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It’s the democracy, stupid!

Die Welt erlebt eine Welle der Autokratisierung: Nur noch 30 Prozent der mittlerweile acht Milliarden Menschen leben in Demokratien. Doch wie lassen sie sich retten? Die Antwort ist eigentlich simpel: Mit (mehr) Demokratie!

Gelebte Demokratie: Eine Aktivistin streitet auf einer Demo für soziale Gerechtigkeit
Gelebte Demokratie: Eine Aktivistin streitet auf einer Demo für soziale Gerechtigkeit, Foto: Ivan Moreno / IMAGO

Die Möglichkeit der Demokratie im Weltmaßstab eröffnet sich heute zum allerersten Mal. „Möglichkeit“ heißt dabei nicht, dass die Entwicklung kurzfristig eintritt, es heißt lediglich: Eine von vielen Zukünften der Menschheitsgeschichte könnte eine globale Demokratie sein. Die notwendige Technologie ist prinzipiell vorhanden und auch mit dem Know-How, wie so etwas genau vonstatten gehen könnte, werden bereits erste Gehversuche gemacht. 

Wir befinden uns im Jahr 1989

Dass diese mögliche Zukunft aber sehr weit weg ist, zeigt uns ein Blick außerhalb der Demokratie-Labore: Was nämlich die ganz reale Demokratieentwicklung angeht, befinden wir uns nicht etwa in der Zukunft, sondern weit in der Vergangenheit. Genauer gesagt im Jahr 1989. 70 Prozent der Weltbevölkerung leben heute wieder, wie vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion, in einem autokratischen Regime. Globale Demokratie? Pustekuchen! 

Globale Demokratie? Pustekuchen!

Anselm Renn

Nur noch 30 Prozent leben in Demokratien

Die Welt erlebt eine Welle der Autokratisierung, die sich gewaschen hat. Sie ist durch zunehmende Macht der Exekutive, die Aushöhlung demokratischer Normen, eine allgemeine Tendenz zu weniger Freiheit und sogar offenem Krieg gegen Demokratien gekennzeichnet. Und was machen wir? Ähnlich wie die realen Folgen der Klimakrise verdrängen wir zunehmend, in welcher Welt wir da eigentlich 2022, bald 2023 gelandet sind. Weltweit leben nur noch 30 Prozent der mittlerweile acht Milliarden Menschen in Demokratien. Tendenz sinkend! 

Staatliche Repression, gelenkte Presse, Repressionen gegen Minderheiten

Das heißt, für den größten Teil aller Menschen auf dieser Welt gehören autokratische Erlebnisse zum Alltag. Für den größten Teil der Menschheit ist staatliche Repression normal. Kontrollierte soziale Medien oder gelenkte Presse gehören genauso zum Alltag wie staatliche Willkür und Repressionen gegen ethnische oder sexuelle Minderheiten. Selbst bei uns zu Hause, in der EU, sind 6 von 27 EU-Mitgliedsstaaten – mehr als 20 Prozent – auf dem besten Weg, Autokratien zu werden, zeigt der V-Dem Report von 2022. Das ist lebensgefährlich! Das bedroht uns alle! Unsere Lebensweise, unsere Werte und damit unsere demokratische Zukunft.

Demokratien sterben still und leise 

Rückmeldungen, Feedback und Anmerkungen lesen wir gerne hier: blog@campact.de

Die allermeisten Demokratien sterben im dritten Jahrtausend nicht, weil Putin oder ein anderer Diktator ein demokratisches Land überfällt. Auch durch Putsch oder Revolution endet nahezu keine Demokratie mehr. Die meisten Demokratien sterben still und leise von innen heraus: Nachdem sich die Demokratie westlichen Zuschnitts im letzten Jahrzehnt als immer unglaubwürdiger Werbeträger ihrer eigenen Werte (im Kern: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Wohlstand) herausgestellt hat, nutzen die Trumps, Bolsonaros und Melonis dieser Welt dieses Unwohlsein der Demokratie (und seiner Bürger*innen) mit sich selbst geschickt aus. 

