Feminismus Hate Speech Globale Gesellschaft Menschenrechte Bahn Montagslächeln LGBTQIA* Poesie Gesundheit Medien

Dickpics, Rache-Pornos, Gewaltfantasien in Foren: Frauen sind seit Anbeginn des Internets immer wieder Ziel von Hass und digitaler Gewalt (die sich nicht selten auch später in körperlicher Gewalt äußert). Das ist in jedem Fall schlimm, wird aber besonders deutlich, wenn man sich Äußerungen über politisch aktive Frauen anschaut.

Eine repräsentative Befragung im Auftrag der Initiative HateAid liefert erschreckende Ergebnisse. Eine überwältigende Mehrheit der Befragten (86 Prozent) wünscht sich zwar einen respektvollen Umgang im Internet miteinander. Wenn es aber um den Respekt explizit gegenüber Politikerinnen geht, zeigt sich ein anderes Bild:

  • 43 Prozent finden, dass Politikerinnen Anfeindungen im Netz aushalten müssen, weil es zu ihrem Job gehört.
  • 45 Prozent denken, dass Politikerinnen selbst zu Anfeindungen gegen sich in den sozialen Medien beitragen, wenn sie bestimmte Aussagen treffen.
  • Jede dritte Person (34 Prozent) hat sogar Verständnis dafür, wenn Menschen aus Unzufriedenheit Politikerinnen online beschimpfen, auch wenn sie selbst Politikerinnen nicht in den sozialen Medien angreifen würden.

Dazu Anna-Lena von Hodenberg, Geschäftsführerin von HateAid:  

Massenhaft sexualisierende Beleidigungen, Vergewaltigungsdrohungen und Porno-Deepfakes: Politikerinnen berichten uns immer häufiger, dass sie deswegen überlegen, aus der Politik auszusteigen. Sie können sich und ihren Familien diese Anfeindungen nicht mehr zumuten. Damit gehen uns nicht nur wichtige Stimmen in der Politik verloren, sondern auch das fundamentale Recht von allen Menschen, sich frei und ohne Furcht politisch engagieren zu können.

Dazu kommt: Die Äußerungen gegen politsche Frauen sind online oft nicht nur krasser, gewalttätiger und sexualisierter – Politikerinnen* bekommen in tatsächlichen Zahlen mehr Hass ab als Politiker.

Eine Analyse der Hetzkommentare gegen das außergewöhnlich weiblich besetzte Kabinett der ehemaligen finnischen Ministerpräsidentin Sanna Marin ergab, dass Marin und die finnischen Ministerinnen etwa zehnmal so viele Hassnachrichten erhielten wie ihre männlichen Kollegen.

Ricarda Lang, Annalena Baerbock, Kamala Harris und Jette Nietzard vereint eines: Sie alle sind Frauen in der Politik, die immer wieder Anfeindungen und Hasskampagnen ausgesetzt sind.

Jette Nietzard

Die junge Politikerin Jette Nietzard ist Co-Vorsitzende der Grünen Jugend, der Jugendorganisation der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Ende Mai hatte die 26-Jährige ein Foto von sich in ihrer Instagram-Story gepostet, auf dem sie eine Kappe mit der kapitalismuskritischen Aufschrift „Eat the rich“ trägt, außerdem einen Pullover mit dem Schriftzug „ACAB“. Die Abkürzung steht für „All Cops Are Bastards“, was übersetzt in etwa bedeutet „Alle Polizisten sind Mistkerle“. 

Ihre privaten Kleidungsentscheidungen sorgten für einigen Wirbel, führende Grüne distanzierten sich von der jungen Politikerin. Das heißt auch: Sie ließen sie im Stich, als online ein misogyner Shitstorm über sie hereinbrach. Diverse Medien und Privatpersonen zogen die junge Politikerin durch den Dreck. Und unterstrichen ein Phänomen: Offen zur Schau getragene Wut, im Falle von Nietzard gezeigt durch ihre Kleidung, wird bei Frauen oft als Hysterie ausgelegt.

