Demokratie Rechtsextremismus
Er war eine Instanz: 25 Jahre lang war Thomas Krüger Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). Der ehemalige DDR-Bürgerrechtler und Mitgründer der SDP in der DDR verabschiedete sich im September in einem Interview in der taz mit kämpferischen Worten: „Politische Bildung war nie neutral und darf nie neutral sein.“ Populismus und Autokratismus seien nicht nur in Deutschland, sondern weltweit auf dem Vormarsch. „Das ist die Stunde der Stabilokraten, die sich mit autoritärem Gestus der Lage bemächtigen.“
Beim Abschiedsempfang für Krüger Anfang September in Berlin gab es bange Erwartungen: Wer wird ihm nachfolgen als Chef einer Behörde, die dem vom CSU-Politiker Alexander Dobrindt geführten Bundesinnenministerium unterstellt ist? Es war dann eine – positive – Überraschung, dass die Wahl auf den ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Sönke Rix fiel. Der Eckernförder ist Parteilinker und war vor Jahren Teil der rot-rot-grünen Gesprächsrunde Denkfabrik, die von seiner Parteifreundin Angela Marquardt initiiert worden war.
Designierter bpb-Chef nennt AfD „Gefahr für die Demokratie“
Bei Abgeordnetenwatch hatte Rix im Februar 2025 die AfD als „rassistisch“, „menschenverachtend“ und „verfassungswidrig“ bezeichnet, als „eine Gefahr für die Demokratie“.
Die SPD hatte nach einer Übereinkunft in der großen Koalition das Vorschlagsrecht für das bpb-Spitzenamt, nachdem die Union einen neuen Chef für das Bundesamt für Verfassungsschutz bestimmen durfte. Rix bekam, kaum war die geplante Ernennung zum Jahresanfang 2026 bekannt, schlechte Presse – im doppelten Wortsinn. Einerseits schlecht, weil negativ. Und andererseits schlecht, weil bei der Springer-Presse und ihren rechtsalternativen Mitstreitern von Stimmungsmache statt nüchterner Analyse getrieben.
Ein Fall Brosius-Gersdorf 2.0?
„Warum ein linker Ideologe für politische Bildung?“, fragte die Bild-Zeitung. Die Welt nannte die geplante Berufung von Rix „einen Hohn“, das Magazin Cicero sprach von einem „linken Erzieher für die politische Bildung“. Das Hetzportal Nius kramte ein altes X-Posting hervor, in dem Rix der CSU 2022 bescheinigte, „gesellschaftspolitisch wieder richtig rückständig und armselig zu sein“. Zuvor hatte der damalige CSU-Generalsekretär Markus Blume seine Partei als Kontrastprogramm zu „grünem Gender-Gaga“ und „roten Belastungsfantasien“ beschrieben. Nius warnte vor einem „linken Kulturkämpfer“ und „CSU-Hasser“ als bpb-Chef.
Soll hier einer noch vor Amtsantritt Anfang 2026 verhindert werden, so wie vor Monaten die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf als Verfassungsrichterin?
Bundeszentrale für politische Bildung zieht sich von X zurück
Als die Bundeszentrale für politische Bildung dann noch verkündete, sie ziehe sich aus dem Netzwerk X zurück, das unter Elon Musk zu einer rechtsextremen Propagandaschleuder geworden ist, beteiligte sich auch die CDU an der Agitation gegen die Bundeszentrale für politische Bildung. Die stellvertretende CDU-Generalsekretärin Christina Stumpp sagte: „Der Rückzug in Wohlfühlzonen befördert genau jene gesellschaftliche Silobildung, der wir entgegenwirken müssen.“ Anders ausgedrückt: Ein Plädoyer für das „Mit Rechten reden“.
Es sind diese Allianzen, die immer häufiger zu beobachten sind. Konservative Medien und Portale der Rechtsextremen schießen sich ein auf Demokraten. Ihre Wortwahl unterscheidet sich nur in Nuancen. Als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Rede zum 9. November klare Kante gegen Rechtsextremismus zeigte, ohne die AfD zu nennen, sprach die NZZ von einer „Grenzüberschreitung“ Steinmeiers. Die Welt titelte: „Leider ist der Bundespräsident kein Demokrat.“
Und der Kommentar der Berliner Zeitung zur Rede des Bundespräsidenten fiel so gehässig aus, dass selbst der Steinmeier gar nicht wohlgesonnene Historiker und Social-Media-Aktivist Ilko-Sascha Kowalczuk schrieb, mit solcher „Arroganz, Abgehobenheit und Hetze“ werde Demokratie „wie winzige Arsendosen“ zersetzt.
Susanne Dagen und ihre rechte Buchmesse
Immer wieder gehen auch etablierte Medien neurechten Netzwerkern auf den Leim – etwa der Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen, die bei ihrer Buchmesse „Seitenwechsel“ in Halle (Saale) Anfang November das Who-is-who der Szene versammelte.
