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„Ungeheuerlich und einfach nur unmoralisch“

Abtreibungsverbote bedrohen in den USA seit zwei Jahren das Leben von Schwangeren und ihre Selbstbestimmung. Viele Organisationen setzen sich für die freie Entscheidung über den eigenen Körper ein. Auch für die US-Präsidentschaftswahl ist das Thema wichtig.

Eine Fensterbemalung an der Frontscheibe eines Gesundheitscenters von Planned Parenthood. Der Text darauf: "Abortion in Health Care", übersetzt: "(Eine) Abtreibung ist Gesundheitspflege".
Eine Fensterbemalung an der Frontscheibe eines Gesundheitscenters von Planned Parenthood. Foto: IMAGO / ZUMA Press Wire

„Ich hatte Schmerzen und blutete so stark, dass mein Mann um mein Leben fürchtete“, berichtete Kaitlyn Joshua beim Parteitag der Demokraten in Chicago im August. Zwei Notfallambulanzen in ihrem Heimatstaat Louisiana hatten sich geweigert, die Frau zu behandeln, die gerade eine Fehlgeburt erlitt. Der Grund? Die Ärzt*innen fürchteten, damit gegen die strengen Anti-Abtreibungsregeln des US-Bundesstaates zu verstoßen. Denn die sehen bis zu 10 Jahren Gefängnisstrafe, 100.000 Dollar Geldbuße sowie den Verlust der Zulassung für Ärzt*innen vor, die eine Abtreibung vornehmen. 

Leben von Schwangeren in Gefahr

Louisiana ist nicht der einzige Bundesstaat, der mit drakonischen Verboten das Leben von Schwangeren gefährdet und ihre körperliche Selbstbestimmung beschränkt. In 14 von 50 Staaten ist Abtreibung bereits ab der Empfängnis verboten, in vier weiteren ab sechsten Schwangerschaftswoche. Viele wissen dann noch nicht einmal, dass sie schwanger sind. Ausnahmen – zum Beispiel nach einer Vergewaltigung – gibt es in den meisten dieser Staaten nicht. In 17 weiteren Bundesstaaten ist das Recht auf Abtreibung ebenfalls beschränkt, wenn auch mit längeren Fristen. 

1973 hatte der Oberste Gerichtshof der USA mit seinem Urteil im Fall Roe v. Wade festgelegt, dass Frauen in den Vereinigten Staaten ein grundsätzliches Recht darauf haben, zu entscheiden, ob sie eine Schwangerschaft austragen oder nicht. 2022 hob das Gericht die Entscheidung auf und überließ es den Einzelstaaten, über das Recht auf Abtreibung zu bestimmen. Das war möglich, da die Abtreibungsgegner*innen unter den Obersten Richter*innen nach Neubesetzungen durch Donald Trump die Mehrheit hatten. Eine ganze Reihe konservativer Bundesstaaten hatten bereits vorsorglich sogenannte „Trigger laws“ erlassen – Anti-Abtreibungsgesetze, die in Kraft traten, als Roe v. Wade gekippt wurde. 

Eine Menschenrechtskrise

Die Organisation Human Rights Watch beschreibt die Lage in den USA als Menschenrechtskrise. Tausende müssen gegen ihren Willen die Schwangerschaft austragen, anderen – wie der zu Beginn des Textes zitierten Kaitlyn Joshua – wird in medizinischen Notlagen wie bei Fehlgeburten oder einer ektopen Schwangerschaft (eine Schwangerschaft außerhalb der Gebärmutter) die Behandlung verweigert, weil Ärzt*innen befürchten, dies könnte als Abtreibung ausgelegt werden. 

Sogar Chemotherapie kann Betroffenen verweigert werden, denn sie kann den Fötus gefährden. Aufklärung, Vorsorge und Zugang zu Verhütungsmitteln werden erschwert, da viele Kliniken für sexuelle Gesundheit in den betroffenen Staaten schließen. Kliniken in anderen Bundesstaaten, in denen Abtreibung noch erlaubt ist, sind überfordert. 

Besonders hart treffen die Gesetze Menschen aus ohnehin benachteiligten Gruppen: Wer nur wenig Geld hat, kann es sich nicht leisten, für eine Abtreibung oder im Falle einer Fehlgeburt in einen anderen Bundesstaat zu reisen. Davon sind überdurchschnittlich Schwarze und LatinX betroffen. Menschen, die eine Strafe auf Bewährung verbüßen, können nur mit Genehmigung ihres Bewährungshelfers reisen. Auch hier sind Nicht-Weiße häufiger betroffen, da das amerikanische Justizsystem sie benachteiligt. Für Transgender-Personen ist es ohnehin schwierig, adäquate ärztliche Behandlung zu bekommen – das Abtreibungsverbot erschwert es zusätzlich, eine Klinik außerhalb ihres Heimatstaates zu finden, die ihnen hilft. 

Die Mehrheit ist für Selbstbestimmung

Die Mehrheit der Amerikaner*innen – 63 Prozent – spricht sich dafür aus, Abtreibung in allen oder fast allen Fällen zu erlauben. Es gibt zahlreiche Organisationen, die sich dafür einsetzen, auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichen Schwerpunkten. 

