Überwacht und unter Zeitdruck: 3 Abgeordnete berichten aus dem TTIP-Leseraum
Unter dem Druck der immer heftiger werdenden Kritik an den TTIP-Geheimverhandlungen hat EU-Handelskommissarin Cecila Malmström eine Transparenzoffensive versprochen. Doch diese entpuppte sich als PR-Offensive. Der neueste Akt in diesem Spiel: ein bewachter Leseraum als Verhöhnung des Parlaments. Drei Bundestagsabegeordnete berichten von ihren Erfahrungen.
Echte Transparenz geht anders
Auf den ersten Blick gibt es auf der Internetseite der EU-Kommission enorm viel über TTIP zu lesen. Aber das täuscht. Die Veröffentlichungen über TTIP sind oft keine Original-Dokumente, sondern beschönigende Darstellungen der EU-Kommission, so genannte „Faktenblätter“. Die wenigen Original-Dokumente sind unvollständig, denn sie geben nur die Verhandlungsposition der EU wieder. Was die USA fordern – und wo ein Kompromiss vereinbart wurde – bleibt geheim. So wurden bisher nicht nur die Bürger/innen über den wahren Stand der Dinge bei TTIP weiterhin im Unklaren gelassen, sondern auch deren parlamentarische Vertreter im Bundestag.
Selbst Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) platzte deshalb der Kragen. Er drohte im Herbst 2015 mit einer Ablehnung von TTIP, sollten nicht endlich den Bundestagsabgeordneten die konsolidierten Verhandlungstexte zugänglich gemacht werden. Und selbst Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), überzeugter TTIP-Befürworter, schrieb an Cecilia Malmström, um Einsichtsrechte in die TTIP-Verhandlungsdokumente für die Bundestagsabgeordneten zu fordern.
Nur das drohende Scheitern von TTIP brachte die US-Regierung dazu, dem Druck von Cecilia Malmström nachzugeben. Seit gestern nun stehen den Bundestagsabgeordneten – und nur diesen – Leseräume zur Verfügung, in denen sie unter Aufsicht, ohne ihre Mitarbeiter, ohne technische Ausrüstung und nur für jeweils höchstens zwei Stunden, Einsicht in die TTIP-Verhandlungstexte nehmen dürfen.
Bundestagsabgeordnete testen TTIP-Leseräume
Bereits am ersten Tag nutzten der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken, Klaus Ernst, der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/DIE GRÜNEN, Anton Hofreiter und die Grüne Bundestagsabgeordnete Katharina Dröge, die Chance, die neue Transparenz zu testen. Hier ihre Erfahrungsberichte:
Klaus Ernst (LINKE): „Heute morgen bin ich zum TTIP-Leseraum ins Bundesministerium für Wirtschaft gefahren. Was als Transparenzoffensive gegenüber den nationalen Abgeordenten verkauft wird, sieht in der Realität so aus: Meine Mitarbeiterin wurde direkt an der Pforte abgewiesen und durfte nicht einmal das Ministeriums-Gebäude betreten. Handys und Taschen mussten abgegeben werden. Es durften keine Mitschriften gemacht werden. Obwohl die vorgelegten handelsrechtlichen Texte in Englisch vorlagen, standen für drei Abgeordnete nur eine Dolmetscherin des Wirtschaftsministeriums zur Verfügung. Sogar die Bedingungen, unter denen wir Abgeordnete Verhandlungstexte zwischen der Europäischen Union und den USA zum Handelsabkommen TTIP einsehen dürfen, sind zur Geheimsache erklärt worden. Aufgrund der Komplexität der Materie kann ein Abgeordneter seine Aufgabe nur wirklich erfüllen, wenn er die Themen mit sachkundigen, auf diesen Gebiet spezialisierten Mitarbeitern besprechen und analysieren kann. Dies ist ihm unter Androhung von Strafen untersagt. Im Übrigen: Die Bürgerinnen und Bürger sind nach wie vor gänzlich ausgeschlossen.“
Nicht weniger begeistert zeigten sich Anton Hofreiter und Katharina Dröge (GRÜNE) von den neuen Möglichkeiten.
Anton Hofreiter (GRÜNE): Ich habe gerade das erste Mal in die TTIP-Verträge schauen dürfen. Leider verbietet mir die Bundesregierung Euch zu sagen, was ich gelesen habe. Ich kann nur sagen, dass meine Skepsis noch größer geworden ist.
Mit echter Transparenz hat das Vorgehen der EU-Kommission wenig zu tun. Denn wie sollen Bundestagsabgeordnete vernünftig arbeiten können, wenn sie nur stundenweise Einsicht in die Dokumente erhalten und sich nicht mit ihren wissenschaftlichen Mitarbeiter und Fachleuten beraten dürfen? Vor allem können sie so nicht mit ihren Auftraggebern, den Wähler/innen, über TTIP diskutieren.
Redeverbot: Demokratische Willensbildung über TTIP unerwünscht
Abgeordnete werden drangsaliert und mit drakonischen Strafen bedroht, wenn sie ihre Verantwortung wahrnehmen und eine demokratische Willensbildung über TTIP ermöglichen – indem sie über das sprechen, was sie gelesen haben. Während die TTIP-Befürworter munter das Blaue vom Himmel versprechen, dürfen die wenigen Eingeweihten ihnen nicht widersprechen.
Der Eindruck drängt sich auf, dass die Leseräume weniger der Transparenz dienen sollen, sondern nur zur Ruhigstellung der Kritiker. Doch schon diese ersten Abgeordnetenberichte zeigen, dass die Skepsis gegen das Abkommen durch den Leseraum wächst. Das könnte für die EU-Kommission und die TTIP-Befürworter zum Nachteil werden.
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