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„Es ist nie alles verloren“

Menschen jeden Alters machen sich für den Umwelt- und Klimaschutz stark – auch mit Campact. Welche Gemeinsamkeiten gibt es zwischen den Generationen, was sehen sie unterschiedlich? Wir haben bei zwei Aktivist*innen nachgefragt – bei Ehler, Anfang 70, und der Studentin Merit.

Landwirt Ehler bei einem Protest gegen die Atomindustrie Anfang der 1970er.
Landwirt Ehler bei einem Protest gegen die Atomindustrie Anfang der 1970er. Foto: privat

Merit ist fast von Anfang an bei Fridays for Future dabei, Ehler seit der Gründung bei den Grünen. Trotz fast fünf Jahrzehnten Altersunterschied setzen sich die Studentin und der Landwirt für das gleiche Ziel ein: den Schutz des Klimas und der Umwelt. In unserem Interview erzählen die beiden ihren Werdegang und verraten, wie sie die Generation des jeweils anderen sehen.

Was stand auf Deinem ersten selbstgemalten Plakat?

Merit: Another World is Possible!

Studentin Merit ist seit Beginn an bei der Bewegung "Fridays for Future" dabei.
Studentin und Klima-Aktivistin Merit. Foto: privat

Ehler: Stoppt die Atomindustrie!

Warum bist Du politisch aktiv geworden? Gab es einen konkreten Anlass?

Merit: Im Sommer 2018 war ich, wie schon in so vielen Sommern vorher, im Urlaub an einem schwedischen See. Es war ein außergewöhnlich heißer Sommer und in Schweden brannten deshalb viele Wälder ab. Und der See, in dem ich schon als Kind baden war, hatte kaum noch Wasser. Ich konnte bequem an einer Stelle des Sees stehen, an der ich noch vor ein paar Jahren keinen Boden unter den Füßen hatte. Das war das erste Mal, dass ich wirklich verstanden habe, was die Klimakrise bedeutet. Und das war auch das Jahr, in dem viele in meinem Alter diese Krise verstanden und angefangen haben, mit Fridays for Future auf die Straße zu gehen. 

Ehler: Der Auslöser war wahrscheinlich die Möglichkeit, Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre in der Schülervertretung mitzuarbeiten an der Reform der Oberstufe. Die Voraussetzung für mein politisches Engagement waren die Bildungsoffensive auch für die Dorfkinder, Willy Brandt und meine guten Politiklehrer. Ende der Siebziger beteiligte ich mich am Widerstand gegen die Atomindustrie, die bei uns in der Region, im Lichtenmoor, ein Atommüll-Endlager bauen wollte. Ich engagierte mich bei der Gründung der Grünen Liste Umweltschutz und später in der Partei Die Grünen.

Was hältst Du für die größte Herausforderung für die Klimabewegung?

Merit: Es ist sehr schwer, über längere Zeit immer wieder den nötigen politischen Druck aufzubauen. Und immer wieder eine von denen zu sein, die mit der Klimakrise um die Ecke kommen, weil alle anderen sie anscheinend schon wieder vergessen haben. 

Ehler: Die Zersplitterung der Klimaschutzbewegung. Die Ablenkungsmanöver von Leugner:innen des Klimawandels und der Interessengruppen der fossilen Industrie. Schlecht erklärtes Regierungshandeln.

Was ist aktuell das wichtigste politische Ziel?

Merit: Die Mehrheit hat verstanden, dass die Klimakrise ein sehr großes Problem ist. Nun ist die Herausforderung, für konkrete Maßnahmen zu kämpfen und dafür zu sorgen, dass wir als Gesellschaft diese Maßnahmen alle mittragen und nicht dagegen arbeiten. 

Ehler: Den Rückschritt stoppen! Und den Rechtspopulismus als unsoziale und antidemokratische Chaospolitik entlarven.

Was wünschst Du Dir, dass die jüngere/ältere Generation über Deine Generation begreift?

Merit: Dass die Erde nicht mehr unser Planet als Eurer ist. Wir machen das alles nicht allein für uns, wir machen das für alle. 