Das Fachmagazin Börsenblatt vermisste anschließend „Ernsthaftigkeit und Analyse“, forderte mehr „kritische Begleitung“ eines rechten Netzwerktreffens wie der „Seitenwechsel“-Messe: Der MDR verwendet in einem Stück für Titel, Thesen, Temperamente lediglich Interviewsequenzen mit Dagen aus einem ,alternativen‘ YouTube-Vlog. Vom ,Endkampf‘ spricht die Buchhändlerin da, und aus dem Off onkelt es: ,Martialische Worte.‘ […] Die Zeit lässt ihren nach Halle entsandten Reporter darüber witzeln, dass er für die Recherche eine grüne Bomberjacke und eine Fred-Perry-Beanie trägt, ,um nicht aufzufallen‘. Auch die Süddeutsche schickt ihren lustigsten Redakteur los, der das Messe-Publikum einem Style-Report unterzieht und die logistisch-sanitären Katastrophen der Veranstaltung durch den Kakao zieht. […] Etwas dünn war das schon.“
In der Berichterstattung hob sich die FAZ ab. In deren Bericht über die „Seitenwechsel“-Messe hieß es: „So kann man in Halle dabei zusehen, wie hier die Teilnehmenden zu einer Volksfront von rechts verschmelzen und sich vernetzen. Wertkonservativ, rechts, rechtsextrem, offen verfassungsfeindlich – die Unterschiede spielen vordergründig keine Rolle, weil man unter sich ist. […] So ist diese ,Büchermesse Seitenwechsel‘ vor allem eins: ein organisierter Angriff auf den Rechtsstaat unter dem Vorwand der Kultur.“
Wie raffiniert Dagen bei ihrer rechten Raumnahme vorgeht, hat sie auch in Dresden mehrfach unter Beweis gestellt: Lesung aus Erich Kästner, Lesung aus Victor Klemperers Werk LTI über die Sprache des Dritten Reiches. Im Fall Klemperer positionierten sich 2023 mehrere Mitarbeitende des Reclam-Verlags, der die Rechte an Klemperers Werk hält, gegen die Lesung. Später machte der Verlag dann einen Rückzieher und erlaubte die von Dagen organisierte Lesung doch. Zwei Mitarbeiter, die sich damals gegen die Lesung positioniert haben, sind inzwischen nicht mehr für Reclam tätig. Was wahrscheinlich kein Zufall ist.
Auf die Frage, ob mit Blick auf die Neue-Rechte-Akteurin Susanne Dagen die Genehmigung der Lesung 2023 rückblickend noch immer für richtig gehalten werde, antwortet eine Reclam-Verlagssprecherin: „Anfragen zu Lesungen prüfen wir immer urheberrechtlich und im Hinblick auf eine angemessene Kontextualisierung.“ Reclam will also mit der Bühne für Dagen 2023 nichts falsch gemacht haben.
„Rechte Propaganda in den Stand seriöser Diskussion gehoben“
Auch in vielen Medien spiegeln sich diese informellen Bündnisse von Bürgerlichen und extremen Rechten wider. Das nd analysierte vor ein paar Tagen, mit welchem Pathos die Berliner Zeitung mit ihrem Projekt Halle – angekündigter Start ist nun in Chemnitz – den Osten beglücken wolle. Nur ein Auszug: „Der längst ins rechte Milieu entrückte Publizist Matthias Matussek darf langatmig und liebevoll eine rechte Buchmesse bewerben. Daneben gibt es Kritik – mit diesem ,Einerseits und Andererseits‘ wird rechte Propaganda in den Stand seriöser Diskussion gehoben.“
Organisiert werden solche „Diskurse“ vom Chef des Debattenressorts, Thomas Fasbender. Er hat ein paar Jahre für den russischen Staatssender RT gearbeitet.
Der Publizist Franz Sommerfeld, in den 90er Jahren selbst in leitender Stellung bei der Berliner Zeitung, hatte über Fasbender schon vor gut einem Jahr auf LinkedIn geschrieben, dieser öffne das Blatt nach rechtsaußen, „im Einklang mit russischer Politik“. Fasbender entspreche „den Erwartungen der russischen Führung, die Rechtsextreme in vielen europäischen Staaten finanziert und mittlerweile in ihnen die wichtigsten westlichen Unterstützer findet“.
Propaganda gegen die Brandmauer
Solche falsche Ausgewogenheit kommt aber auch in besseren Familien vor – etwa beim Berliner Tagesspiegel. Der brachte vor einigen Tagen Andreas Rödder in einem Interview groß raus, jenen ehemaligen Vorsitzenden der CDU-Grundwertekommission, der seit Jahren dafür wirbt, die Brandmauer seiner Partei zur AfD einzureißen. Und der glaubt, ein AfD-Verbot sei der „sichere Weg in den Bürgerkrieg“.
Unwidersprochen darf Rödder in dem Tagesspiegel-Interview sagen, dass AfD-Chefin Alice Weidel mit Kritik an der Russlandreise von Parteifreunden „einen großen Schritt auf dem zentralen Feld der Außenpolitik“ getan habe. Der Interviewer fragt, ob die AfD „vielleicht sogar Koalitionspartner“ werden könne. Und Rödder orakelt, dass die AfD womöglich „à la Meloni in Richtung Mitte rückt“. Er empfiehlt für die AfD eine „Integrationskraft des politischen Systems“, so wie es ja bei Grünen und PDS/Linkspartei auch geklappt habe. Diese könne womöglich „zu einer Mäßigung führen“.
Tage später darf der ehemalige Grünen-Politiker Ralf Fücks, heute Direktor des Thinktanks Zentrum Liberale Moderne, in einem Tagesspiegel-Gastbeitrag widersprechen. Bei Rödders Interview-Aussagen sei „viel Wunschdenken im Spiel“. Eine „vorsichtige Distanzierung von Putin-Russland“ bei gleichzeitiger Anlehnung an Trump sei „noch lange kein außenpolitischer Richtungswechsel“. Die von Rödder verkündete Verharmlosung der AfD ist da schon längst verbreitet.