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L’amour toujours, Atemlos, Neue Deutsche Welle: 5 Fälle, in denen Rechte Popsongs für sich nutzten

"L’amour toujours" ist nicht das erste Lied, welches Rechte für sich vereinnahmt haben – aber aktuell wohl das Bekannteste. Andere Beispiele aus den letzten Jahrzehnten, in denen bekannte Songs einen neuen Text bekommen haben, oder auch im Original von Rechten verwendet wurden.

Das Foto zeigt die Sängerin Helene Fischer auf einer Bühne. Der Hintergrund hinter ihr ist dunkel gehalten. Sie trägt einen blauen Rock und ein glitzerndes Top. Sie streckt die Arme in Richtung des Publikums aus und lächelt.
Auch Schlager-Star Helene Fischer musste sich schon gegen die ungewollte Nutzung einer ihrer Songs wehren. Foto: IMAGO / osnapix

Spätestens seit letzter Woche ist der Eurodance-Hit „L’amour toujours“ von Gigi D’Agostino wieder ein viel diskutierter Song. Die bereits 2001 veröffentlichte Pop-Hymne macht gerade eher unrühmliche Schlagzeilen. Zunehmend nutzen rechte und deutschtümelnde Gruppierungen und Einzelpersonen das Lied als Grundlage für rassistische Parolen. „Ausländer raus, Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ wird dann auf den eigentlich textlosen Refrain gesungen. Ein erster Fall wurde im vergangenen Oktober auf einem Dorffest in Mecklenburg-Vorpommern bekannt, ein weiterer im November im hessischen Kalbach (Fulda) sowie im Februar an einer hessischen Hochschule für Beamte und auf einer Karnevalsfeier der AfD. Insgesamt sind es seit Oktober mindestens 30 Vorfälle, bei denen rassistische Parolen zu dem Song „L’amour toujours“ gesungen wurden.

Der bekannteste Vorfall – und die vorläufige Spitze dieses rechten Eisbergs – ereignete sich am Pfingstwochenende. Da sangen Gäste einer Bar auf Sylt den nationalistischen Text zum Lied „L’amour toujours“. Das Video verbreitete sich schnell und löste national und international eine große Diskussion aus. Genau diese Diskussion sorgt nun dafür, dass das Lied in der rechten Szene wie zum Trotz weiter gefeiert wird. Unter Videos, die das Lied als Hintergrundmusik nutzen, finden sich zahlreiche Kommentare mit rechten Codes und Chiffren. Dabei ist die Idee nicht neu: Immer wieder versuchen rechtsextreme oder rechte Akteure, Popmusik für sich zu vereinnahmen. Fünf Beispiele für eigentlich harmlose Songs wie „L’amour toujours“, die von Rechtsextremen für ihre Zwecke missbraucht werden.

1. „Denkmal“ von Wir sind Helden

Einer der ersten bekannt gewordenen Vorfälle ereignete sich 2004 in Berlin. Dort nutzten Neonazis einen Song der deutschen Popgruppe „Wir sind Helden“, um gegen das Holocaust-Mahnmal zu hetzen. Das Lied ihrer Wahl: „Denkmal“. „Sie haben uns ein Denkmal gebaut“ und „Holt den Vorschlaghammer“ sind die Liedzeilen, die die Rechtsextremen aus dem Kontext rissen und für sich vereinnahmten. Die Band distanzierte sich damals direkt von dem Vorfall. Die politischen Sympathien der Band, die seit 2012 nicht mehr aktiv ist, liegen eindeutig im linken politischen Spektrum.

Zehn Jahre später wehrte sich „Wir sind Helden“ auch juristisch gegen die unsachgemäße Verwendung einer ihrer anderen Songs. Sie erwirkte vor dem Landgericht Erfurt eine einstweilige Verfügung gegen die Verwendung eines ihrer Lieder bei Wahlkampfveranstaltungen der NPD in Thüringen – und hatte damit Erfolg. Die NPD spielte auf ihrer „Thüringen-Tour“ das Lied „Gekommen, um zu bleiben“, dessen sloganhafter Titel häufig in der politischen Berichterstattung verwendet wurde. Das Landgericht drohte für den Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld an, außerdem musste die NPD die Kosten des Verfahrens tragen.