Eine der größten unter ihnen ist – mit vier Millionen Mitgliedern – Reproductive Freedom for All. Die Organisation, die 1969 gegründet wurde, setzt sich neben dem Recht auf Abtreibung auch für bezahlte Elternzeit, bessere Aufklärung, Zugang zu Verhütungsmitteln und Informationen über den politischen Prozess zum Thema ein. Sie organisiert unter anderem Demonstrationen, startet Petitionen und großangelegte Anzeigenkampagnen und ruft ihre Mitglieder dazu auf, Mails an Kongressabgeordnete und Richter*innen zu schreiben. 

Planned Parenthood ist eine Non-Profit-Dachorganisation, deren Mitglieder in den gesamten USA Zentren zur Gesundheitsvorsorge betreiben. Diese bieten neben Aufklärung, Beratung und gynäkologischen Untersuchungen zum Teil auch Abtreibungen an. Die Organisation ist eine wichtige Stimme in der amerikanischen politischen Landschaft. Kliniken von Planned Parenthood wurden in der Vergangenheit häufiger Ziel der Angriffe von Abtreibungsgegner*innen.

Die Organisation EMILY’s List unterstützt Frauen, die für die Demokraten zur Wahl antreten und sich für das Recht auf Abtreibung einsetzen, im Wahlkampf. EMILY’s List ist ein Political Action Committee. Das ist eine Organisationsform in den USA, die Spenden für Politiker*innen sammeln und weitergeben darf. 

Auch religiöse Gruppen setzen sich für das Recht auf Abtreibung ein, so zum Beispiel die Catholics for Choice. Die setzen sich insbesondere dafür ein, religiös begründete Hindernisse für die Abtreibungsversorgung, den Zugang zu Verhütungsmitteln und eine umfassende Gesundheitsversorgung durch Aufklärung abzubauen. Die Organisation, die von der Katholischen Kirche stark kritisiert wird, betont vor allem den Aspekt der sozialen Gerechtigkeit beim Thema Abtreibung.

Meine Aufgabe ist es dafür zu sorgen, dass sich diejenigen, die eine Abtreibung haben, geliebt und unterstützt fühlen.

Bracey Sherman, die Gründerin von WeTestify
WeTestify Sticker Abortion: "Your reason is the right reason"

WeTestify bietet ein Solidaritäts-Stickerpack für die Messengerdienste Signal und Telegram an, außerdem sind sie auf Giphy verfügbar.

WeTestify will das Stigma bekämpfen, mit dem Abtreibungen immer noch behaftet sind. Die Organisation lässt Menschen zu Wort kommen, die eine Abtreibung hatten, und verbreitet ihre Geschichten – insbesondere die von People of Color, queeren Menschen, Menschen mit Behinderung und Menschen aus besonders konservativen Gegenden des Landes. 

Kamala Harris und das Recht auf Abtreibung

Viele dieser Organisationen haben sich hinter die demokratische Präsidentschaftskandidatin Kamals Harris gestellt. Die macht sich seit Jahren stark für das Recht auf Abtreibung. Sie hat sogar als erste amtierende Vizepräsidentin eine Abtreibungsklinik besucht. Bei ihrem Besuch dort hielt sie fest: „Die Gesundheitsversorgung unseres Landes ist in einer ernsten Krise […] Diese Angriffe auf das Recht, über den eigenen Körper zu entscheiden, sind ungeheuerlich und in vielen Fällen einfach nur unmoralisch.“ Die Präsidentschaftswahl im November, bei der Harris gegen Donald Trump antritt, wird auch eine Abstimmung über das Thema Abtreibung werden. Eine*r von acht Wähler*innen sagt, dass Abtreibung für sie das wichtigste Thema bei der Wahl ist. 

Aber was könnte Harris, sollte sie die Wahl gewinnen, als Präsidentin an der Lage ändern? Sie hat – wie auch der amtierende Präsident Joe Biden – versprochen, den Schutz der Wahlfreiheit, den der Supreme Court mit seiner Entscheidung 2022 aufgehoben hat, per Gesetz wieder herzustellen. Es ist jedoch sehr unwahrscheinlich, dass ihr das gelingt.

Damit ein entsprechendes Gesetz verabschiedet werden kann, muss es von beiden Kammern des Parlaments verabschiedet werden. Und dafür sind die Demokraten im Senat nicht stark genug vertreten. Wahrscheinlicher ist es, dass die Demokraten weitere Angriffe von Konservativen auf das Recht auf Abtreibung abwehren können. Eine konkrete Gefahr ist hier beispielsweise der Versuch, mithilfe eines Gesetzes von 1873 den Versand der „Pille danach“, also von Medikamenten zum Schwangerschaftsabbruch, zu verbieten. 

Joe Biden tat sich während seiner gesamten Präsidentschaft schwer, das Wort Abtreibung auszusprechen, weil er aus religiösen Gründen damit haderte. Harris wird sich, wenn sie keine 180-Grad-Wendung vollzieht, für das Recht auf Selbstbestimmung einsetzen und die Dinge klar beim Namen nennen. 

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Autor*innen

Katharina Draheim ist Redakteurin bei Campact. Nach ihrem Studium in Berlin und New Orleans war sie lange für die Atlantik-Brücke tätig. Das Land auf der anderen Seite des Ozeans beschäftigt sie noch immer: Im Blog schreibt sie über die USA. Alle Beiträge

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