Digitalisierung Hate Speech
Digitale Gewalt ist kein Nebenprodukt hitziger Debatten. Sie ist strategisch eingesetzte Machtausübung. Ihr Ziel: Menschen einzuschüchtern, zum Schweigen bringen und aus dem demokratischen Diskurs zu verdrängen.
Digitale Gewalt unterscheidet sich von Diskussion und Kritik. Kennzeichnend für sie sind: Desinformation, aus dem Kontext gerissene Zitate, erfundene Vorwürfe, persönliche Herabwürdigung, gezielt eingesetzte Dynamik digitaler Netzwerke, etwa durch orchestriertes Vorgehen mehrerer Accounts. Wer betroffen ist, erlebt nicht nur Ablehnung, sondern systematische Delegitimierung der Person. Nicht Argumente werden entkräftet, sondern Menschen entmenschlicht.
Digitale Gewalt trifft nicht alle gleich; sie ist asymmetrisch, strukturell und zutiefst politisch. Besonders betroffen sind Politiker*innen, Journalist*innen, Aktivist*innen – überproportional häufig Frauen und Menschen aus marginalisierten Gruppen – vor allem, wenn sie sich öffentlich für Gleichberechtigung, soziale Gerechtigkeit oder Menschenrechte einsetzen.
Das Kalkül: Wer sich aus Angst und zu hoher Belastung zurückzieht, keine Interviews mehr gibt, aufhört zu schreiben oder zu sprechen, verliert Handlungsspielraum. So geht nicht nur individuelle Präsenz verloren – sondern demokratische Teilhabe und Vielfalt. So schrumpfen Debattenräume. So erstickt Demokratie. Diese Form der Gewalt ist Teil autoritärer Strategien.
Ich sage es ganz deutlich: Was wir erleben, ist keine digitale Begleiterscheinung – sondern ein Angriff auf das demokratische Zentrum. Auf Meinungsfreiheit, politische Teilhabe und gleiche Würde.
Die Causa Brosius-Gersdorf hat gerade wieder gezeigt: Nicht nur Rechtsextreme, auch ideologisch motivierte Gruppen nutzen digitale Räume gezielt zur Einschüchterung und Destabilisierung. Sie manipulieren Diskurse, instrumentalisieren Empörung, infiltrieren Netzwerke – mit dem Ziel, Vertrauen in demokratische Institutionen zu zerstören. Digitale Gewalt kann in allen Milieus, auch progressiven, stattfinden. Sachargumente sind nicht nötig – wer moralisch nicht genügt, wird laut, öffentlich, ohne Korrektiv demontiert.
Rechtliche Schutzlücken bei digitaler Gewalt
Digitale Gewalt ist ihrem Charakter nach antidemokratisch, geschlechtsspezifisch geprägt, oft grenzüberschreitend – und bislang völlig unzureichend reguliert.
Im digitalen Raum kann diffamiert, bedroht oder öffentlich herabgewürdigt werden – teils sogar unter Klarnamen – ohne dass es rechtliche Konsequenzen gibt. Wenn Angreifende keine ladungsfähige Adresse in Deutschland haben, bleibt Betroffenen der Zugang zu Schutz und Gerechtigkeit verwehrt. Die Gewalt kann täglich stattfinden, doch sobald sich die Täter abgemeldet haben oder aus dem Ausland agieren, greifen die Mechanismen des Rechtsstaats ins Leere, sowohl zivil- als auch strafrechtlich.
Wer im Netz gezielt lügt, diffamiert oder bedroht, handelt oft mit Kalkül. Und allzu häufig geht diese Rechnung auf. Die Strafverfolgung scheitert nicht nur an Gesetzeslücken, sondern an realitätsfernen Zuständigkeiten, internationalen Hürden und technischen Schlupflöchern. Es ist ein Kampf gegen Windmühlen. Zum Glück gibt es Organisationen wie HateAid, die Betroffenen zur Seite stehen und politische Lösungen vorantreiben.
Was das für Betroffene bedeutet, ist schwer zu ertragen: Sie erleben Rufmord, Drohungen, Demütigungen, gezielte Hetzkampagnen – und stehen dennoch ohne wirksame rechtliche Handhabe da.
Ein Beispiel: Wer sich aus dem deutschen Melderegister abmeldet und über Fake-Profile, verschlüsselte Messenger oder sogar mit Klarnamen aus dem Ausland agiert, ist für deutsche Behörden kaum greifbar. Selbst bei dokumentierten Angriffen werden Verfahren eingestellt – mit Begründungen wie: „Täter nicht ermittelbar“, „Zuständigkeit unklar“, „Erfolgsaussicht gering“.
Rechtsstaat lässt Betroffene im Stich
Das ist mehr als ein bürokratisches Problem. Es ist eine strukturelle Schwäche unseres Rechtsstaats – eine, die Täter schützt und Betroffene im Stich lässt.
Was wir brauchen:
- Konsequenten Schutz für Betroffene.
- Klare Plattformverantwortung: Plattformen müssen Meldepflichten erfüllen – besonders bei systematischer Hetze. Und sie müssen rechtlich zur Verantwortung gezogen werden, wenn ihre Algorithmen Gewalt verstärken.
- Internationale Zusammenarbeit in der Strafverfolgung: Ermittlungsbehörden müssen technisch und personell so ausgestattet sein, dass sie mit Plattformlogiken, anonymisierten Profilen und verschlüsselten Kanälen umgehen können.
- Und eine Gesellschaft, die erkennt: Digitale Gewalt ist politische Gewalt. Sie erkennt Menschenwürde sowie Persönlichkeitsrechte ab und verachtet Gleichheit.
Wer digitale Gewalt nicht verfolgt, akzeptiert sie stillschweigend
Wir müssen die Hasswellen brechen und digitale Hetzjagden ahnden; sowohl juristisch, gesellschaftlich als auch politisch. Denn was im Netz geschieht, ist real – und demokratiezersetzend. Rechtsschutz darf kein Zufallsprodukt sein. Er ist eine Grundbedingung für Vertrauen in unseren demokratischen Rechtsstaat.