Nach all diesem Hass online war Nietzard gezwungen, sich zu erklären. „Ich hasse natürlich nicht die Polizei als Ganzes, aber was ich hasse, ist das System dahinter und wie es gerade aufgebaut ist“, führte sie aus. Es gebe ihrer Aussage nach keine vernünftigen Polizeistudien, keine strukturelle Aufarbeitung von Gewalt und rassistischen Tendenzen in der Polizei.

Ricarda Lang

Eine weitere grüne Politikerin, die ständig Hass und Hetze im Internet ausgesetzt ist, ist Ricarda Lang. Die 31-Jährige war von Januar 2022 bis November 2024 Co-Vorsitzende der Bundespartei Die Grünen. Seit der Bundestagswahl 2025 ist sie wieder Mitglied des Bundestages. Lang sagte in einem Interview mit dem Sozialverband VdK, sie finde es vollkommen in Ordnung, sich Kritik auszusetzen. Diese Kritik an politischen Entscheidungen oder Äußerungen dürfe auch mal aufgebracht oder wütend sein. 

Wo die politische Diskussion dann die Sachlichkeit verlasse, sei bei persönlichen (Hass-) Botschaften. Im vergangenen Dezember äußerte sie sich in der ARD-Sendung „Hart aber fair“ zu den Angriffen auf ihre Person: Sie könne gut damit leben, als „doof“ oder „dämlich“ bezeichnet zu werden; Aussagen, die im Grunde täglich vorkämen.

Aber wenn dir jemand schreibt, „du fettes Miststück, ich will dich in meinem Keller aufhängen, halb tot prügeln und dann zuschauen, wie du ausblutest“, dann finde ich, ist das was, daran muss sich niemand gewöhnen müssen und das sollte auch niemand aushalten müssen.

Ricarda Lang am 2. Dezember 2024 bei „Hart aber fair“

Genauso wie die CDU-Politikerin Dorothee Bär, die ebenfalls in diesem Interview zu Gast war, bekomme sie regelmäßig Morddrohungen.  

Hass im Internet ist oft eine Straftat

Delikte im digitalen Raum, wie Nötigung, Verleumdung, üble Nachrede oder Erpressung, sind Straftaten und können juristisch verfolgt werden. Wichtig sind hier, wie bei allen Anzeigen, Beweise: In diesen Fällen zum Beispiel ein Screenshot, der möglichst viele Informationen enthält. Organisationen wie HateAid bieten Hilfestellung und unterstützen bei Anzeigen. 

Annalena Baerbock 

Besondere Aufmerksamkeit im politischen Geschäft erhielt eine weitere Grünen-Politikerin: Annalena Baerbock, von 2021 bis 2025 Außenministerin der Ampel-Regierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz. Spätens nach ihrer Berufung zur Bundesaußenminister hagelte es im Internet Beleidigungen, Lügen und Hass: Sie sei unfähig, hätte sich hochgeschlafen (und habe auch sonst zweifelhafte sexuelle Beziehungen); sie wurde bedroht und verleumdet. 

Irgendwann wurde es so schlimm, dass sie begann, gerichtlich gegen die Aussagen vorzugehen. Drei dicke Aktenordner füllen die Anzeigen, die Baerbock allein in der Zeit von August 2022 bis März 2024 gegen Menschen gestellt hat, die mit Klarnamen gegen sie Morddrohungen, Gewaltandrohungen und Beleidigungen gerichtet haben. 350 waren es laut Informationen des Handelsblatts aus dem Auswärtigen Amt in dieser Zeit. Das sind im Durchschnitt rund 20 Anzeigen pro Monat. Sich so gegen Hass zu wehren, kostet Zeit, Aufwand – und Nerven. Dazu kommt: Die meisten Hassnachrichten und Drohungen kommen anonym.

Die Medien machten fleißig mit bei der Hetze gegen die Politikerin. Vor allem die Boulevardpresse schnüffelte im Privatleben von Baerbock herum und breitete ihre Scheidung im vergangenen Herbst öffentlich aus. Andere nannten sie in Überschriften und Berichten immer nur beim Vornamen, Annalena – als sei sie ein Kind und keine erwachsene Frau. 

