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Wie wir unsere Demokratie zusammenhalten

Wie halten wir unsere Demokratie am Leben, in einer Zeit, in der wir uns als Individuen in einer Gesellschaft immer mehr unterscheiden? Neue Formen des Diskurses müssen her. Das Dialogformat "Sprechen & Zuhören" testet genau solche aus.

Personen sitzen nebeneinander in einer Kunstgalerie auf bänken. In der Mitte des Bildes sitzt eine Frau, sie spricht zu allen anderen Personen. Diese hören ihr zu.
Foto: Antenna / Unsplash

Einen Tag nach der Europawahl unterhalte ich mich nach dem Einkaufen noch kurz mit dem Verkäufer; er dürfte so in seinen 20ern sein. Das Gespräch sollte mich den ganzen Tag nicht mehr loslassen.

Ich: Bist du gestern zur Wahl gegangen?
Er: Nee, ist mir alles egal.  
Ich: Und was ist mit dem Klimawandel – hast du das Hochwasser in Bayern gesehen?  
Er: Was interessiert mich der Klimawandel, mich interessiert, ob hier genug Kunden reinkommen. Wenn das nicht so ist, dann müsste ich was machen.  
Ich: Aber hast du nicht vor, Kinder zu bekommen? Willst du nicht, dass deine Kinder in einer Welt leben können, die einigermaßen ok ist?  
Er: Ach, drüber hab ich noch nie nachgedacht. Aber wenn meine Kumpels einfach so ’ne Kippe wegschmeißen, dann sag ich, heb das auf – das geht gar nicht!

Mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Faszination mache ich mich danach auf den Heimweg. In meinem Kopf tauchen die immer gleichen TV-Interviews der Politikerinnen und Politiker auf: Man hätte versagt, man habe die Menschen nicht erreicht. Ja, das kann ich bestätigen: Wir haben seit Längerem immer größere Verbindungsprobleme.

Uns trennt mehr denn je

Mit dem typischen Wahlkampf- und Politik-Sprech erreicht man oft überhaupt keine Menschen mehr. Viel schlimmer: Sie werden weiter von der Politik weg und in die Polarisierung hineingetrieben. Die Folge: Die Menschen fühlen sich unverbunden. Nicht nur mit der Politik, sondern auch untereinander. Wir bewegen uns in Blasen, in entkoppelten Lebensrealitäten, voneinander weg. Gesellschaftliche Spaltungen gab es früher auch, aber noch nie waren sie so multidimensional wie heute. Die Trennlinien gehen nicht nur zwischen Land- und Stadtbevölkerung, arm und reich. Heute ist es viel mehr, was uns trennt: In Bezug auf Lebensentwürfe, Familienbilder, Rollenverständnisse, Erziehung, Ernährung, Sprache etc. haben viele von uns unterschiedliche Überzeugungen. Auf nichts können wir uns mehr im Großen einigen. Gesellschaftliche Vielfalt heißt: Wir sind alle ziemlich unterschiedlich. Das ist auch ganz wunderbar. Aber eben auch ein Problem.

Denn wie erreichen wir uns (wieder), um Zielkorridore für unsere Gesellschaft festzulegen?

Die immer ausdifferenziertere Gesellschaft hat noch keinen Mechanismus gefunden, unsere Vielfältigkeit als Triebfeder für gemeinsame Ziele zu nutzen. Die bis heute noch gültige Formel für gesellschaftlichen Zusammenhalt lautet in etwa: Das gesamtgesellschaftliche Gespräch stärkt in einer demokratischen Gesellschaft den Gemeinsinn, das Band zwischen uns Bürger:innen und auch die Verbindung zur Politik.

Doch wir alle bemerken: So wie wir miteinander Politik verhandeln, funktioniert diese Formel nicht mehr. Sie führt genau ins Gegenteil, in eine immer größere gesellschaftliche Zerrissenheit! Wir sprechen zwar fast alle dieselbe Sprache, aber kommen trotzdem nicht beim Gegenüber an. Der Graben bleibt. In einer Welt, in der jede Blase eine andere Sprache benutzt, reicht Reden – wie wir es kennengelernt haben – einfach nicht mehr aus, um uns wirklich zu verständigen. Die Folgen sind bekannt: Vor allem der rechtsextreme Rand profitiert. Wissenschaftliche Fakten werden ohne tieferliegende Verbindungen nicht aufgenommen. Sie werden nur noch als austauschbare und unverbundene Meinungen wahrgenommen, die vermeintlich nichts mit der tatsächlichen Lebensrealität der Menschen zu tun haben.

