Demokratie Digitalisierung
Markus, was hat Dich dazu bewogen, das Zentrum für Digitalrechte und Demokratie zu gründen?
Ich beschäftige mich seit fast 30 Jahren mit den gesellschaftlichen Auswirkungen der Digitalisierung – als Journalist, Aktivist und Gründer. Und ich glaube immer noch: Eine bessere digitale Welt ist möglich.

Markus Beckedahl zählt zu den einflussreichsten Stimmen in der gesellschaftlichen Digitalisierungsdebatte. Er ist Mitgründer der re:publica und kuratiert seit 2007 das Programm der größten europäischen Konferenz zur digitalen Gesellschaft. Außerdem hat er netzpolitik.org gegründet und das Medium fast 20 Jahre als Chefredakteur geprägt.
Aber ich sehe auch, dass gute Argumente oft nicht mehr ausreichen. In der Bundesregierung wird vor allem der Industrie zugehört, während die Zivilgesellschaft bestenfalls am Katzentisch sitzt. Gehandelt wird meist nur, wenn öffentlicher Druck entsteht. Genau da setzen wir an.
Wir haben uns fast schon daran gewöhnt, dass es keine demokratisch kontrollierten digitalen Räume mehr geben kann. Big Tech hat es geschafft, seine Narrative tief in Politik, Medien und Gesellschaft zu verankern – mit Milliardenbudgets für Werbung, PR und massiver Lobbymacht.
Hier werden wir aktiv. Nicht nur warnen, sondern handeln. Nicht nur analysieren, sondern Öffentlichkeit schaffen. Das Zentrum für Digitalrechte und Demokratie bündelt meine Erfahrungen – für eine digitale Welt, die Menschenrechte schützt und Demokratie stärkt.
Astrid, warum hat sich Campact entschieden, das Projekt zu unterstützen?
Vorweg: Es ist gute Campact-Tradition, kluge Initiativen und Organisationen finanziell und mit Know-How zu unterstützen. Wir glauben an Empowerment. Die Gründung des Zentrum für Digitalrechte und Demokratie ist nach HateAid unsere zweite Mitgründung im Digitalbereich. Für uns ist klar: Die Auseinandersetzung um die Gestaltung des digitalen Raums ist ein ganz entscheidender Faktor für die Zukunft unserer Demokratie und unserer Sicherheit. Wir stehen in Europa vor einer grundlegenden Richtungsentscheidung: Rutschen wir in rasantem Tempo in Richtung Big-Tech-Oligarchie oder kriegen wir jetzt noch die Kurve?
Was meinst Du damit?
Im Moment ist Europa in vielerlei Hinsicht abhängig von Big Tech und seinen Produkten. Entsprechend breitbeinig tritt der Lobbyismus von Musk, Thiel und Zuckerberg in Brüssel und Berlin auf. Dort trifft er nicht immer auf politisch Verantwortliche, die wirklich wissen und verstehen, welche alternativen Optionen es eigentlich gibt – oder welche Konsequenzen die Big-Tech-Produkte für die Souveränität und Sicherheit der EU haben. Das Zentrum will das ändern. Wir brauchen die Expertise, Aufklärung und Öffentlichkeit der digitalen Zivilgesellschaft, um der Deutungshoheit der politisch nach rechts abgedrifteten Tech-Bros etwas entgegenzusetzen.

Dr. Astrid Deilmann ist Geschäftsführende Vorständin bei Campact e.V. Zudem engagiert sie sich als Gesellschafterin von HateAid und ist Aufsichtsrätin der taz. Eine gemeinwohlorientierte Digital- und Medienpolitik ist für sie aktiver Schutz der Demokratie.
Wie gelingt es Unternehmen wie Meta und Google derzeit, den öffentlichen Diskurs zu kontrollieren?
Astrid: Der digitale öffentliche Raum ist kein neutraler Ort – er ist durchkommerzialisiert und algorithmisch verzerrt. Unternehmen wie Meta oder Google bestimmen, was wir sehen, lesen und diskutieren. Dabei geht es nicht nur nach Profitlogik, sondern immer öfter auch entsprechend den politischen Präferenzen oder Opportunitäten ihrer Eigentümer, deren Einstellung mit „reaktionär“ noch sehr freundlich umschrieben ist. Grundsätzlich belohnen die geheimen Algorithmen meist das Lauteste, Polarisierendste, Skandalöseste – nicht Fakten oder konstruktive Kritik. Wer hetzt, wird gesehen, wer differenziert, geht unter.
Und genau das verzerrt auf Dauer unsere gesamte Debattenkultur. Diese Mechanismen wirken wie ein digitaler Verstärker für Populismus, Desinformation und autoritäre Strömungen. Dazu kommt die rasant zunehmende Bedeutung von Künstlicher Intelligenz. Wenn wir das weiter laufen lassen, geben wir als Gesellschaft die Kontrolle über unsere Öffentlichkeit aus der Hand. Deshalb braucht es einen demokratischen Gegenentwurf – Plattformen, Strukturen und Regeln, die das Gemeinwohl ins Zentrum stellen.
Wen möchte das Zentrum für Digitalrechte und Demokratie erreichen?
Markus: Wir richten uns an alle, die verstanden haben: Die digitale Welt ist nicht nur ein technisches, sondern auch ein politisches Feld.
Ganz konkret: An Journalist:innen, die verlässliche und schnelle Einordnungen brauchen. An Multiplikator:innen, die gesellschaftliche Debatten prägen. An Politiker:innen, die Orientierung suchen. Und an alle, die sich für eine gerechtere digitale Zukunft engagieren wollen – aber noch nicht wissen, wo sie anfangen sollen.
