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Energiewende auf Agrarland: Das Dilemma von Photovoltaik auf Agrarflächen

Das Solarpaket 1 ist vom Bundestag verabschiedet worden. Für die Landwirtschaft hätte es schlimmer kommen können. Landwirtschaftliche Böden werden sich durch die Energiewende trotzdem noch stärker als bisher in den Händen von Konzernen konzentrieren.

Eine Photovoltaikanlage auf einem Roggenacker
Welche Auswirkungen haben PV-Anlagen auf die Landwirtschaft?, Foto: IMAGO / Harry Koerber

Photovoltaikanlagen stehen im Zentrum der Hoffnungen für eine beschleunigte Energiewende. Dass die angesichts des Klimawandels dringend notwendig ist, ist klar. Vergangene Woche wurde deshalb das Solarpaket 1 im Bundestag verabschiedet. Was bedeutet das für Landwirtschaft und Ernährungssicherheit? Wurden in dem Gesetzespaket grundlegende Fragen behandelt, die beantwortet werden müssen, wenn nach der Biogasförderung zum zweiten Mal landwirtschaftliche Flächen für die Energieerzeugung in Anspruch genommen werden?

Der stille Ausverkauf deutscher Agrarflächen

Dazu ein kurzer Exkurs zum Thema Boden: Boden ist neben Wasser und Saatgut DIE Grundressource für die Landwirtschaft. Heute haben wir aber die Situation, dass die Bodenpreise so hoch sind, dass der Kauf von Boden mit landwirtschaftlicher Produktion in den meisten Fällen nicht innerhalb eines Arbeitsleben refinanziert werden kann. Landwirt:innen können sich Boden auch deshalb nicht mehr leisten, weil sie die Preise für ihre Arbeit nicht selbst gestalten können und nicht ausreichend Geld für ihre Produkte erhalten. In fast allen anderen Branchen wird mehr verdient, so dass Nicht-Landwirt:innen und Unternehmen die Preise für Boden viel leichter aufbringen können. Die Folge ist, dass Boden immer mehr von großen Unternehmensgruppen aufgekauft wird. Diese kaufen nicht einzelne Flächen, denn dafür gibt es gesetzliche Hürden. Sie kaufen ganze landwirtschaftliche Betriebe in Form von Share Deals. Das ist nicht anzeigepflichtig und deshalb weiß niemand, welche Flächen in Deutschland wem gehören.

Der Bau von PV-Anlagen als Gefahr für Landwirt:innen

Nun sollen auf landwirtschaftlichen Böden Photovoltaikanlagen (PV-Anlagen) errichtet werden. Die Gewinne aus dieser Energieerzeugung werden von den Investoren als Rendite auf das Bodeneigentum gelesen. Dies macht den Erwerb von Flächen mittels Share Deals noch attraktiver. Exemplarisch wurde dies beim Kauf der Röderland GmbH durch die Quarterback Immobilien AG deutlich. Bei diesem Kauf wurde ein mitbietender Landwirt durch den Investor um zwei Millionen Euro überboten. Der Landwirt ging damit an die Presse. Als Grund für den Kauf gab Quarterback an, dass viele Flächen des Agrarbetriebs an Autobahnen und Bahntrassen liegen und sich aufgrund ihrer baurechtlichen Privilegierung gut für PV-Anlagen eignen.

Das verstärkte Interesse von Investoren bedeutet, dass die Bodenpreise weiter steigen werden. Aber auch die Konkurrenz um Pachtflächen wird zunehmen. Landwirt:innen konkurrieren mit PV-Anlagen, die eine jährliche Pacht von 3.000 bis 6.000 Euro pro Hektar in Aussicht stellen – das Zehnfache einer Landwirtschaftspacht. Der Bau von PV-Anlagen auf Landwirtschaftsflächen gefährdet damit Landwirt:innen dreifach:

  • durch steigende Pacht- und Kaufpreise für Boden
  • durch Flächenentzug für Photovoltaik
  • und durch noch mehr Konkurrenz mit Investoren und von Investoren gekauften Betrieben.

Energiewende macht Bodeneigentum noch attraktiver

Einzelne Punkte des Solarpakets zeigen, dass die Politik erkannt hat, dass der Bau von PV auf landwirtschaftlichen Flächen Risiken birgt und reguliert werden muss. Die Fördersätze für Agri-PV wurden erhöht, auch senkrechte bifaziale Module sollen zukünftig als Agri-PV gelten. Photovoltaik auf Gewerbedächern soll stärker gefördert werden, mindestens 50 Prozent des jährlichen Ausschreibungsvolumens im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) sollen für Dachanlagen verwendet werden und der Zubau von Freiflächen-PV-Anlagen soll erstmals überhaupt gedeckelt werden. All diese Maßnahmen zielen letztlich darauf ab, den sogenannten Zielkonflikt zwischen Energiewende und Landwirtschaft zu entschärfen.

Tatsächlich liegt die eigentliche Gefahr aber nicht im Verlust von 160.000 Hektar Landwirtschaftsfläche an die Energiewende, wie es das 1-Prozent-Ziel der Bundesregierung vorsieht. Sondern darin, dass die Energiewende die Attraktivität von Bodeneigentum um ein Vielfaches steigert und so eine Konzentration des Eigentums an fruchtbaren Böden nach sich zieht, die nur schwer rückgängig zu machen ist.

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Braucht es überhaupt PV-Anlagen auf Agrarflächen?

Dabei gibt es bereits erste Anzeichen dafür, was uns droht, wenn sich Boden und Energieinfrastruktur in den Händen weniger profitorientierter Konzerne konzentrieren: Die Lindhorst-Gruppe besitzt in Brandenburg über 22.000 Hektar Ackerland und weitere Flächen. Um dort eine 200 Hektar große PV-Anlage zu bauen, wollte sie 350 Hektar Mischwald auf einer Konversionsfläche roden. Das hat mit Minderung der Auswirkungen des Klimawandels nichts mehr zu tun und löste in der Bevölkerung große Empörung aus. Mit viel ehrenamtlichem Einsatz konnte das Vorhaben in diesem Jahr von einer Bürgerinitiative verhindert werden.

Eine Studie des Freiburger Öko-Instituts aus diesem Jahr kommt zu dem Schluss, dass die Energiewende auch ganz ohne Agrarflächen umsetzbar ist. Auf landwirtschaftlichen Böden geht es nur schneller und billiger. Doch solange die Bundesländer den Bodenmarkt und die Landwirt:innen nicht vor dem Ausverkauf an Investoren schützen, beschleunigt die Aussicht auf Gewinne durch PV-Anlagen auf Agrarböden die Eigentumskonzentration von Agrarflächen in den Händen von Konzernen. Schon heute geben jeden Tag sieben Landwirtschaftsbetriebe auf. Lohnt sich das angesichts der dringend benötigten Resilienz unseres Ernährungssystems in Zeiten des Klimawandels? Ist es das wert?

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Autor*innen

Anne Neuber setzt sich dafür ein, dass Menschen in der Landwirtschaft mit Freude und Zukunftsperspektive ihre Arbeit machen können. Derzeit leider eher Utopie als Realität. Sie hat Kulturwissenschaften studiert, eine landwirtschaftliche Ausbildung gemacht, schneidet hochstämmige Obstbäume und engagiert sich in der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) für eine zukunftsfähige Agrarpolitik. Sie sieht sich als Brückenbauerin zwischen Stadt und Land, Konvis und Ökos, Linken und Konservativen, Ostdeutschland und Berlin. Denn Spaltung bewirkt, dass immer die gewinnen, die wirklich nicht gewinnen sollten. Alle Beiträge

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