2. „Neue Deutsche Welle“ von Fler

Immer wieder nutzen Parteien gerne ungefragt deutsche Rapper, um für sich zu werben, schließlich haben sie meist ein junges Publikum. Sei es mit Interviewausschnitten, Plakaten mit Wortspielen oder einfach, indem man sich Zitate aneignet. So geschehen bei der AfD Wuppertal im Mai vergangenen Jahres. Für ihren „Stolzmonat“ bediente sie sich am Track „Neue Deutsche Welle“ des Rappers „Fler“. Genauer gesagt, an der Zeile „Schwarz, Rot, Gold – Hart und stolz“. Dazu startete sie eine Social-Media-Kampagne, in der das Lied immer wieder, zum Teil abgewandelt, zitiert wurde. Rapper Fler kündigte daraufhin rechtliche Schritte gegen die Partei an und distanzierte sich von der Nutzung seines Liedes.

3. Neue Deutsche Welle als komplettes Musikgenre

Aber nicht nur der einzelne Song „Neue Deutsche Welle“ wurde von Rechten missbraucht, sondern das gesamte Musikgenre gleichen Namens (kurz: NDW). Gleich zwei Bands machten daraus ein Geschäft. Als erste etablierte sich das anonyme, neonazistisches Musikprojekt „Zillertaler Türkenjäger“ mit dem Konzept. Im Mai 1997 sorgte es mit der CD „12 doitsche Stimmungshits“ für Aufsehen. Das Cover der CD war mit Fotomontagen gestaltet, auf denen unter anderem der damalige VIVA-Moderator Mola Adebisi, Farin Urlaub von der Band Die Ärzte und Campino von der Band Die Toten Hosen nicht gut wegkamen.

Auf der CD wurden Coverversionen bekannter deutscher Lieder, wie „Da Da Da“, „Kreuzberger Nächte“ oder „Sonderzug nach Pankow“ mit antisemitischen und ausländerfeindlichen Aussagen betextet. Das Album wurde wegen Volksverhetzung bundesweit verboten und beschlagnahmt. Die neuen Texte zu den bekannten Liedern kursierten natürlich trotzdem weiter in den entsprechenden Kreisen, so auch jetzt mit dem Hit „L’amour toujours“.

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In der Tradition dieses ersten Albums veröffentlichte 2009 eine „neue“ Band mit dem Namen „Die lustigen Zillertaler“ den Tonträger „Wir lassen uns das Singen nicht verbieten“. Darauf sind die Lieder „Schrei nach Liebe“, „Alles nur geklaut“, „Über den Wolken“, „Ein Stern“, „Hier kommt Alex“ und „’54, ’74, ’90, 2006“ mit anderen Texten versehen. Wie bei der ersten CD sind die Sänger nicht bekannt. Das Album wurde im August 2011 indiziert.

Eine weitere Gruppierung, die in diesem Stil agiert, ist „Gigi & Die Braunen Stadtmusikanten“ von Musiker Daniel Giese. Während die Band auch eigenen Rechtsrock spielt, gehören ebenso Coversongs von Schlagern und NDW-Songs zu ihrem Repertoire. Sie „werden mit Texten u.a. über Aussteiger, Israel, Panzer, Kinderschänder und Staatsschutz versehen und transportieren jetzt extremistische Inhalte“, heißt es über Gieses Musik im niedersächsischen Verfassungsschutzbericht 2008.

