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Langsam kommen wir in der neuen schwarz-roten Regierungsrealität an. Noch vor wenigen Monaten schrieb ich an dieser Stelle, dass der neue Koalitionsvertrag nicht zwangsläufig eine demokratiepolitische Katastrophe sein muss. Vor allem der wachen Zivilgesellschaft ist es zu verdanken, dass das Informationsfreiheitsgesetz nicht sofort durch Philipp Amthor (CDU) abgeschafft wurde. Bürgerräte wurden im Vorhabenpapier der Koalition immerhin noch erwähnt – allerdings nur als „dialogische Beteiligungsformate“, also in ernüchternd unkonkreter Form. Kein festgelegtes Thema. Kein Budget. Keine dauerhafte Struktur. Was wie eine Einladung zur Weiterentwicklung klang, entpuppt sich als politische Floskel ohne Folgen.

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Mehr noch: Jetzt in der Sommerpause entsteht der Eindruck, dass die Stabsstelle für Bürgerräte im Deutschen Bundestag still, leise und vor allem zügig abgewickelt wird. Damit nimmt sich das Parlament selbst die Fähigkeit, künftig überhaupt Bürgerräte einzusetzen. Die mühsam aufgebauten fachlichen Kompetenzen drohen verloren zu gehen. Es wirkt, als sei mit dem Regierungswechsel auch der politische Wille verschwunden, Bürger:innen auf Bundesebene ernsthaft einzubeziehen.

Aber was haben wir erwartet?

Bürgerräte und Partizipation als „Störfaktor“

Immerhin war es Dr. Günther Beckstein (CSU), ehemaliger Ministerpräsident Bayerns, der als Schirmherr des ersten, zivilgesellschaftlich organisierten Bürgerrats fungierte. Es war Dr. Wolfgang Schäuble (CDU), damaliger Präsident des Deutschen Bundestages, der die demokratische Krise erkannte – und verstand, dass Bürger:innen stärker eingebunden werden müssen, wenn die Demokratie eine Zukunft haben soll. Er unterstützte die Etablierung von Bürgerräten auf Bundesebene und brachte das Format als Schirmherr in den Bundestag.

Und es war schließlich Bärbel Bas (SPD), die heutige SPD-Chefin und damalige Bundestagspräsidentin, die in der vergangenen Wahlperiode den ersten vom Bundestag verantworteten Bürgerrat auf Bundesebene – zum Thema Ernährung – durchsetzte. Unsere Hoffnungen waren also nicht aus der Luft gegriffen.

Nun jedoch heißt die Bundestagspräsidentin nicht mehr Schäuble oder Bas, sondern Julia Klöckner (CDU) – die, so erkläre ich mir das zumindest, nicht erkennt, dass ohne eine Neuausrichtung hin zu bürgernaher Politik die Demokratie nicht zu retten ist. Ich glaube, sie sieht das Problem nicht einmal. Ich glaube, sie ist tatsächlich überzeugt, dass die Bundestagswahl alle vier Jahre als Feedbackschleife völlig ausreicht. Mehr Bürgereinfluss betrachtet sie nicht als Ressource, sondern als Störfaktor für die Politik. Alles Weitere solle man den „Politik-Profis“ überlassen. Ohne ihr etwas unterstellen zu wollen: Ihre Äußerungen in der Presse legen genau dieses Demokratieverständnis nahe. Und genau in dieser Klöckner-Demokratie wachen wir nun auf.

Was nun?

Natürlich können wir wütend sein. Petitionen starten. Schreiben. Reden. Das kann politisch Prozesse anstoßen, aber das Demokratieverständnis von Julia Klöckner und vielen in der CDU wird es nicht verändern. Die (spät) Geläuterten wie Schäuble waren nie die Mehrheit. Der Leitspruch „Politik – wir kümmern uns drum“ bringt auf den Punkt, wie dort oft über Beteiligung gedacht wird.

