Agrar Erfolg
Gemeinwohlorientierte Verpachtung: Vom Stammtisch in die Bundespolitik
Manchmal entstehen aus Verzweiflung und Frustration Ideen, die so erfolgreich sind, dass sie es in die große Politik schaffen. So geschehen mit der gemeinwohlorientierten Verpachtung von Agrarland. Eine Geschichte über einen großen agrarpolitischen Erfolg in diesem Jahr.
![Landstraße und blühendes Rapsfeld, im Hintergrund eine Kirche](https://blog.campact.de/wp-content/uploads/2024/12/acker_boden_kirche_ostdeutschland.jpg)
Die Kirche immer im Hintergrund: Bisher war eher undurchsichtig, nach welchen Kriterien die Gemeinden die Ackerflächen verpachten, die der Kirche gehören. Seit diesem Jahr steht fest, dass sie gemeinwohlorientiert verpachtet werden sollen. Foto: IMAGO / imagebroker
2011 kamen beim Stammtisch der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) in Thüringen Menschen zusammen, die frustriert darüber waren, wie die evangelische Kirche in Mitteldeutschland (die EKM) ihr Agrarland verpachtete. Das Land ging an Betriebe, die dieses schon immer pachteten, darunter viele Großbetriebe – schwer nachvollziehbar von außen. Gute Verbindungen in den Gemeindekirchenrat schienen ausschlaggebender als gute Landwirtschaft. Wenn Kirchenland öffentlich ausgeschrieben war, dann bekam es der Betrieb mit dem höchsten Gebot. So trieb die Kirche also auch noch die Pachtpreise nach oben!
Besonders empört waren die Bäuer:innen aber darüber, dass für die Pachtentscheidung nichts zählte, was sie mit ihren Betrieben an Mehrwert für die Gesellschaft schufen: Sie verkauften ihre Lebensmittel direkt an die Menschen vor Ort, pflanzten Hecken, Bäume, betrieben Humusaufbau, schufen Arbeitsplätze im ländlichen Raum, luden den örtlichen Kindergarten zum Besuch ein, machten Hofführungen und sorgten für ein schönes Dorfumland. Alles eigentlich Gemeinwohlleistungen und nichts davon interessierte die Kirche, die doch eigentlich die Bewahrung der Schöpfung zum Ziel haben sollte. Aus dem Frust entstand die Idee: Was, wenn die Kirche in Zukunft ihr Land gemeinwohlorientiert verpachten würde?
Ideen, die durch Protest an Fahrt gewannen
Ein paar Kriterien für eine gemeinwohlorientierte Verpachtung wurden fix zusammen geschrieben und die Idee war geboren: Für die Erfüllung bestimmter Kriterien sollte es eine bestimmte Anzahl von Punkten geben und der Betrieb, der am Ende am meisten Punkte hat, bekommt das Land. Unabhängig davon, ob der Betrieb klein oder groß ist, bio oder konventionell wirtschaftet. Nur die Gemeinwohlleistung zählt. So einfach, so transparent.
Mit dieser Idee gingen die Landwirt:innen direkt an die Öffentlichkeit. 2012 nagelten sie anlässlich eines jährliches Treffen der mitteldeutschen Landeskirche ihre Forderungen pressewirksam an eine Erfurter Kirchentür. Vier Jahre lang mussten sie protestieren, bis 2016 die Bischöfin die Einführung eines transparenten Punktesystems bekannt gab. Die Kriterien der Kirche blieben weit hinter dem zurück, was die Bäuer:innen sich erhofft hatten. Doch trotzdem hatten plötzlich Betriebe Zugang zu Land, denen er vorher verwehrt war.
Ein erster Erfolg, der das Potential der Idee offen legte. Etwa 8 Prozent der 16 Millionen Hektar Agrarland in Deutschland sind im Eigentum der öffentlichen Hand (Bund, Land und Kommunen), 2 Prozent gehören den Kirchen. Das sind insgesamt 1,6 Millionen Hektar Land, deren Verpachtung ein enormer Hebel wäre, um deutschlandweit Existenzgründungen und eine gemeinwohlorientierte Landwirtschaft zu fördern. Denn Landwirtschaftsbetriebe besitzen durchschnittlich nur 40 Prozent ihrer Flächen selbst, den Rest müssen sie dazu pachten und sich nach den Anforderungen der Verpächter:innen richten.
