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Ich bin ein großer Fan des öffentlichen Nahverkehrs. Okay, nicht unbedingt genau dann, wenn ich in einem verspäteten und völlig überfüllten Bus stehe. Aber die Idee, dass dieser Bus alle Menschen gleichermaßen günstig und zuverlässig an ihr Ziel bringt, ist großartig. Umso bedauerlicher, dass ich bei dem Wort „Omnibus“ mittlerweile innerlich zusammenzucke. Denn mit einem Omnibus will die EU-Kommission jetzt vor allem Big-Tech-Konzerne schneller an ihr Ziel bringen – während sie die Menschen ungeschützt im Regen stehen lässt.

Bürokratieabbau als Deckmantel für Rückschritte

„Omnibus“, dieser Begriff ist auch hier im Campact-Blog schon mal gefallen: Er bezeichnet eine Änderung mehrerer Gesetze zugleich. Mit mehreren Omnibus-Verfahren will die EU-Kommission aktuell verschiedene Gesetze eigentlich vereinfachen und unnötige Bürokratie abbauen. Das wäre ein sinnvolles Ziel, wenn es denn wirklich dabei bliebe. Doch unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus werden auch demokratische Errungenschaften, die Menschenrechte schützen, rückabgewickelt – zuletzt das Lieferkettengesetz.

Der „digitale Omnibus“: Mehr Macht für Big Tech – weniger Schutz für uns

Nun braust ein weiterer Omnibus heran. Mit dem am 19. November veröffentlichten Entwurf für einen zweiteiligen „digitalen Omnibus“ will die EU-Kommission Gesetze vereinfachen, die Datenschutz und Künstliche Intelligenz regeln. Doch einfacher gemacht wird hier vor allem eins: Die Ausbeutung unserer persönlichen Daten durch Big Tech-Unternehmen.

Über 130 Organisationen schlagen deshalb in einem offenen Brief Alarm: „Sofern die Europäische Kommission ihren Kurs nicht ändert, wäre dies der bislang größte Rückschritt für die digitalen Grundrechte in der Geschichte der EU. Dies geschieht unter dem Radar, unter Verwendung von überstürzten und undurchsichtigen Verfahren, die darauf abzielen, eine demokratische Kontrolle zu umgehen.“

Angriff auf Datenschutz und KI-Regulierung

Die Kommission will die Axt zum Beispiel an die Datenschutzgrundverordnung legen. Die DSGVO, oft als Goldstandard des Datenschutzes bezeichnet, schützt unsere personenbezogenen Daten. Nun soll deren Definition, das Herzstück der DSGVO, geändert werden. Damit könnten Daten, die bisher als personenbezogen galten und daher besonders geschützt waren, künftig leichter kommerziell ausgebeutet werden. Außerdem sollen sensible, persönliche Daten künftig auch zum Training kommerzieller KI-Produkte genutzt werden dürfen.

Auch die KI-Verordnung soll geändert werden. Zentraler Bestandteil sind Regeln für „Hochrisiko-KI“. Das sind beispielsweise KI-Anwendungen, die unsere Chancen bei Bewerbungen oder unseren Zugang zu Sozialleistungen oder Krediten beeinflussen. Sie sollten ab Sommer 2026 besondere Regeln befolgen müssen, um unsere Rechte zu schützen – doch das soll nun verschoben werden. Außerdem sollen Unternehmen künftig selbst einschätzen können, dass ihre KI nicht unter die Hochrisiko-Definition fällt (und sie die entsprechenden Regeln daher nicht einhalten müssen), ohne dies transparent machen zu müssen. Damit wird der Bock zum Gärtner gemacht. Denn Unternehmen haben natürlich ein starkes wirtschaftliches Interesse daran, unsere Daten als nicht als personenbezogen zu bewerten oder ihre KI als weniger riskant. 

Neue Erpressungsversuche aus den USA – und Unterstützung aus Berlin

Schon bald könnte der nächste Angriff auf unsere digitalen Rechte folgen: US-Handelsminister Howard Lutnik winkt mit niedrigeren Zöllen auf Stahl und Aluminium – wenn die EU den Digital Services Act (DSA) und den Digital Markets Act (DMA) lockert. Diese setzen dem Überwachungskapitalismus der großen US-Plattformen Grenzen, schützen Nutzer*innen und sind Grundlage mehrerer EU-Verfahren gegen US-Konzerne. Donald Trump sind sie deshalb ein Dorn im Auge. Die Wettbewerbskommissarin der EU, Teresa Ribera, bezeichnete Howard Lutniks Aussagen gegenüber dem Politikmagazin Politico als „Erpressung“.

Genau eine Politikerin zitiert das Magazin im selben Artikel – allerdings als Unterstützerin der von den USA geforderten Deregulierung: Die deutsche Wirtschaftsministerin Katharina Reiche (CDU). Auch der digitale Omnibus hat eine Vorgeschichte: Während andere EU-Staaten eher kleinere Anpassungen befürworteten, setzte sich die Bundesregierung für umfassendere Deregulierung ein.

Jetzt müssen wir unsere digitalen Rechte verteidigen

 „Der Rechtsrahmen der EU ist die beste Verteidigung, die wir derzeit gegen digitale Ausbeutung und Überwachung durch in- und ausländische Akteure haben“, schreiben die über 130 Organisationen der Zivilgesellschaft in ihrem offenen Brief. Das Reden über europäische Werte verkommt zur hohlen Phrase, wenn abgebaut wird, was diese Werte schützt.

Der Entwurf der EU-Kommission muss nun auch mit dem Rat der Mitgliedsstaaten und dem Europäischen Parlament verhandelt werden. Der Ausgang ist also noch offen. Die EU hat in jahrelangen, demokratischen Aushandlungsprozessen Gesetze geschaffen, die weltweit Vorbildwirkung entfalten und Grundrechte im digitalen Zeitalter schützen. Sie schützen uns – und wir müssen jetzt sie beschützen.

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Autor*innen

Lena Rohrbach ist Referentin für Menschenrechte im digitalen Zeitalter und Rüstungsexportkontrolle bei Amnesty International. Sie hat als Campaignerin für Campact und im Journalismus gearbeitet und war Sprecherin der Piratenpartei. Lena hat Philosophie, Kulturwissenschaft und Geschichte in Berlin und International Human Rights Law an der University of Nottingham studiert. Im Campact-Blog schreibt sie als Gast-Autorin über Menschenrechte. Alle Beiträge

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