Wir kennen das Gefühl, wenn die eigenen Vorstellungen an der Realität zerschellen. Da hilft oft nur: sich schütteln. Vielleicht auch Trauern um die so sicher geglaubte und schön ausgemalte Zukunft. Das kann am eigenen Selbstverständnis rütteln. Doch genau in solchen Momenten entscheidet sich, wie ernst es uns wirklich ist mit der Demokratie.

Wenn die Politik die Türen verschließt, bleibt uns, neue Räume zu öffnen. Wenn Parlamente Kompetenzen abbauen, bleibt uns, Wissen zu bewahren und weiterzugeben. Wenn sich politische Mehrheiten gegen Beteiligung stellen, braucht es gesellschaftliche Mehrheiten, die sich für sie einsetzen. Demokratie ist nie nur das, was im Regierungsviertel geschieht. Sie lebt dort, wo Menschen Verantwortung übernehmen – im Alltag, in Initiativen, in Kommunen, in Netzwerken.

Und genau hier liegt unsere Kraft.

Bürgerräte gehören dazu!

Wir von Mehr Demorkatie verstehen uns als Kompetenzspeicher für partizipative, deliberative und direktdemokratische Prozesse. Wir beraten bundesweit (und darüber hinaus) Initiativen, Parlamente und Parteien zur Einbindung der Bürger:innenkompetenz in politische Prozesse. Als wissenschaftlicher Fachverband und als Kampagnenorganisation setzen wir uns weiterhin für einen partizipativen Demokratieansatz ein. Und überall dort, wo Bürgerrechte gefährdet sind, erinnern wir Regierungen daran: Eine Demokratie lässt sich nur gemeinsam mit den Bürger:innen weiterentwickeln.

Außerdem ist die Bundesebene nicht die einzige demokratische Realität in Deutschland. Auf Landes- und Kommunalebene sind Bürgerräte – ebenso wie die direkte Demokratie – längst nicht mehr wegzudenken. Sie gehören mittlerweile zum politischen Alltag. Erst letzte Woche hat etwa das Land Brandenburg angekündigt, künftig stärker auf Bürgerräte zu setzen.

Die Zukunft der Demokratie ist partizipativ.

Werde Partizipationsgestalter:in!

Wir denken weiter: Mit unserem neuen Bildungswerk und der School of Participation geben wir unser Wissen weiter. Denn Beteiligung braucht es nicht nur in der Politik – auch Unternehmen, Verbände und Verwaltungen sind auf tragfähige Beteiligungsformate angewiesen. Die School of Participation bildet Menschen aus, die Beteiligung planen, moderieren und langfristig verankern können.

Die School of Participation ist ein Projekt von Mehr Demokratie e.V.
Sie wird finanziell von der Robert Bosch Stiftung gefördert.

Die einjährige Ausbildung zur Partizipationsgestalter:in vermittelt das nötige Know-how und die Haltung, um Beteiligung sinnvoll zu konzipieren, nachhaltig zu begleiten und in bestehende Strukturen einzubetten. Die Teilnehmenden lernen, wie sich die kollektive Intelligenz von Teams, Belegschaften oder Mitgliedern aktivieren lässt – für mehr Innovationskraft, bessere Entscheidungen und eine resiliente Organisationskultur. Wer teilnimmt, lernt nicht nur, wie demokratische Prozesse funktionieren – sondern wie man sie aktiv gestaltet. Im ersten Ausbildungsjahrgang der im Herbst beginnt, sind noch wenige Plätze sowie Stipendien verfügbar!

Also: Ganz gleich, was kurzfristig aus den Bürgerräten auf Bundesebene wird – unser Atem reicht weiter als ein paar Wahlperioden!

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Autor*innen

Anselm Renn ist Kommunikations- und Politikwissenschaftler. Er ist Bundesvorstand von Mehr Demokratie e.V. und setzt sich seit Jahren als Pressesprecher und Campaigner für stärkeren Bürger:inneneinfluss in der Politik auf allen Ebenen ein. Im Campact-Blog schreibt er als Gast-Autor zu den Themen Direkte Demokratie und Volksentscheide. Alle Beiträge

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