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Abtreibungswunsch, Krankheiten und Jobprobleme? – Was Vorratsdaten über uns verraten

Vorratsdatenspeicherung ist halb so wild, schließlich werden ja nicht die Inhalte gespeichert? Stimmt nicht! Forscher der US-Uni Stanford zeigen, wie intim Vorratsdaten wirklich sind.

Eine aktuelle Studie der US-Universität Stanford zeigt, wie viel Vorratsdaten über unser Privatleben verraten. Einige Monate lang werteten Forscher die Telefondaten von Versuchspersonen aus. Die Daten verrieten intime Details über die Studienteilnehmer: Beispielsweise wer einen Abtreibungswunsch hegt und wer unter schweren Krankheiten leidet. Wenn wir die Vorratsdatenspeicherung nicht verhindern, werden derartíg intime Datenprofile bald gesetzlich vorgeschrieben sein und auf Abruf bereitstehen.

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„Vorratsdaten? Das ist doch nichts intimes, das sind doch nur Verbindungsdaten, keine Gesprächsinhalte!“ Als Politiker nach der Vorratsdaten-Spionage der NSA versuchten uns zu beschwichtigen, schalteten sich Forscher der Universität Stanford ein. 546 Personen installierten sich für eine Studie freiwillig eine Überwachungs-App auf ihrem Handy. Damit wurde dokumentiert, wer wann mit wem und wie lange telefoniert hatte. Diese Daten werden auch bei der Vorratsdatenspeicherung erfasst und gespeichert. Vom Start der Studie im November 2013 bis zum März 2014 riefen die 546 Teilnehmer 33688 Nummern an. Dabei werteten die Forscher nur Nummern aus, die sie über Google Places und Yelp zuordnen konnten. Doch das reichte bereits aus, um intime Details aufzudecken.

Vorratsdaten verraten Abtreibungswunsch, Multiple Sklerose oder Herzprobleme

Viele Nummern lassen Rückschlüsse auf den Gesprächsinhalt zu. Mehr als die Hälfte der Versuchsteilnehmer riefen mindestens einmal einen medizinischen Dienst oder Arzt an. Mehr als ein Drittel rief mindestens einmal in einer Apotheke an. Anhand der Telefonnummer ließ sich recht genau sagen, ob die Teilnehmer unter Zahnproblemen, Gefäßerkrankungen oder psychischen Problemen leiden, oder gar über eine Schönheitsoperation nachdenken.

Gehäufte Anrufe bei Neurologen, Kontakt zu einer spezialisierten Apotheke, eine Beratungsstelle für seltene Krankheiten und eine Telefon-Hotline einer Medikamentenfirma, die sich ausschließlich an MS-Patienten richtet: Dieses Kommunikationsprofil gehörte wohl zu einem Multiple-Sklerose-Patienten.

Besonders brisant ist der Fall einer Versuchsteilnehmerin, die am frühen Morgen ihre Schwester anrief und ein langes Gespräch mit ihr führte. Dies war reichlich ungewöhnlich im Vergleich zu ihrem sonstigen Telefon-Verhalten. Zwei Tage später rief sie bei einer Abtreibungsklinik an. Zwei Wochen später rief sie dort wieder kurz an. Einen Monat später noch einmal. Die Daten lassen vermuten, dass die Frau schwanger war und sich für eine Abtreibung entschieden hatte.

Ein weiteres Beispiel: Ein langes Gespräch mit einem Kardiologen. Danach ein kurzes Telefonat mit einem Medizinischen Labor. Dann ein Anruf von der Apotheke und einige Anrufe bei einer Telefon-Hotline für ein Gerät, das bei Herzrythmusstörungen verwendet wird. Manche Telefondaten verraten mehr als unsere Krankenakte.

Ein Persönlichkeitsprofil aus Telefondaten

Die Forscher konnten dank der Überwachungs-App sogar Informationen über politische oder religiöse Orientierung der Versuchsteilnehmer sammeln. Fast jeder Zehnte rief bei religiösen Organisationen an. Fast jeder zwanzigste Versuchsteilnehmer nahm Kontakt auf zu politischen Organisationen. Bei drei Viertel derjenigen, die bei religiösen Organisationen anriefen, ließ sich allein anhand der Häufigkeit der Telefonate vorhersagen, welcher Religion sie angehören.

