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Unterwegs im progressiven Amerika

Politik in den USA – sind das nur Trump, die Waffenlobby und Abtreibungsgegner*innen? In dieser Kolumne wollen wir eine virtuelle Reise unternehmen, die die Vielfalt progressiver Stimmen in Amerika zeigt und die Themen, um die es ihnen geht.

Eine gelbe Linie ist mittig auf einer Straße, die bis in den Horizont reicht.
Foto: IMAGO / Pond5 Images

Was kann man über Amerika sagen?
Wir versuchten uns an Verallgemeinerungen. 
Dutzende Male am Tag riefen wir:
„Die Amerikaner sind naiv wie Kinder!“
„Die Amerikaner sind hervorragende Arbeiter!“
„Die Amerikaner sind scheinheilig!“
„Die Amerikaner sind eine große Nation!“
„Die Amerikaner sind geizig!“
„Die Amerikaner sind viel zu großzügig!“
„Die Amerikaner sind radikal!“
„Die Amerikaner sind hoffnungslos dumm und konservativ!“
„In Amerika gibt es nie eine Revolution!“
„Die Revolution in Amerika bricht in einigen Tagen aus!“

Wir wussten: Nur nichts übereilen. Keine vorschnellen Schlüsse. Erst einmal soviel wie möglich sehen.

Ilja Ilf, Jewgeni Petrow: Das eingeschossige Amerika, 1937

Kein Land löst widersprüchlichere Gefühle aus als die USA. Das galt vor fast 100 Jahren, als die beiden sowjetischen Schriftsteller Ilf und Petrow die Vereinigten Staaten bereisten, ebenso wie heute. 

Besonders in Deutschland gibt es eine ambivalente Haltung gegenüber Amerika. Da ist der Traum von der großen Freiheit einerseits – „Born in the USA“ von Bruce Springsteen als Dauerbrenner, ein Roadtrip über die Route 66 als ultimativer Urlaub – und andererseits das Kopfschütteln über die amerikanische Politik, über Donald Trump und seine Anhänger*innen, die laxen Waffengesetze und amerikanische Militäreinsätze. 

Katharina Draheim ist ist Redakteurin bei Campact. Im Blog wird sie vor allem über Politik und Gesellschaft in den USA schreiben.

Progressives Amerika

Doch die USA sind viel mehr als das. In dem politisch tief gespaltenen Land gibt es nicht nur Trump-Fans, Waffen-Besitzer*innen und die religiösen Fanatiker*innen. Sondern auch Aktivist*innen, die sich für die Rechte von Migrant*innen starkmachen, hartnäckige Gewerkschafter*innen und Initiativen für das Recht auf Abtreibung. 

Aus diesem Grund startet im Campact-Blog nun diese USA-Kolumne, in der wir es halten wollen wie Ilf und Petrow: keine vorschnellen Schlüsse. Gemeinsam wollen wir so viel wie möglich sehen von der Nation, die hierzulande ebenso viele Erwartungen wie Enttäuschungen weckt – und tiefer in die Debatten einsteigen, die das progressive Amerika bewegen. 

Beginnen wir mit einer Bestandsaufnahme: mit drei kurzen Schlaglichtern auf die amerikanische Gesellschaft und einige wichtige Zahlen. 

Das Ende der weißen Mehrheitsgesellschaft

Der Census – die alle zehn Jahre stattfindende Volkszählung – erfasst unter anderem auch das Kriterium „race and ethnicity“. Ob jemand Latino, schwarz, weiß oder Asian-American ist, bestimmt wesentlich, welchen Chancen oder Gefahren er oder sie ausgesetzt ist, welcher Community er oder sie sich zugehörig fühlt und oft auch, wie er oder sie wählt. 

Hier steht den USA ein grundlegender Wandel bevor: Die Weißen werden voraussichtlich ab 2045 nicht mehr die Mehrheit der Bevölkerung ausmachen. Hispanics und Latinos sind mit 62,5 Millionen derzeit die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe der insgesamt etwas über 333 Millionen Amerikaner*innen – 1980 waren es mit 14,8 Millionen noch deutlich weniger. Auf sie folgt die Gruppe der schwarzen Amerikaner*innen mit 47,9 Millionen, auch ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung nimmt weiter zu. Diese Umbrüche verändern die politische Landschaft.

Arm durch Arbeit

Die Arbeitslosenquote ist mit 3,9 Prozent zwar vergleichsweise niedrig (in Deutschland beträgt sie derzeit 6 Prozent), aber das sagt noch nicht viel aus über den Wohlstand der US-Amerikaner*innen. 8,4 Millionen von ihnen haben zwei oder mehr Jobs, um über die Runden zu kommen. Über ein Zehntel, 37 Millionen Menschen, lebt in Armut. Die größten privaten Arbeitgeber der USA sind schon lange nicht mehr Autohersteller und Stahlindustrie, sondern Walmart und Amazon. Die dortigen Beschäftigungsverhältnisse sind oft prekär. Der „American Dream“, der noch nie für alle aufgegangen ist, scheint ferner als je zuvor.

Family values

Vor zwei Jahren kippte der oberste Gerichtshof der USA die Entscheidung „Roe v. Wade“ von 1973, die Abtreibung zu einem konstitutionell verbrieften Recht gemacht hatte. Nun können die fünfzig Bundesstaaten selbst entscheiden, ob Schwangerschaftsabbrüche vor Ort erlaubt sind – mit drastischen Konsequenzen für die Betroffenen. Die Frage ist vehement umstritten und auch im aktuellen Wahlkampf ein wichtiges Thema. 

Das gilt auch für Fragen sexueller Identität und Gleichstellung: So finden vier von zehn Amerikaner*innen, dass die gesellschaftliche Sicht auf Geschlechteridentitäten sich zu schnell ändert. Die Debatte um die Rechte für trans Personen führte auch innerhalb der Redaktion der New York Times zu einem Streit; sie wühlt Amerika auf. Denn hier geht es um lang gehegte moralische Grundsätze und in letzter Konsequenz auch darum, was eigentlich die amerikanische Familie ausmacht und wie viel Vielfalt möglich sein soll. 

Diese drei Themen bilden bei weitem nicht alles ab, worüber in den USA derzeit gestritten wird – Klimaschutz und die eskalierende Debatte zum Krieg in Gaza zum Beispiel. Aber sie erlauben uns einen Einstieg in die Entdeckungsreise durch dieses riesige Land, das so schwer zu fassen ist. Auf geht’s. In der nächsten Kolumne werfen wir einen Blick auf die Rolle der Latinx-Community in der progressiven Politik.

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Autor*innen

Katharina Draheim ist Redakteurin bei Campact. Nach ihrem Studium in Berlin und New Orleans war sie lange für die Atlantik-Brücke tätig. Das Land auf der anderen Seite des Ozeans beschäftigt sie noch immer: Im Blog schreibt sie über die USA. Alle Beiträge

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