Etwa 50 Prozent des deutschen Agrarlandes gehören nicht-landwirtschaftlichen Land-Eigentümer:innen. Sie können selbst entscheiden, wer ihr Land pachtet. Das gibt ihnen viel Macht, die sie bisher selten nutzen. Bei FAIRPachten können Eigentümer:innen lesen und lernen, wie sie ihr Land sinnvoll einsetzen können.
Ein Katalog für faire Verpachtung
In den darauffolgenden Jahren wurde der AbL-Kriterienkatalog zur Landverpachtung weiter entwickelt, ein Video gedreht und kontinuierlich politische Lobby-Arbeit betrieben. Ein erfolgreiches Crowdfunding finanzierte hauptamtliche Mitarbeiter:innen. 2022 ein Kampagnenhöhepunkt: Gleichzeitig gingen in 30 Städten Landwirt:innen für eine gemeinwohlorientierte Verpachtung auf die Straße.
Und die Erfolge werden immer sichtbarer: Mittlerweile haben die Städte Erfurt, Leipzig und Dettelbach sowie das Bundesland Thüringen auf Grundlage des AbL-Vorschlags einen auf ihre Verhältnisse abgestimmten Kriterienkatalog für die Verpachtung ihrer Flächen erlassen. Viele weitere Städte und Gemeinden arbeiten dran.
2023 brachten AbL, junge AbL und der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt (KDA) beim Evangelischen Kirchentag einen Antrag auf Gemeinwohlverpachtung ein. 95 Prozent der anwesenden 2000 Menschen befürworteten ihn. Seitdem muss sich jede evangelische Landeskirche in Deutschland mit der Idee befassen. Und auch eine Erwähnung wert: Die Stadt Kyritz, die Landeskirche Hessen-Nassau und die Kirchgemeinden Taucha-Dewitz-Sehlis und Klixbüll haben ihr Land ganz ohne AbL-Engagement gemeinwohlorieniert vergeben.
Vom Kirchentag in die Politik
2022 gelang auch der Ideen dann der Sprung in die Bundespolitik. Der AbL-Kriterienkatalog wurde zur Vorlage für die Bundesregierung, um die Agrarflächen der Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG) besser zu managen. Die BVVG ist die Nachfolgegesellschaft der Treuhand und verwaltet Agrarflächen aus dem ehemaligen Staatseigentum der DDR. Sie untersteht dem Bundesfinanzministerium. Bis 2022 hat sie die Agrarflächen zu Höchstpreisen verkauft, um den Staatshaushalt aufzubessern und damit die Landpreise in die Höhe getrieben – eine Tatsache, gegen die Landwirt:innen seit Jahrzehnten protestiert haben.
Eher skeptisch eingestellte Agrarverbände wie Land schafft Verbindung (LsV) und der Bauernverband konnten die Debatten um die BVVG-Flächen nicht dominieren. Weil sie ohne eigenen Vorschlag in die Verbändeanhörung kamen, verlief die Diskussion entlang des AbL-Vorschlags. Finanzminister Christian Lindner blockierte die Neufassung der Vergabekriterien trotzdem und musste mit einer Petition auf WeAct und einer Protest-Aktion vor dem Finanzministerium an seinen eigenen Koalitionsvertrag erinnert werden.
Ein richtiger Erfolg von Dorothee Sterz und Gesine Langlotz und für die Landwirtschaft in Ostdeutschland: über 152.000 Menschen haben sich mit ihnen für eine gerechte Bodenpolitik stark gemacht.
2023 erst noch unter Vorbehalt, 2024 dann die Erfolgsmeldung: Die bei der BVVG verbliebenen 91.000 Hektar werden nach einem transparenten Punktesystem bevorzugt an Existenzgründer:innen und ökologisch und nachhaltig wirtschaftende Betriebe verpachtet. Ganz konkret spürbar für viele Landwirt:innen.
Das ist die Geschichte einer Idee von Bäuer:innen aus Ostdeutschland, die so überzeugend war, dass sich immer mehr Menschen dafür engagierten, sie Wirklichkeit werden zu lassen. Für mich ist sie ist Ansporn und Vorbild: Die derzeitige Politik bietet genug Futter für konstruktiven Frust und konkrete Utopien.