Auch Hinweise auf die finanzielle Situation werden erfasst. 40 Prozent der Teilnehmer nahmen Kontakt zu einem Finanzdienstleister auf. War es der Schuldendienst oder die Abteilung für Lebensversicherungen? So weit haben die Forscher die Nummer nicht aufgeschlüsselt – bei der Vorratsdatenspeicherung wäre dies jedoch ohne weiteres möglich. Jeder Zehnte telefonierte mit einer Jobvermittlung. Vorratsdaten verraten daher auch, ob wir Arbeitssuchend sind und finanzielle Schwierigkeiten haben. Oder ob wir mit unserem derzeitigen Job womöglich nicht zufrieden sind.

Die Forscher fanden eine Vielzahl vertraulicher Anrufe, bei denen klar ist: Der Anrufer will das sicher für sich behalten! Dabei waren: die Anonymen Alkoholiker, Waffengeschäfte, Abtreibungsberatungen, Gewerkschaften, Scheidungsanwälte, Spezial-Kliniken für sexuell übertragbare Krankheiten und sogar Strip-Clubs. Bei einigen Fällen fragten die Forscher die Teilnehmer, ob ihre Vermutungen stimmten. Also: Sind sie wirklich krank? Suchen sie wirklich einen Job? Bei besonders pikanten Informationen. wie der Abtreibungs-Klinik und schweren Erkrankungen ließen sie es lieber bleiben. Die Daten waren einfach zu intim. Obwohl die Teilnehmer des Projekts zugestimmt hatten, fühlten sich die Forscher nicht ganz wohl in ihrer Rolle als allwissende Überwacher. Zugriff auf Vorratsdaten zu haben bedeutet zu wissen, wer eine Abtreibung vorgenommen hat und wer vor wenigen Stunden den Scheidungsanwalt kontaktierte. Egal ob Liebesbeziehungen, Freundschaften oder Probleme – für findige Datenanalysten wird unser Leben dank Vorratsdaten zu einem offenen Buch. Die Forscher warnen als Fazit der Studie vor der Sammlung derartig sensibler Daten. Denn die Folgen bei einer Sicherheitslücke oder durch Missbrauch der Behörden sind nicht absehbar.

 

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Autor*innen

Katharina Nocun ist studierte Ökonomin und beschäftigt sich mit den Auswirkungen der technologischen Revolution auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Sie engagiert sich in der digitalen Bürgerrechtsbewegung für eine lebenswerte vernetzte Welt. Sie war 2013 Politische Geschäftsführerin und Themenbeauftragte für Datenschutz der Piratenpartei Deutschland und arbeitete als Referentin und Campaignerin u.a. für den Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV), Campact e.V. und Wikimedia Deutschland e.V.. Katharina Nocun ist Botschafterin für die Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen und Mitglied im Beirat des Whistleblower-Netzwerks und bloggt regelmäßig unter www.kattascha.de. Folge Katharina auf Twitter: @kattascha Alle Beiträge

12 Kommentare

Kommentare sind geschlossen
  1. Die Vorratsdatenspeicherung ist nur die Spitze des Eisberges. Wir sind doch jetzt schon so gläsern, wie einige Politiker es sich nur wünschen können. Die Unbedachtheit, wie die Menschen in den sozialen Nettzwerken aggieren, ist beängstigend. Die Konsequenzen werden immer erst später sichtbar.
    Da wird zuviel Persönliches preisgegeben.
    Die NSA überwacht uns munter weiter, was offenbar von unserer Regierung toleriert, bzw. auch genutzt wird.
    Hinzu kommen viele Anreize aus der Wirtschaft, Paybakkarten, Gewinnspiele usw.. Es werden Kaufprofile erstellt, gezielte Werbung eingeblendet. Wenn ich etwas im Internet gesucht habe, verfolgen mich tagelang diese Werbebotschaften, reiner Zufall natürlich.
    Wenn sie ein Smartphone besitzen kann man den Aufenthaltsort bestimmen. Mit „WhatsApp“ können Gespräche und Telefongespräche mitgehört werden. Sie tragen quasi eine Wanze mit sich herum. Können sie eigentlich auch nicht ihren Akku herausnehmen? Nein, ich auch nicht!