Eine einheitliche „Leitkultur“ ist keine Lösung

Die Kommunikation außerhalb seiner eigenen gesellschaftlichen Blase ist so anstrengend geworden, dass viele von uns sie als Zumutung empfinden. Sei mal ganz ehrlich zu dir: Bist du auch verzweifelt über diesen ständigen und fast alle Lebensbereiche hineinreichenden Kulturkampf? Bist du auch so erschöpft davon wie ich? 

Das war nicht immer so. Das war mal anders. Das hat sich auch mal irgendwie freier angefühlt. Aber ein Zurück gibt es nicht. Und uns allen einfach eine deutsche Leitkultur zu verordnen, ist zwar eine verständliche, aber unrealistische Sehnsucht: Denn wo soll die denn jetzt plötzlich herkommen. Und wie sollte die überhaupt aussehen? Hier kommen wir nicht weiter.

Also anders: Es gibt ein wachsendes Bedürfnis nach Gemeinschaft und gegenseitigem Verständnis. Aus dieser Sehnsucht heraus erwächst gerade auch die Hoffnung von ganz Fußball-Deutschland auf eine Wiederholung des Sommermärchens 2006, in dem sich große Teile der Republik eine ganze WM lang in den Armen lagen. Und es gibt auch immer wieder Geschichten des kommunikativen Gelingens. Es gibt sie, die Momente, in denen wir den eigenen Verteidigungsmodus verlassen und ganz neugierig auf unser Gegenüber sind. Auch diese Erfahrungen haben wir schon mal gemacht. Auch das ist in uns angelegt.

Demokratie erlebbar machen

Mir kommt es so vor, als müssten wir diese Geschichten und vor allem diese kommunikativen Praktiken stärken, wenn wir uns wieder neu verbinden wollen. Aber wie machen wir das? Wir bei Mehr Demokratie e.V. bauen gerade einen ganz neuen Arbeitsbereich auf: Er heißt „Demokratische Kultur“. Hier experimentieren wir genau damit. Mit neuen Kommunikationsformen, die im ersten Schritt die Empathie gegenüber sich selbst und im zweiten Schritt gegenüber dem anderen stärken sollen. In neuen Gesprächsformaten üben wir gemeinsam, anders und tiefer miteinander in Kontakt zu kommen. Klingt das jetzt alles zu esoterisch für Dich? Keine Sorge, das ist es nicht. Psychologie spielt natürlich mit rein. Diese Formate sind nicht dazu da, den anderen von seinem eigenen Standpunkt zu überzeugen, sondern die demokratische Neugier, Konfliktfähigkeit, Selbstbewusstsein, Empathie oder Kompromissfähigkeit zu stärken.

Menschen sitzen in kleinen Gruppen zusammen in Stuhlkreisen und unterhalten sich.
Ausbildung in neuen Demokratie-Gesprächsformaten, hier in einem Hangar in Berlin. Foto: Mehr Demokratie e.V.

Alles, was wir bisher rausgefunden haben, deutet darauf hin: Wer authentisch von sich sprechen kann, auch aus einer Perspektive der Unzulänglichkeit, der Unsicherheit, der Unfertigkeit heraus, berührt Menschen. Ist diese Verbindung hergestellt, verändert sich das Gespräch auf eine unerwartete Weise, oft ist dann echtes Verstehen (wieder) möglich. Die Stimmung im Raum ändert sich von ängstlich angespannt zu angeregt, zugewandt.

Wenn uns die auf Fakten beruhende Demokratie am Herzen liegt, braucht es jetzt vor allem eins: Räume, in denen wir Demokratie (er)leben können. Kannst Du Dir das nicht vorstellen? Dann musst Du das erleben. Lasst uns gemeinsame demokratische Erfahrungen machen! Komm vorbei beim „Sprechen & Zuhören“ – einem ersten kleinen Schritt hin zu einem Demokratie-Update. Hier kannst Du Dich dafür anmelden.

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Autor*innen

Anselm Renn ist Kommunikations- und Politikwissenschaftler. Er ist Bundesvorstand von Mehr Demokratie e.V. und setzt sich seit Jahren als Pressesprecher und Campaigner für stärkeren Bürger:inneneinfluss in der Politik auf allen Ebenen ein. Im Campact-Blog schreibt er zu den Themen Direkte Demokratie und Volksentscheide. Alle Beiträge

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