4. „Atemlos“ von Helene Fischer

Nicht nur „Wir sind Helden“, sondern auch die Schlagersängerin Helene Fischer ging gegen die Nutzung eines ihrer Songs im NPD-Wahlkampf vor. Bei Wahlkampfveranstaltungen in Thüringen spielte die Partei Fischers Hit „Atemlos (durch die Nacht)“. Die Künstlerin erwirkte zunächst eine einstweilige Verfügung; die wurde jedoch auf Antrag der NPD aufgehoben. Dagegen ging Fischers Anwalt vor dem thüringischen Oberlandesgericht in Berufung. Er argumentierte: Die NPD missbrauche Fischer als Person des öffentlichen Lebens, indem sie den Hit für Wahlkampfzwecke verwende. Dies müsse die Sängerin nicht hinnehmen, da sie die Gesinnung und Einstellung der NPD in keiner Weise teile. Das Gericht gab Helene Fischer Recht. Es hielt es nicht für ausgeschlossen, dass der Ruf Fischers beschädigt werden könne, etwa wenn ein Durchschnittsbeobachter die Frage stelle, was sie mit der NPD zu tun habe.

Im Jahr 2017 wehrte sich der Deutschpop-Sänger Max Giesinger in einem ähnlichen Fall gegen die AfD. Die Partei habe den Song „80 Millionen“ ohne seine Erlaubnis zum Auftakt einer Wahlveranstaltung in Pforzheim gespielt. Die Nutzung des Songs sei mit ihm nicht abgesprochen gewesen. „Es verärgert mich extrem, dass eine Partei, deren politische Einstellung ich in keinster Weise teile, meine Musik für ihren Wahlkampf instrumentalisiert und ohne mein Wissen benutzt“, sagte Giesinger den Medien

5. „Wir sind wir“ von Paul van Dyk

Illustration, die ein Clipboard mit einem Blatt Papier darauf und einem Stift daneben zeigt. Auf dem Blatt steht: "Argumente gegen die AfD: rechtsextrem, rassistisch, Desinformation, gegen Pressefreiheit, Gewalt, Frauenbild der 50er"
Quelle: Campact

Warum die AfD keine gute Alternative für Deutschland ist und wie Du das im Gespräch sicher vermitteln kannst, liest Du in diesem Beitrag.

Bevor „L’amour toujours“ von Rechten vereinnahmt wurde, passierte dies 2016 bereits mit einem deutschen Synthie-Pop-Song: „Wir sind wir“ oder auch „Wir sind wir (Ein Deutschlandlied)“ von DJ Paul van Dyk und Sänger Peter Heppner. Björn Höcke hatte das Lied immer wieder als Auftrittsmusik bei seinen monatlichen Kundgebungen auf dem Domplatz in Erfurt einspielen lassen. Zuletzt wurde es Mitte Januar 2016 gespielt – Ende Januar des gleichen Jahres ließ van Dyk der Partei über seinen Anwalt eine Unterlassungsaufforderung zukommen.


Rechte Musik ist in der internationalen und nationalen Musikszene absolut nichts Neues. Seit Jahrzehnten gibt es Bands, die immer wieder mit explizit rechten Liedtexten auf sich aufmerksam machen; deren Songs und Alben verboten werden und nur über Kontakte erhältlich sind. Früher verteilten Szene-Insider die Musik deshalb vor den Schulhöfen in ganz Deutschland; die sogenannten „Schulhof-CDs“ wurden schnell verboten. Musikstreaming spielt diesen Musiker*innen in die Karten, da sich viele Plattformen wie Apple Music oder Spotify nicht an den gewaltverherrlichenden, rassistischen und offen rechten Liedern stören.

Anfangs waren vor allem Rechtsrock und rechte Metal-Bands populär. Mittlerweile orientieren sich rechte Musiker*innen immer mehr an den populärsten Musikgenres: Rap und Hip-Hop. Nazi-Rap ist zum neuen Sound der Szene geworden. Queerfeindlichkeit, Sexismus, Gewalt, Antisemitismus und diverse Verschwörungstheorien finden hier einen neuen, meist sehr jugendlichen Nährboden.

Mehr Infos zur rechtsextremen Musikszene und Aufklärungsmaterial findest Du unter anderem bei der Bundeszentrale für politische Bildung.

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