Klare Kennzeichen antidemokratischer Bestrebungen

Sie greifen die  Repräsentant*innen und Institutionen der Demokratie scharf an und stilisieren sich zugleich zu der starken Figur, die die „wahre Demokratie“ wieder zurückbringt. Ihr Motto: Der Zweck heiligt jedes Mittel (massive Desinformationskampagnen). Systematische Diskreditierung der freien (insbesondere der staatlich finanzierten) Presse und das Infragestellen von richterlicher Gewalt und demokratischen Institutionen, sind klare Kennzeichen von antidemokratischen Bestrebungen. 

Wie lassen sich Demokratien retten?

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Natürlich ist die Demokratie nicht ganz unschuldig daran, dass sie so massiv ins Hintertreffen gekommen ist. Die Frage ist nun: Was ist jetzt zu tun? Die Politiker*innen, Rechts- und Politikwissenschaftler*innen zermartern sich den Kopf: Was ist die demokratische Antwort auf den immer mächtiger werdenden weltweiten Autokratismus? Mit welchen Mitteln begegnet man den gezielten Desinformationskampagnen aus dem antidemokratischen Spektrum? Welche grundlegende Taktik sollte man neben der Symptombekämpfung als Demokrat*in verfolgen? Wie kann man die tiefgreifenden Zweifel an der Demokratie selbst begegnen? 

Schutzschild gegen antidemokratisches Gedankengut

Die im ersten Moment etwas naiv klingende Antwort lautet: Mit (mehr) Demokratie! Die gute Nachricht ist nämlich: Die Beteiligung der Menschen an der Demokratie wirkt wie ein Immunsystem, wie ein Schutzschild gegen antidemokratisches Gedankengut. Haben Bürger*innen die nötige Zeit, sich intensiv mit politischen Themen zu befassen, werden sie zum Beispiel besser darin, Fake News zu identifizieren. Zudem wirkt Bürger*innen-Beteiligung extrem systemstabilisierend: Wer sich in einer Bürgerinitiative, in einem Volksbegehren oder in einem Bürgerrat beteiligt und Politik direkt mitgestaltet, zweifelt in den wenigsten Fällen das demokratische System an. 

Wahlen allein reichen nicht mehr aus

Wer sich selbstwirksam erlebt, wendet sich nicht ab. Gegen den inneren Zerfall, das stille Dahinsiechen der Demokratie braucht es also eine Antwort, die ebenfalls von innen kommt. Es braucht eine Vertiefung der Demokratie durch mehr direkte Beteiligung aller Bürger*innen. Wahlen werden zukünftig nicht mehr ausreichen, um Bürger*innen an die Demokratie zu binden. Es braucht mehr und intensivere Feedbackschleifen mit der Politik. 

Wer sich selbstwirksam erlebt, wendet sich nicht ab.

Anselm Renn

Resiliente Demokratie lebt auch abseits von Parlamenten

Demokratie muss wieder zum Ursprung ihrer selbst – zu den Bürger*innen – gebracht werden, um sich zu erneuern und die inneren und äußeren Angriffe auf sie abzuwehren. Dazu liegen viele gute Konzepte auf dem Tisch. Bürgerräte sind nur ein Instrument, das für eine neue bürgernähere Demokratie steht. Es braucht neben den vielen Milliarden, die gerade in die ökonomische Systemstabilisierung gesteckt werden, (#Doppelwumms) primär die politische Einsicht, dass eine resilientere Demokratie nur dann entstehen kann, wenn man sie auch abseits von Parlamenten lebt. Ist das geschafft, ist eine globale Demokratie in greifbarer Nähe. 

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Autor*innen

Anselm Renn ist Kommunikations- und Politikwissenschaftler. Er ist Bundesvorstand von Mehr Demokratie e.V. und setzt sich seit Jahren als Pressesprecher und Campaigner für stärkeren Bürger:inneneinfluss in der Politik auf allen Ebenen ein. Im Campact-Blog schreibt er zu den Themen Direkte Demokratie und Volksentscheide. Alle Beiträge

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