    Aus dem Bankenbereich werden wir mit dem Bargeldlosen Zahlungsverkehr beglückt, schnell, einfach und gut. Na dann! Warum bezahlen sie nicht in bar?
    Wenn wir kein Bargeld mehr hätten, Schweden wird da der Vorreiter, sind sie den Banken vollkommen ausgeliefert. In Italien werden ab 1000.-€ nur noch Überweisungen akzeptiert.
    Man sagt : „Bargeld ist Schlecht“. Warum wohl, denn Bargeld bedeutet Freiheit. Man könnte zb. Negativzinsen einführen (zuviel gespart!) , so ein Vorschlag des IWF, damit die Konjunktur in Schwung kommt. Der Weg jedes einzelnen € wäre für den Staat überprüfbar, das wäre wohl gewollt. Das ist die neue Art der Leibeigenschaft!

    Der Auto Notruf eCall soll ab 2015 für alle Neuwagen verpflichtend sein, eigentlich eine gute Idee, beschert ihnen aber eine vollkomme Überwachung. Wann, wo, wieviele Leute saßen im Auto, wie stark war das Fahrzeug beladen, wie schnell sind sie gefahren, wieviel Sprit haben sie verbraucht, wie voll ist ihr Tank, sind ihre Bremsen verschlissen, usw. Alles erfassbar, kein Problem. Im Nutzfahrzeugbereich heißt dieses System Telematik und ist Sand der Technik, Spediteure nutzen dies schon länger.
    Bei einen Unfall kommt dann zukünftig der Neuwagenverkäufer mit dem neuen Fahrzeug und der geeigneten Finanzierung gleich mit. Versicherungen stufen ihr Fahrverhalten in Risikogruppen ein. Die Polizei spart Persolnalkosten, da man keine Geschwindigkeitskontrollen mehr benötigt, denn die Fahrzeuge könnten automastisch nicht mehr schneller fahren, technisch durchaus möglich, das wäre allerdings gut.

    Das Google Glass vervollkommnet diese Datenperversion. Diese Nutzer lassen sich zu Google-Online Spionen mißbrauchen und finden sich super dabei. Gesichtsscann von Personen, Orten, helfen ihrem überstapazierten Hirn sich zu erinnern und ein Teil ihrer Denkfähigkeit bei Google abzuspeichern. Es entsteht lt. Google eine erweiterte Realität wenn man filmend oder fotografierend die Mitmenschen observiert.

    Alle diese Daten könnten und wenn Lobyisten lang genug bohren, werden sie analysiert und sorgsam ausgewertet. Die Nutznieser wären der Staat und große Konzerne. Zu hoffen ist nur, das sie sich dann richtig Verhalten haben!

    Mit der Nutzung der Techniken hätten wir faktisch keinen Datenschutz mehr! Wir könnten nichts davon kontrollieren und sind dem völlig ausgeliefert. Die Vorratsdatenspeicherung ist die gesetzlich geregelte Kontrolle durch unseren Staat und nur ein Teil des Dilemas. Alle anderen Daten werden kommerziell oder kriminell außerhalb des Deutschen Rechtssystems verwendet, mit oder ohne ihrer Zustimmung.

  2. Hallo Katharina
    Ich habe soeben einen Artikel über die Vorratsdatenspeicherung gepostet.
    https://enigmabox.net/blog/2014/04/das-heisst-vorratsdatenspeicherung-konkret/
    Wenn die Politik Gesetze über Vorratsdatenspeicherung verabschiedet, dann kommt sowas wie bei der Sicherheit von AKW,s raus. Ich denke es macht einfach mehr Sinn das der Nutzer selbst aktiv wird und seine Datenkommunikation verschlüsselt. Leider findet man sehr wenige Artikel darüber.
    Ich würde mich freuen einen darüber lesen zu können.

    Viele Grüsse aus der Schweiz
    Bob

    • Hallo,

      tasächlich hat es an diesem Wochenende und in den Tagen davor deutlich länger gedauert, da mir der Arzt ein striktes Tippverbot erteilt hat wegen Schmerzen in der rechten Hand. Sonst geht es schneller!

      Grüße,

      Katta

    • Hallo,

      es kommt darauf an um welche Religion es sich handelt und ob man offiziell in der Kirche gemeldet ist. Über Vorratsdatenspeicherung kann beispielsweise auch erfasst werden wenn bei der Moschee, dem buddhistischen Tempel oder einer Freikirche angerufen wird, obwohl diese Gruppen nicht über die Kirchensteuer erfasst werden.

      Beste Grüße,

      Katharina Nocun

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