weniger das Problem (siehe insbesondere Punkt 1), sondern eher die Frage: Wer soll das alles machen? Wer soll das Arbeitspensum schaffen, Workshops, Veranstaltungen, Feste auf dem Marktplatz, Bürger*innenforen, Podiumsdiskussionen und Demos zu organisieren – und das bitte auch noch regelmäßig und natürlich vor den Wahlen, versteht sich. In Orten, in denen das rechtsextreme Hegemonieprojekt so stark ist, mögen vielleicht noch Leute zum Vortrag kommen – aber mitorganisieren? Auf keinen Fall, da geht ein Klima der Angst durch die Initiativen. Und mal ganz nebenbei: Wir Ossis müssen auch ein bisschen mehr arbeiten, um überhaupt halbwegs über die Runden zu kommen (Thema Lohngleichheit Ost-West). Wer soll da nebenbei noch Politik machen? Aber das ist ein anderes Thema.

4. Eine Gefahr droht ja noch: Was passiert denn, wenn das Geld nicht vollständig abgerufen wird, weil es gerade zu viel davon gibt oder weil die Hürden einfach zu hoch sind? Wie läuft die Auswertung im Konferenzraum in Berlin – „Na gut, Geld nicht abgerufen, dann war’s nicht notwendig, wir stellen das Programm wieder ein?“ Oder wie ist der Plan? Schnell mit Geld um die Ecke kommen und sich dann wieder aus der Misere ziehen – das wäre wie in den letzten 34 Jahren. Kam bisher nicht so gut an.

Ein paar Ideen

Eine Auswahl an Förderprogrammen findet sich hier:

„Unkonventionelle“, also niedrigschwellig Unterstützung bekommt ihr unter anderem bei:

Ich frage mich: Ist es nicht viel sinnvoller, wirklich mit den Initiativen, den Bündnissen, den Akteuren vor Ort zu sprechen – was brauchen sie gerade? Was ist der Bedarf? Wie können fehlende personelle Ressourcen ausgeglichen werden? Und wie kann das überhaupt nachhaltig funktionieren? Können Geldgeber*innen nicht vielleicht eher mit inhaltlicher Arbeit unterstützen, Strukturen (mit)aufbauen oder ihre Personalkapazitäten vor Ort erhöhen? Knapp 1.700 von 24.000 Stiftungen haben ihren Sitz im Osten – das sind 7 Prozent. Null, ich wiederhole NULL, DAX-Unternehmen haben ihren Sitz in Ostdeutschland. Laut Ostbeauftragten Carsten Schneider ist das ein Problem, denn gerade die größeren Unternehmen sind im Westen gute Finanziers von Zivilgesellschaft und Kultur. 

Ein paar Ideen: Wenn ihr kurzfristig was reißen wollt, bezahlt doch lieber eine Armada von Organizer*innen, die von Tür zu Tür laufen und vor den Wahlen noch schwankende Wähler*innen überzeugen. Bezahlt doch lieber massive Online-Marketing-Kampagnen, um virtuelle Wahlplakate bis ins letzte Dorf zu verbreiten. Wenn es nachhaltig sein soll, gebt nicht nur Geld, sondern auch Input, Bildung und Kontakte weiter. Siedelt Eure Büros, Stiftungen und Unternehmen hier an. Seid einfach hier und bringt Euch ein. Und vergesst bitte nicht: Ob ihr nun kurzfristig Geld gebt oder nicht, es geht um viel mehr. Nämlich um tragfähige, nachhaltige, zivilgesellschaftliche Strukturen – die lassen sich eben nicht von heute auf morgen aus dem Boden stampfen. 

Ja, alles ein bisschen überspitzt. Deshalb ist es ja auch polemisch. Und vielleicht ist das auch gut so, weil es zum Meinungsaustausch und zur Diskussion anregt. Ich bin mir sicher, dass ich für diesen Text einige verwirrte Blicke oder wütende Nachrichten ernten werde – und das nicht nur aus dem Westen. Denn natürlich weiß ich auch, dass Ost-Initiativen Kohle brauchen. Und es gibt ja das Sprichwort: „Haben ist besser als brauchen.“ Deshalb: Nehmt, was ihr kriegen könnt, und gebt es für gute Dinge aus. Mein Wunsch: Die Fördermittelgeber sollten mehr darüber nachdenken, wie sie Strukturen nachhaltig stärken können.

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Autor*innen

Danny Schmidt ist seit 2019 Campaigner bei Campact. Als Teil des Kampagnen-Teams gegen Rechts setzt er sich vor allem gegen das Erstarken rechter Strukturen, Bewegungen und Parteien ein. Als Nachwendekind aus der ostdeutschen Provinz lässt ihn die Frage der ostdeutschen Identitäten nicht los – für den Campact-Blog schreibt Danny Schmidt für, über und aus Ostdeutschland. Alle Beiträge

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