Wir wollen auch neue Brücken schlagen: zu Teilen der Gesellschaft, die bislang wenig Gehör fanden oder denen inhaltlich die Relevanz von Grundrechten und Demokratie für die digitale Gesellschaft noch nicht bewusst sind, aber unsere Verbündeten werden könnten. Und zu Unternehmen, die unsere Werte teilen und mit uns für Demokratie und Gemeinwohl einstehen.
Wir wollen uns für gesellschaftliche Mehrheiten für eine gemeinwohlorientierte Digitalpolitik einsetzen.
Der Wirkungsradius und Einfluss von Big Tech auf unseren Alltag wird immer größer – die zweite Amtszeit von Trump befeuert diese Entwicklung zusätzlich. Was sind eure Pläne, um da einen Schritt voraus zu sein?
Markus: Wir sehen mit Sorge, wie Plattformen zu politischen Akteuren werden: ohne demokratische Kontrolle, aber mit enormer Macht über Meinungsbildung, Sichtbarkeit und Debatten. Einzelne Personen wie Elon Musk oder Mark Zuckerberg entscheiden faktisch darüber, wie wir kommunizieren – und nutzen diese Macht auch strategisch aus. Wir müssen davon ausgehen, dass sie auch im Hintergrund die Algorithmen für ihre Interessen manipulieren.
Die Politik wirkt oft zögerlich und überfordert. Damit sich das ändert, braucht es öffentlichen Druck – und gleichzeitig Investitionen in gemeinwohlorientierte Alternativen. Nur so entsteht echte Wahlfreiheit in digitalen Räumen, die heute fast vollständig privatisiert sind.
Unser Plan: Wir wollen schneller, sichtbarer und strategischer kommunizieren – auf Augenhöhe mit Big Tech und der IT-Industrie.
Wir bauen einen Newsroom, der bei digitalen Debatten sofort handlungsfähig ist – für Medien, Politik und Öffentlichkeit. Wir entwickeln Narrative, die nicht nur reagieren, sondern selbst Debatten prägen. Und wir machen Alternativen sichtbar – für digitale Infrastrukturen, die Demokratie stärken, statt sie auszuhöhlen.
Kurz gesagt: Wir kämpfen um die Erzählmacht, bevor demokratische Stimmen im digitalen Raum endgültig untergehen.
Das Zentrum hat ein klares Ziel: Demokratie und Grundrechte stärken. Damit zeigt ihr Haltung – der große Unterschied zu Big Tech?
Astrid: Absolut. Bei uns geht es nicht darum, Aufmerksamkeit zu Geld zu machen, sondern demokratische Teilhabe zu ermöglichen und demokratische Steuerungsfähigkeit zurückzuholen. Wir haben eine Haltung, und die heißt: Menschenwürde, Transparenz, Grundrechte. Während sich Konzerne wie X oder Meta unter dem Vorwand der „Redefreiheit“ aus jeder Verantwortung stehlen, wollen wir demokratische Regeln nicht nur durchsetzen – sondern auch aktiv gestalten. Damit knüpfen wir an die wunderbaren Anfänge des Internets, an horizontale Vernetzung, grenzübergreifende Synergieeffekte und Selbstermächtigung an.
Es reicht nicht mehr, Missstände anzuprangern. Wir wollen zeigen, wie eine gemeinwohlorientierte digitale Infrastruktur konkret aussehen kann. Das Zentrum steht genau dafür: als Brücke und Übersetzer zwischen digitaler Zivilgesellschaft, Politik und wirtschaftlicher Innovation – und als Schutzraum für eine Debatte, die unsere Demokratie stärkt, statt sie zu zersetzen.
Während der re:publica geht das Zentrum an den Start. Wie geht es dann weiter?
Markus: Die re:publica ist der perfekte Ort für unseren Start. An keinem anderen Event kommen so viele Menschen zusammen, die an diesen Themen auf verschiedenen Ebenen arbeiten.
Auf der re:publica diskutieren Astrid Deilmann und Markus Beckedahl die Frage „Zwischen Broligarchie und Autokraten-Playbook – wie kontert die Zivilgesellschaft?“ – gemeinsam mit Luisa Neubauer, Saba-Nur Cheema und Paulina Fröhlich. Los geht’s am 26. Mai um 17.30 Uhr.
Direkt danach geht es weiter: Wir bauen unser Team aus und starten mit Formaten wie Podcast, Newsletter und dem Mediendienst in einen Beta-Test. Über den Sommer experimentieren wir weiter, um zu zeigen, wie unsere Themen verständlicher, näher und wirksamer kommuniziert werden können.
Und wir mobilisieren unsere Schwarmkraft – also Menschen, die sich mit uns gemeinsam für digitale Grundrechte stark machen.
Damit das Zentrum für Digitalrechte und Demokratie wirklich Wirkung entfalten kann, brauchen wir mehr als gute Ideen: Wir brauchen eine solide finanzielle Basis über die Grundfinanzierung von Campact hinaus. Nur so können wir unterschiedliche Formate entwickeln, genug Reichweite aufbauen, die Politik erreichen – und unsere Ziele nachhaltig verfolgen.
Deshalb werben wir in den kommenden Monaten um Unterstützung: durch Spenden, Kooperationen, Förderpartnerschaften.
Je mehr Menschen mitziehen, desto größer wird unsere gemeinsame Wirkung. Nach dem Sommer wollen wir mit voller Kraft durchstarten. Unser Ziel ist klar: Wir wollen ein zentraler Baustein dabei sein, das größte Hindernis der digitalen Zivilgesellschaft zu überwinden: Wirksame, strategische Kommunikation. Laut, klug und mit Haltung.