Menschenrechte Pressefreiheit
Israels Regierung als Zensurbehörde
Zum Gaza-Krieg soll nur berichtet werden, was Israels Regierung zulässt. Medienschaffende wollen das nicht länger hinnehmen.
Es ist nicht ganz leicht, Israel zu kritisieren, ohne in den Verdacht des Antisemitismus zu geraten. Dies gilt erst recht seit dem Hamas-Terror vom 7. Oktober 2023, der sich bald zum ersten Mal jährt. Und doch haben zahlreiche Journalist:innen in Deutschland Mitte September einen Aufruf für Pressefreiheit im Gaza-Krieg gestartet – des Risikos, nun selbst an den Pranger gestellt zu werden, sind sie sich bewusst.
Offener Brief für Pressefreiheit im Gaza-Krieg
Der Offene Brief wirbt für den Schutz von Journalist:innen in Gaza, fordert eine Aufhebung des israelischen Einreiseverbots für unabhängige internationale Berichterstatter:innen ins Kriegsgebiet und warnt vor einer ungeprüften Übernahme von Darstellungen der Kriegsparteien. Er fordert stattdessen Quellenvielfalt und die Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit palästinensischen Journalist:innen.
„In beispielloser Weise“ schränke die israelische Regierung die Pressefreiheit ein, heißt es in dem Aufruf: „Kein anderes Kriegsgebiet unserer Zeit wurde so lange für die externe Berichterstattung abgeriegelt wie Gaza seit dem 7. Oktober.“ Konkrete Kritik geübt wird auch an den großen Nachrichtenagenturen wie der dpa, die in ihrer Berichterstattung „immer wieder ausschließlich“ auf Informationen israelischer Behörden zurückgreife. Weiter heißt es: Es sei inakzeptabel, dass Kolleg:innen in Gaza mit Unterstützung deutscher Medienschaffender „ohne Nennung stichhaltiger Beweise als Terrorist:innen diffamiert und so sprichwörtlich zum Abschuss freigegeben werden“. Zu den 80 Erstunterzeichner:innen des Aufrufs gehören Tomas Avenarius, Andrea Böhm, Matthias Drobinski, Hanno Hauenstein, Elsa Koester, Bascha Mika, Christoph Reuter und Charlotte Wiedemann. Auch ich habe unterschrieben.
Mehr Aufmerksamkeit für die Lage hatte die freie Journalistin Hannah El-Hitami schon im August in einer Kolumne gefordert. Sie sprach von einer „einer Situation, die nicht nur aus menschlicher Sicht unerträglich ist, sondern auch zutiefst feindselig gegenüber der Pressefreiheit“.
Zwischenbilanz drei Wochen nach der Veröffentlichung des Aufrufs: Rund 200 weitere Unterzeichner:innen sind dazugekommen. Eine Nachricht im Deutschlandfunk. Die Frankfurter Rundschau berichtete im Kulturteil. „Na endlich“, feierte das linke Magazin Jacobin den Aufruf, fasste zusammen: „Viele Menschen haben das Gefühl, deutsche Medien berichten unausgewogen über Israels Krieg gegen Palästina. Und sie haben recht.“ Viel zu langsam werde die „Doktrin der Staatsräson, die für unabhängigen Journalismus eigentlich keine Rolle spielen sollte, erst jetzt langsam hinterfragt“.
Unkritische Berichterstattung deutscher Medien
Insgesamt blieben die Reaktionen überschaubar. Und es gab auch Kritik. Amina Aziz, eine der Chefredakteurinnen des „Missy“-Magazins, schrieb auf Instagram, es sei wichtig, Israels Unterdrückung freier Kriegsberichterstattung anzuprangern und auch die Rolle deutscher Medien bei der unkritischen Übernahme von Regierungs- und Armeeangaben zu kritisieren. Israel aber sei nicht das einzige Problem. Der Hamas und ihren Berichten sei „eben auch nicht zu trauen“. Sie habe Journalist:innen gefoltert und inhaftiert und am 7. Oktober 2023 auch getötet. Positiv wurde von palästinensischen und auch syrischen Journalist:innen an das Aufruf-Team herangetragen, dass in Deutschland endlich etwas passiere. Auch wenn die Erwartung, dass sich wirklich etwas ändert, gering bleibt, wie es weiter hieß.
Wir brauchen eine Debatte
Dass es eine Debatte geben muss, sagt in anderem Zusammenhang auch der Journalist und Sachbuchautor Ronen Steinke. Er schrieb Ende September auf Instagram: „So ehrlich müssen wir sein: Der israelische Rechtsstaat zeigt sich an der Aufklärung der aktuellen Kriegsverbrechensvorwürfe derzeit nicht ernsthaft interessiert.“ Das sei angesichts der Massivität der Verdachtsmomente viel zu wenig. „Es wird derzeit ein bisschen hingeschaut durch die israelische Militärjustiz – und sehr viel weggeschaut“.
Ein Jahr dauert der neu entflammte Krieg nun schon – aber viel Zeit ist vergangen, um Missstände zu benennen, um die Kriegsverbrechen zu ahnden. Doch immerhin: Wenige Tage nach dem Aufruf für Pressefreiheit im Gaza-Krieg forderten deutsche Medienhäuser – private und öffentlich-rechtliche Medien – von Israel und Ägypten in einer gemeinsamen Erklärung, internationalen Journalist:innen ungehindert Zugang zum Gazastreifen zu geben: „Der fast absolute Ausschluss internationaler Medien bei einer Krise dieser enormen weltweiten Tragweite ist in der jüngeren Geschichte beispiellos.“ In einem Brief an den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu und Ägyptens Präsident Abdel Fattah El-Sisi hieß es: „Wir sind keine Konfliktpartei.“ Wer unabhängige Berichterstattung über diesen Krieg unmöglich mache, untergrabe die eigene Glaubwürdigkeit. Nun unterschrieb auch Deutschlands größte Nachrichtenagentur dpa.
Kriegsverbrechen gegen Medienschaffende im Gazastreifen
Noch drastischer formuliert ist die Solidaritätsadresse von Reporter ohne Grenzen (RSF), in der Ende September benannt wurde, dass in Gaza in fast einem Jahr mehr als 130 Medienschaffende bei Angriffen der israelischen Streitkräfte getötet wurden, darunter mindestens 32 bei der Arbeit. „Die alarmierende Zahl der getöteten Journalistinnen und Journalisten gefährdet das Recht auf freie und unabhängige Informationen“, sagt RSF-Geschäftsführerin Anja Osterhaus. Die Organisation reichte beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag inzwischen vier Strafanzeigen wegen Kriegsverbrechen gegen Medienschaffende im Gazastreifen ein.