Ehler: Ich wünsche mir, dass mehr Wissen darüber lebendig bleibt, dass viele der sozialen, ökonomischen und demokratischen Standards von heute sehr hart erkämpft wurden in den letzten Jahrzehnten – gegen Altnazis und Kommunisten in allen gesellschaftlichen Strukturen. Darüber, dass durch den Kalten Krieg sehr viele menschliche, ökonomische und ökologische Ressourcen sinnlos vergeudet wurden. Und darüber, dass der Kampf für die Menschen- und Bürger:innenrechte nie endet.

Gibt es etwas, das Du an der jüngeren/älteren Generation wirklich nicht verstehst?

Merit: Ich treffe immer häufiger Menschen, die schon aufgegeben haben. Die vielleicht früher mal aktiv waren, aber jetzt sagen, dass eh schon alles verloren ist. Das finde ich sehr schmerzhaft. Es ist nie alles verloren, es könnte immer noch schlimmer werden, das heißt aber auch, dass wir um jedes Zehntel Grad kämpfen müssen, damit das nicht passiert. 

Ehler: Nein, nur die Handy-Sucht sehe ich als sehr problematisch an.

Was ist Dein liebster Protestsong? Wann hast Du ihn zuletzt gehört?

Merit: Als FFF-Aktivistin muss ich „Hurra, die Welt geht unter“ sagen. Es läuft bei jeder unserer Demos und es gab auf jeden Fall schon Phasen, wo ich es nicht mehr hören konnte, aber es gehört dazu. 

Ehler: He Ho, leistet Widerstand gegen das Atomkraftwerk im Land …(bei der Bauplatzbesetzung vom AKW Brockdorf gesungen – das ist schon lange her, aber ich vergesse das nie!). Gehört habe ich ihn zuletzt bei der Atom-Ausstiegsparty vor gut einem Jahr.

Wer ist Dein*e Held*in? Warum?

Merit: Die Pussy Riot Girls aus Russland. Mit ihnen habe ich mich politisiert und bin in den Feminismus eingestiegen. Ich bewundere ihren Mut und ihre Stärke. Und sie verbinden auf ganz tolle Art und Weise Kunst und Protest – das ist gar nicht so einfach. 

Ehler: Einen richtigen Helden habe ich nicht – aber Nelson Mandela hat mich schon sehr beeindruckt.

Was bringt Dich um den Schlaf?

Merit: Aktuell die ganzen Wahlen die anstehen. Irgendwie Klimaschutz als Thema in den Wahlkampf zu bringen. Die Wahlen in Ostdeutschland und die Aussichten der AfD. Und zuletzt die Wahlen in den USA. Das macht mir alles sehr viele Sorgen. 

Ehler: Wenn es im Sommer oder Herbst nicht aufhört zu regnen, sei es aus Gründen des Wetters oder der Klimaveränderungen, und auf den Feldern muss dringend geerntet werden – dann werde ich schon unruhig. Politisch beunruhigen mich die Erfolge der Rechtsextremen bei Wahlen und ihr Einfluss auf politische Themen.

Warum gibst Du die Hoffnung nicht auf?

Merit: Es bringt überhaupt nichts aufzugeben. Auch wenn ich mal keine Hoffnung mehr habe, wird es durch Aufgeben nicht besser. Wir müssen immer weiter machen – dann kommt auch die Hoffnung wieder. 

Ehler: Als Landwirt habe ich Demut gelernt, zum Beispiel vor der Macht der Natur. Das bedeutet für mich, dass ich bei jedem (Ernte-) Ergebnis, auch aus den „Misserfolgen“, das Positive benenne und daraus den nächsten Anlauf starte. Die beste Grundlage für Hoffnung ist eine realistische Definition der Ziele und der Schritte dorthin. Und schließlich glaube ich an die Kraft der Empathie meiner Mitmenschen.


Merit Willemer wurde 2001 geboren. Sie ist seit 2019 Klima-Aktivistin bei Fridays for Future, erst in der Ortsgruppe Ulm und nun in Hamburg und bundesweit aktiv. Sie studiert Politikwissenschaft und Nachhaltigkeit. 

Ehler Lohmann wurde 1954 geboren. Er ist seit der Gründung aktiv bei den Grünen und im Gemeinderat Dörverden und im Kreistag Verden. Ehler ist Landwirt – nach 43 Jahren hat er die Leitung seines Bioland-Hofs an seine Tochter übergeben. 

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