Die jüngste Nachricht um Baerbock: Sie kehrt der deutschen Politik den Rücken. Am Montag verkündete sie, ihr Bundestagsmandat abzugeben. Denn: Die UN-Generalversammlung in New York hatte sie Anfang Juni zu ihrer neuen Präsidentin gewählt. Für Baerbock geht es also nach Amerika.

Kamala Harris

Dass dort der Umgang mit Politikerinnen* allerdings ebenso frauenfeindlich ist wie hierzulande, zeigte zuletzt der Wahlkampf für das Präsidentenamt der USA. Bereits kurz nachdem Kamala Harris vom damaligen Präsidenten Joe Biden als Präsidentschaftskandidatin empfohlen wurde, begannen Desinformationskampagnen gegen sie anzulaufen. Im Zentrum stand besonders eine Geschichte: Harris habe sich am Anfang ihrer Karriere durch eine Affäre „hochgeschlafen“. Dass ihre politische Karriere erst 15 Jahre nach der als Affäre betitelten Beziehung begann, ist für die Hetzer irrelevant. 

Sexualisierte Bilder und Diffamierungskampagnen sowie Verschwörungserzählungen dominierten den Wahlkampf um Harris – und auch von der politischen Gegenseite in der Person von Donald Trump hagelte es Anfeindungen.

Blog-Kolumnistin Inken Behrmann schrieb dazu

In ein anderes sexistisches Horn stoßen die Bemerkungen Donald Trumps, man müsse nur Harris’ Lachen sehen, um zu sehen, dass sie „verrückt“ sei: „Ich nenne sie lachende Kamala. Haben Sie sie schon einmal Lachen gesehen? Sie ist verrückt. Man kann viel an einem Lachen erkennen. Sie ist verrückt.“ Hier spielt Trump auf ein Stereotyp an, das der „crazy black bitch“: Es besagt, dass Schwarze Frauen besonders verrückt und emotional instabil wären.

Folgen von Hass: Frauen ziehen sich aus der Politik zurück 

Diese vier Beispiele zeigen eine bedauerliche Entwicklung – und beschränken sich leider nicht nur auf Frauen in der Bundespolitik. Auch Kommunalpolitikerinnen sind immer öfter Opfer von Anfeindungen. Die tatsächliche, räumliche Nähe zu den Bürger*innen birgt hier nochmal eine besondere Gefahr. Tätliche Angriffe wie das Attentat auf Henriette Reker 2015, damals Oberbürgermeisterkandidatin für Köln, untermauern diese Angst.

Die Organisation HateAid kommt daher zu dem Schluss: Immer mehr Frauen schrecken vor politischem Engagement zurück. Das gefährdet Repräsentation und Teilhabe für mehr als die Hälfte der Bevölkerung – und ist darum nicht nur ein Problem für die Betroffenen selbst, sondern betrifft die gesamte Gesellschaft.

TEILEN

Autor*innen

Appelle, Aktionen und Erfolge: Darüber schreibt das Campact-Team. Alle Beiträge

Auch interessant

Feminismus, Gesundheit Chefarzt klagt dafür, Schwangerschaftsabbrüche durchführen zu dürfen Feminismus, Globale Gesellschaft, Menschenrechte Wütend zusammen CDU, Feminismus, Wirtschaft Wieso Merz plötzlich über Work-Life-Balance redet  Feminismus, Rechtsextremismus Die Lügengeschichten der Väterrechtler Die Grünen, Feminismus Kein kalter Kaffee: Warum der Fall Gelbhaar eine zweite Diskussion verdient Feminismus, Globale Gesellschaft Solidarität ist Selbstverteidigung Feminismus Island: Die Regierung der Töchter Erfolg, Feminismus, WeAct Wie ein Frauenhilfeverein in Köln den Einsparplänen die pinke Karte zeigt  Allyship, Feminismus 5 Dinge, für die es sich am Weltfrauentag zu kämpfen lohnt Bundestagswahl, Feminismus Weniger Frauen im Bundestag: Warum das gefährlich ist