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Viele Menschen sorgen sich um den Haushalt – um ihren privaten, aber auch um den öffentlichen. Denn SPD-Bundesfinanzminister Lars Klingbeil und die schwarz-rote Koalition planen eine Rekordverschuldung. Hunderte Milliarden Euro neuer Kredite sollen in den kommenden Jahren hinzukommen. „Das kann doch nicht funktionieren“, denken sich manche: „Wer soll das alles zurückzahlen?“ 

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Die meisten Schulden trägt der Staat nicht ab, sondern reicht sie weiter

Diese Sorge lässt sich weitgehend entkräften. Denn der Staat zahlt seine Schulden größtenteils nicht zurück – weder mithilfe der gegenwärtigen, noch der künftigen Generation. Stattdessen reicht er sie weiter: Die Bundesfinanzagentur verkauft neue Staatsanleihen, um die alten zurückzuzahlen.

Solange Wirtschaft und Steuereinnahmen wachsen, funktioniert das problemlos. Man darf davon ausgehen, dass dies auch künftig der Fall sein wird – abgesehen von vorübergehenden Schwächephasen. 

Moderate Staatsverschuldung 

Momentan hat Deutschland Spielraum für zusätzliche Kredite: Die deutsche Staatsverschuldung mit 63 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) fällt moderat aus – und liegt unter dem Niveau anderer Länder.

Dieser Mechanismus des Weiterreichens gilt für den größten Teil der Bundesschuld, zum Beispiel für die Kredite für die deutsche Wiedervereinigung. Auch die Neuverschuldung für die Bundeswehr in den nächsten zehn Jahren sieht keine Tilgung vor. 

Corona-Schulden, Bundeswehr und Sondervermögen

Allerdings gibt es Ausnahmen, etwa für die Corona-Schulden, das Sondervermögen der Bundeswehr von 2022 und das neue Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaneutralität. 

Diese Schulden zahlt Deutschland langfristig ab, um der Schuldenbremse im Grundgesetz wenigstens teilweise Genüge zu tun. Die Schuldenbremse begrenzt die jährliche Neuverschuldung des Bundes auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Überschreitet er diese Grenze, braucht der Staat Tilgungspläne.

Dabei sind die finanziellen Belastungen der Verschuldung zwar tragbar, aber schmerzlich. Allein die Tilgung der Corona-Schulden könnte den Bundeshaushalt perspektivisch 25 Milliarden Euro jährlich kosten – Geld, das dann für Schulen, Universitäten und Krankenhäuser fehlt. 

Damit nicht genug: Zusätzlich zahlt der Staat Zinsen – und zwar für die gesamte Verschuldung. Finanzminister Klingbeil rechnet mit über 60 Milliarden Euro. Die Summe aus Tilgung und Zinsen könnte irgendwann ein Fünftel des Haushaltsbudgets erreichen.

Spahns Maskenaffäre: Untersuchungsausschuss jetzt. Foto: Campact

Jens Spahn (CDU) hat als Gesundheitsminister mit fragwürdigen Maskenkäufen mutmaßlich Milliarden an Steuergeld verschwendet.

Tilgung überdenken: Jährliche Belastung ließe sich vermeiden 

Zinsen lassen sich nicht vermeiden. Tilgung dagegen muss nicht sein. Der Bundestag sollte darüber noch einmal diskutieren. Das Parlament entscheidet über den Haushalt und kann auch die Tilgung gesetzlich regeln. Zumindest ließe sich diese auf einen längeren Zeitraum strecken, damit die jährliche Belastung sinkt.

Staat verzichtet jährlich auf 40 bis 50 Milliarden 

Andere grundsätzliche Sorgen sind durchaus begründet. Wie man an der hohen Verschuldung sieht, ist der Bundeshaushalt im Normalbetrieb unterfinanziert. Ein Grund: Die Einnahmen aus vermögensbezogenen Steuern liegen hierzulande niedrig. Zwischen 2020 und 2022 erreichten die Einnahmen aus Grund- und Erbschaftsteuer nur ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts

Unter den Mitgliedern der Industrieländer-Organisation OECD betrug der Durchschnitt dagegen fast zwei Prozent. Manche Staaten wie Spanien, Australien, interessanterweise auch die USA und Großbritannien verlangen noch deutlich mehr. Gemessen daran verzichtet der deutsche Staat jährlich auf 40 bis 50 Milliarden Euro. 

7.000.000.000.000 Euro 

Im Gegensatz zu Frankreich, Luxemburg, Norwegen, der Schweiz und Spanien erhebt der deutsche Staat beispielsweise gar keine Steuer auf Vermögen. Dabei gehören den obersten zehn Prozent der reichsten Privathaushalte mehr als die Hälfte aller deutschen Nettovermögen – etwa sieben Billionen Euro (7.000 Milliarden Euro), eine unglaubliche Summe in den Händen einer Minderheit.

Vermögensbezogene Steuern sind zu niedrig

Auffällig ist auch eine Schieflage bei der Erbschaftsteuer. Deutsche vererben jährlich Vermögen von rund 300 Milliarden Euro. Die Steuereinnahmen betrugen 2024 jedoch nur knapp zehn Milliarden Euro – also drei Prozent. Dieser kleine Anteil entsteht, weil Firmen-Erben hohe Freibeträge nutzen können. Hier kann der Staat mehr für die Allgemeinheit herausholen, ohne einen wirtschaftlichen Schaden zu riskieren. Etwas höhere Steuersätze und konsequente Verfolgung von Steuerhinterziehung könnten Abhilfe schaffen. 

Bürgerdebatte plädiert für Vermögensabgabe

Die „Bürgerdebatte gerechte Steuern und Finanzen“ machte kürzlich einen weiteren Vorschlag: Die 40 aus den bundesweiten Einwohnermelderegistern ausgelosten Teilnehmenden sprachen sich für eine einmalige Abgabe auf größere Vermögen in Höhe von zehn Prozent aus. Diese Abgabe sollte sich über zehn Jahre strecken, um Steuerzahlende nicht zu überfordern. Die Idee erinnert an den Lastenausgleich. Nach dem 2. Weltkrieg entschädigte Deutschland damit Flüchtlinge, die ihr Eigentum in den deutschen Ostgebieten zurückgelassen hatten. Zwei Gesichtspunkte sprechen für solche Ansätze:

1. Der eklatante Abstand zwischen Privathaushalten mit und ohne Kapital sowie die vor diesem Hintergrund zu niedrige Besteuerung großer Vermögen. 

2. Öffentliche Haushalte brauchen mehr Finanzierung. Die staatlichen Mittel reichen derzeit nicht, um den berechtigten Interessen der Bevölkerung nachzukommen. 

Verschuldung löst zwar zeitweise Probleme. Der Staat darf sie jedoch nicht überstrapazieren, sonst nehmen die Schulden zu stark zu – und die Gläubiger verlieren die Lust, dem deutschen Staat ihr Geld zu leihen.

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Autor*innen

Hannes Koch ist selbstständiger Wirtschaftskorrespondent in Berlin und Mitgründer des Journalistenbüros www.die-korrespondenten.de. Er schreibt über nationale und internationale Wirtschafts-, Finanz-, Umwelt- und Sozialpolitik, unter anderem für die Tageszeitung taz. Alle Beiträge

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